Danke, Edward Snowden, für den Tritt in den Hintern

Von Markus Beckedahl

Jetzt sind konkrete Schritte erforderlich, um den Ausbau des Netzes zu einer globalen Überwachungsinfrastruktur zurück zu drehen. Wir können sonst auch gleich unsere demokratischen Werte wegschmeißen, weil wir unsere Freiheit aufgeben.

Diesen Sommer bestätigte sich, was in netzpolitischen Kreisen bereits seit langem diskutiert und vermutet wurde: Wir werden alle überwacht. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern lediglich wie oft durch wen und wo und ob das für immer gespeichert wird. Aber keine Panik, das würde alles nicht stimmen, man habe das schriftlich von der NSA bekommen, erklärte die Bundesregierung - bis heraus kam, dass auch Angela Merkels Handy ausspioniert wurde. Plötzlich hieß es, das ginge gar nicht und eine Grenze sei überschritten.

Warum ist eine Grenze erst überschritten, wenn das Partei-Handy unserer Kanzlerin belauscht wird, während es kein Problem darstellt, wenn wir alle in unserer Onlinekommunikation anlasslos überwacht, gerastert und gespeichert werden? Angela Merkel ist dabei eine von uns - ein Überwachungsopfer, das in seiner Freiheit eingeschränkt wird, und immer daran denken, dass in der Kommunikation jemand mithören könnte. Wollen wir uns damit abfinden, dass wir online kaum noch Räume haben, in der unsere grundgesetzlich verankerte Privatsphäre respektiert nud geschützt wird?

Immerhin kommen täglich neue Enthüllungen ans Licht, das Ausmaß wird immer größer. Zugleich scheint sich die Große Koalition auf eine Vorratsdatenspeicherung zu einigen, um genau die Metadaten anzusammeln, auf die die NSA ganz scharf ist. Das Innenministerium wünscht sich eine flächendeckende Netzüberwachung nach Vorbild der NSA, die Lehren aus den Enthüllungen haben wir uns alle anders vorgestellt. Diese waren als Warnung gedacht, nicht als Machbarkeitsanalyse zum Grundrechteabbau. Ebenso leere Versprechungen sind bisher die Beteuerungen der Bundesregierungen, sich auf EU-Ebene für stärkeren Datenschutz einsetzen zu wollen. Ein Blick hinter die Kulissen und in die Verhandlungsprotokolle offenbart das genaue Gegenteil: Einer der stärksten Gegner von mehr Datenschutz ist ausgerechnet unser federführendes Bundesinnenministerium. Das ist doch alles absurd.

Die richtige Reaktion auf die Snowden-Enthüllungen darf nicht sein, die Überwachung auszubauen. Dann können wir auch gleich unsere demokratischen Werte wegschmeißen, weil wir unsere Freiheit aufgeben. Die richtige Reaktion muss sein, jetzt konkrete Schritte einzuleiten, um den Ausbau des Netzes zu einer globalen Überwachungsinfrastruktur zurück zu drehen.

Markus Beckedahl

Markus Beckedahl betreibt das Blog netzpolitik.org und ist Vorsitzender des Digitale Gesellschaft e.V. Er ist Herausgeber des Buches „Überwachtes Netz – Edward Snowden und der größte Überwachungsskandal in der Geschichte“.

Wir brauchen jetzt eine bessere Kontrolle der Geheimdienste, einen Stopp aller anlasslosen Überwachung unserer digitalen Kommunikation und einen EU-weiten Datenschutz, der seinen Namen auch verdient. Alle Datenaustauschverträge mit den USA müssen sofort gestoppt werden, weil der versprochene Datenschutz offensichtlich eine Lüge war.

Eine große Chance für die Europäische Union bietet eine Förderung von freien, offenen und datenschutzfreundlichen Infrastrukturen, um in unserer Kommunikation unabhängiger von den großen Beinahe-Monopolisten zu werden. Dafür braucht es neue Förderstrukturen, um Open-Source-Communities zu unterstützen, die diese Infrastrukturen entwickeln. Noch immer ist es einfacher, als Unternehmen EU-Förderung in Millionenhöhe zu bekommen als einige tausend Euro für ein Open-Source-Projekt.

Wir müssen jetzt handeln, bevor es zu spät ist. Danke, Edward Snowden, für den Tritt in den Hintern.


Markus Beckedahl
 

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Kommentare

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Ich kannte Beckedahl nicht und musste nachgucken. Echt umtriebig der Mann und was er zur Netzpolitik sagt, hat Hand und Fuß. Auch was er hier sagt, ist gut. Aber ich frage mich auch, was man als Einzelner machen kann. Brüssel stürmen?

warum nicht. ein bisschen mehr bewegung tut den dicken deutschen gut. aber ehrlich, markus, was willst du konkret machen? gesetze in brüssel durchdrücken, weisst du, wie lange das dauert und damit kriegst du auch keine bewegung zusammen. solange die amerikaner eine supermacht sind, deutschland aber nur eine mittlere macht, wird auch brüssel zahnlos bleiben.

Ich bin ein Fan von Beckedahl, aber diese Wortmeldung hat kein Volumen, keinen Nachklang. Dafür ist sie zu allgemein, vielleicht auch zu europäisch. Was kann und was sollte der Einzelne tun und vor allem, will der Deutsche etwas tun? Die Entrüstung hält sich ja doch in Grenzen. Wie sollen denn konkret solche neuen Förderstrukturen erreicht werden, zum Beispiel? Ein flammender Appel ist dir da gelungen, lieber Markus, aber mehr momentan noch nicht.

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