Eher unheimlich oder lustig?

"Meine coolen V-Leute!" Karikatur von Klaus Stuttmann

Karikatur: Klaus Stuttmann

Held oder Verräter

Ein Hotelzimmer in Hongkong diente als Kulisse, ein unauffälliger junger Mann war der Hauptdarsteller. Hinzu kamen eine Dokumentarfilmerin und ein Journalist. Das genügte, um ein 12-minütiges Video zu drehen, das mit seiner Veröffentlichung am 9. Juni 2013 den bis dahin größten Überwachungsskandal weltweit publik machte. Zeitgleich mit einem Interview im Guardian gab der Mann ruhig und überlegt seine Identität preis: Edward Snowden, damals 29 Jahre alt und bis Mai 2013 für amerikanische Geheimdienste tätig, hatte sich nach Hongkong abgesetzt, in seinem Reisegepäck befand sich ein Stick mit brisanten Daten. 

Ich habe keine schlaflosen Nächte, weil ich getan habe, was ich für nötig hielt. Es war das Richtige, und ich werde keine Angst haben.“ Edward Snowden (aus dem ARD-Interview vom 26.1.2014)

Wenige Tage vor seinem Outing hatten fünf Artikel von Glenn Greenwald im Guardian bereits für große Aufmerksamkeit und ziemliche Fassungslosigkeit gesorgt. Der für die  Aufdeckung von Geheimdienstpraktiken bekannte Greenwald hatte sich mit Edward Snowden in Hongkong getroffen, ihn stundenlang befragt und von ihm streng geheime Dokumente bekommen, die enthielten, was bis dahin vielleicht denkbar, aber nicht zu beweisen war. Die Enthüllungen über Abhörpraktiken und Datenspeicherung der NSA, die Zusammenarbeit der Geheimdienste mit Internetfirmen und Mobilfunkanbietern und die Überschreitung von Datenschutzgesetzen lösten ein enormes Medienecho aus.

Bevor die NSA ihren ehemaligen Kollegen aufspüren konnte, suchte Snowden die Öffentlichkeit, um selbst zu berichten, was ihn zu diesem Geheimnisverrat bewogen hatte. Das Video von Laura Poltras wurde auf Youtube innerhalb weniger Tage millionenfach aufgerufen. Mit jedem Klick multiplizierte sich der Skandal. Das Rauschen im Netz entwickelte sich zu einem Orkan. Skeptiker fanden sich durch Snowdens Enthüllungen bestätigt, die Twittergemeinde zwitscherte, bis sie heiser war und Facebookfreunde teilten und kommentierten, was die Fingerspitzen hergaben. Selbst Netz-Junkies legten verblüfft eine kurze Pause ein und änderten dann vorsichtshalber ihr Passwort.

Karikatur: NEL

Karikatur: NEL


Printmedien aller Länder zogen nach – die digitale Abhöraffäre hatte die reale Welt erreicht. Politiker und Journalisten begannen zu debattieren, ob Snowden ein Verräter oder Held sei und die Enthüllungen der Demokratie schaden oder nutzen könnten. Den Deutschen dämmerte es, dass sie seit Jahren von amerikanischen Geheimdiensten ausspioniert worden waren. Was tun? Informieren oder ignorieren? Akzeptieren oder resignieren? Prism, Cyberwar, flächendeckende Überwachung und informelle Selbstbestimmung wurden zu Lieblingsvokabeln in Leitartikeln und Talkshows, Internetaktivisten und Datenschutzbeauftragte zu begehrten Gesprächspartnern.

Bröckelndes Vertrauen

Und während immer weitere Informationen bekannt wurden, die in ihrer Brisanz eher einem  Agententhriller ähnelten, versicherte der US-Präsident der Bundeskanzlerin, sich in Zukunft mit den deutschen Geheimdienstpartnern besser abstimmen zu wollen. Mitten im bundesrepublikanischen Wahlkampf entstand Verwirrung darüber, wie umfassend die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA sei. Überlegungen, wer wem welche Datenmengen freiwillig übermittelt hätte, produzierten nur wenige Antworten, dafür viele neue Fragen. Auch der eilige Besuch des deutschen Innenministers in Washington änderte daran nichts.

Noch stufte eine gut gelaunte Bundeskanzlerin jeden Vorwurf gegen die amerikanischen Verbündeten als übertrieben ein und ihr Kanzleramtschef und oberster Datenschutzbeauftragter erklärte vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium, dass der Vorwurf der Totalausspähung „vom Tisch“ sei. Doch als zwei Monate später Edward Snowden – inzwischen aus dem Moskauer Exil – darüber informierte, dass auch das Kanzlerinnen-Handy systematisch abgehört wurde, bröckelte die deutsch-amerikanische Freundschaft und senkten sich die Mundwinkel der Regierungs-Chefin noch tiefer als sonst. Ihr Sprecher teilte mit, dass dies ein „gravierender Vertrauensbruch“ sei und jetzt „gründlich ermittelt“ werden müsse.

Karikatur: Klaus Stuttmann

Karikatur: Klaus Stuttmann


Die geheimnisvollen Praktiken der Spionagedienste sollten im Herbst 2013 das erste Problem der neuen Bundesregierung werden. Umfassende Aufklärung wurde versprochen, später ein Untersuchungsausschuss gebildet und Konsequenzen angedroht. Dennoch wuchs bei den Deutschen gleichermaßen der Unmut über die Bespitzelung und die Ratlosigkeit, wie man sich davor schützen kann. Eine Lösung des Problems ist noch immer nicht in Sicht.

Rund ein Jahr nach seinem spektakulären Video-Auftritt ist Edward Snowden zweifellos der berühmteste Whistleblower der Welt und wurde mit Auszeichnungen für seinen Mut geehrt. Ein sicherer Aufenthaltsort in einem anderen Land ist ihm bisher aber noch nicht angeboten worden.
 

App, App – hurra!

An Trenchcoat, Hut und Sonnenbrille kann man den Spion nicht erkennen, dieser Dresscode ist Vergangenheit, ebenso wie die Arbeitsmethoden. Das Verstecken von Wanzen, das heimliche Öffnen von Briefen, das Beschatten und Fotografieren sind nicht mehr notwendig, denn über den E-Mail-Verkehr kann mitgelesen, über Mobiltelefone mitgehört und außerdem geortet werden, wo sich der Besitzer gerade befindet. Auch alle anderen Daten von Rechnern, Laptops, Handys, Smartphones und Tablets können abgeschöpft, gespeichert und ausgewertet werden.

Dem großen Nehmen ist das freiwillige Geben gefolgt. Während die Geheimdienste sich nehmen, was sie bekommen können, ist jeder Einzelne gar zu gerne bereit, zusätzlich zu geben, was an Informationen möglich ist. Nur sehr naive Gemüter freuen sich noch immer, wenn sie mit Kauf-Tipps empfangen werden, sobald sie ihren Rechner hochfahren oder ihre Bestellung mit einem Klick erledigt wird, weil die Kontodaten zuverlässig gespeichert sind.

Facebookfreunde posten bereitwillig jedes noch so intime Detail aus ihrem Leben, bei Instagram ist nach den Selfies nun das Shelfie der neueste Trend: Die sorglos dem Netz anvertrauten Fotos von Regalen samt Inhalt verraten oft mehr über ihre Besitzer, als denen lieb sein dürfte. Eine Steigerung der Lebensqualität verspricht die Smarthome-Technologie. Von unterwegs lassen sich nicht nur Geschirrspüler und Waschmaschine einschalten, sondern auch Jalousien, Heizung und Beleuchtung steuern. Für Datenschützer ist der Traum von der kompletten Hausautomatisierung eher ein sicherheitstechnischer Albtraum.

Karikatur: Til Mette

Karikatur: Til Mette


Immer neue Dienstleistungsprogramme umwerben den Nutzer. Besonders beliebt und im Trend sind Apps für Smartphones. Sind sie einmal installiert, macht die Karten-App Stadtpläne überflüssig, die Nachrichten-App die gedruckte Zeitung, ersetzt die Gesundheits-App den Fitnesstrainer, die Abnehm-App den Diätassistenten und die Wetter-App den Blick aus dem Fenster. Die Begeisterung über die digitalen Dienstleistungen scheint größer als das Misstrauen zu sein, denn fleißig werden die Programme mit persönlichen Daten gefüttert. So lange, bis der Mensch sich nicht nur entblößt hat, sondern durchschaubar ist bis in seine letzte Zelle.
 

Unheimlich lustig

Wenn die Grenzen des Vorstellbaren erreicht sind und die Wirklichkeit mit der Fantasie wetteifert, schlägt die Stunde der satirischen Künstler. Karikaturisten sind von Berufs wegen fantasievolle Menschen. Mit ihren gezeichneten Kommentaren vermögen sie es, uns auch dann noch zum Lachen zu bringen, wenn es im realen Leben nichts mehr zu lachen gibt.

Til Mettes Zeichnungen sind Versuchsanordnungen von hübscher Boshaftigkeit mit leichtem Hang zum Absurden. Eingebettet in die Banalität des Alltäglichen, agieren seine Jedermanns meist in harmloser, detailvergnügter Freundlichkeit, bevor sich der Inhalt der Sprechblasen mit voller Wucht entlädt und in eine schwarzhumorige Pointe mündet.

Bis zur Erkennbarkeit überzogen agiert das politische Personal auf den Blättern von Klaus Stuttmann. Prägnant und schwungvoll weist er den mächtigen Damen und Herren ihre jeweilige Rolle zu und wandelt Zitate in bissig-ironische Aussagen. Ganz der aktuellen Nachrichtenlage verpflichtet, findet Stuttmann sarkastische Kommentare zum politischen Geschehen. Sein Humor hat stets einen grimmigen Unterton.

In NELs Figuren kann sich der Durchschnittsdeutsche mühelos wiederfinden und so dem eigenen Tun manch heitere Seite abgewinnen. Konsequent denkt NEL seine wunderbar absurden Einfälle zu Ende, verknüpft den Wortwitz mit gezeichneten Ideen und schafft es, dass Lachen und Erkenntnis Hand in Hand gehen.

Ob die Karikaturen, die bei aller Heiterkeit auch nüchterne Aufklärung betreiben, unheimlich lustig sind oder doch eher unheimlich, liegt ganz beim Betrachter.


Martina Schellhorn
Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung

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