Vorwort

Dr. Martina Weyrauch

Es roch streng nach einem Gemisch aus Metall, Staub und Schweiß, als ich endlich nach einem langen Fußmarsch eine Zelle betrat, in der ich mit dem Untersuchungshäftling sprechen sollte, dem ich ,,bei geordnet" war.

Der Weg dorthin begann am Eingang der Untersuchungshaftanstalt. Ich hatte mich zum sogenannten Sprecher angemeldet, musste den richterlichen Beschluss meiner Beiordnung und meinen Personalausweis vorlegen und wurde daraufhin von einem Bediensteten in Uniform mit einem riesigen Schlüsselbund in der Hand entgegengenommen.

Nun durchquerten wir mehrere Höfe, die durch hohe Gitter voneinander getrennt waren und die durch kleine schmale Türen, die immer erst auf und zugeschlossen werden mussten, durchlässig waren.

Jeder dieser Höfe wurde von mittelalterlich anmutenden hohen Backsteingebäuden umschlossen, deren Fenster penibel vergittert waren.

Männer, die sich innerhalb dieser Höfe, in wiederum ordentlich abgegrenzten und umzäunten Feldern sportlich betätigten, guckten mit großen Augen auf den weiblichen Eindringling oder machten anzügliche Bemerkungen.

So lernte ich, mit 17 Jahren, in der Funktion eines Jugendbeistandes die Untersuchungshaftanstalt Berlin-Rummelsburg kennen.

Noch nie zuvor war ich in einer Haftanstalt und hatte den Eindruck, in eine fremde und sehr beklemmende Welt versetzt worden zu sein. Schon beim Betreten des riesigen Areals fühlte ich mich ausgeliefert, und eine diffuse Angst vor unbekannten Bedrohungen machte sich in mir breit.

Nachdem der Vollzugsbedienstete mich an Ort und Stelle gebracht hatte, verließ er mich, um den Unter suchungshäftling zu holen.

Alleingelassen sah ich mir alles genau an. Die ,,Sprecherzelle" war völlig schmucklos und spartanisch. Die Wände waren mit graugrüner Ölfarbe gestrichen, gemauerte Glassteine ersetzten das Fenster. Ein schmaler Tisch und zwei Stühle, die sich gegenüberstanden, ebenfalls grau- grün gestrichen, bildeten das einzige Mobiliar. Alles strahlte eine beklemmende Sauberkeit aus, wenn nur der Geruch nicht gewesen wäre.

Da ich nicht stehen wollte, bis der Jugendliche kam, fasste ich den Stuhl, um mich zu setzen. Aber er ließ sich nicht schieben, weil er fest am Steinfußboden angeschraubt war. Man wollte wohl verhindern, dass sich bei einer möglichen Schlägerei die Kontrahenten die Köpfe mit den Stühlen einschlugen.

Der Mensch, der mir in der Untersuchungsanstalt als Insasse begegnete, entsprach nie meinen Vorstellungen, die ich mir auf Grund des Studiums der Akte, des Gesprächs mit den Eltern, den Klassenkameraden und der Jugendhilfe gemacht hatte.

Die ihm (es handelte sich in der Mehrzahl um männliche Jugendliche) zur Last gelegten Delikte wie z.B. Diebstahl, Raub, Sachbeschädigung, Körperverletzung oder unbefugte Kfz-Benutzung erzeugten in meinem Kopf regelmäßig eine Vorstellung von dem Täter, der, wenn nicht angst-einflößend, doch zumindest verwe gen, draufgängerisch hätte sein müssen.

Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Der hier ohne seine Clique auf sich allein gestellte Jugendliche war zurückhaltend, verschüchtert und ängstlich. Wir brauchten eine ganze Weile, bis wir miteinander richtig ins Gespräch kamen und er Vertrauen zu mir fasste.

Mir begegnete bei diesen Terminen also niemals ein ,,Monster", sondern ein auf sich zurückgeworfener isolierter Mensch, der in Erwartung seiner Gerichtsverhandlung mehr oder weniger vorbereitet, mehr oder weniger schuldbewusst , aber immer sehr unsicher und einsam war.

Heute wie damals wird das Thema Strafgefangener, Strafe und Strafvollzug in der Öffentlichkeit wenig differenziert behandelt ­ erscheint oft grell beleuchtet und verzerrt in den Nachmittagssendungen der Pri vatsender und in den Gazetten der Boulevardblätter.

Die Diskussionen über Jugendkriminalität sind nicht selten von gegenseitigen Vorwürfen der Verharmlosung oder der Skandalisierung geprägt.

Die Bilder dieser Ausstellung und die Geschichten hinter ihnen sollen diese begrenzte Sicht durchbrechen und neue Einsichten zulassen sowie Einblicke in Umstände und Hintergründe der Straftat des ein zelnen Strafgefangenen und auf dessen Persönlichkeit gewähren.

Dr. Martina Weyrauch
Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung  
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