Warum die Landes-Zentrale kein Zentralrat ist

Wir wollten für unsere Internetseite einen Text über die Landeszentrale schreiben, was sie macht und warum. Das alles sollte in Leichter Sprache erklärt werden, ein Unternehmen, das ganz und gar nicht leicht war.

Ich war etwas aufgeregt. Meine Unterlagen steckten in der Tasche, 10-fach ausgedruckt. Wir wollten für unsere Internetseite einen Text über die Landeszentrale schreiben, was sie macht und warum. Das alles sollte in Leichter Sprache erklärt werden.

Leichte Sprache ist neu für die Landeszentrale. Es ist eine Sprache mit besonderen Regeln, die sich an Menschen mit geistiger Behinderung und eingeschränkter Lernfähigkeit wendet. Aber auch Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, nutzen Informationen in Leichter Sprache. Sie soll dabei helfen, ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. „Inklusion“ heißt das im politischen Sprachgebrauch. Kein leichtes Wort. Aber Teilhabe für alle ist ja auch eine schwierige Aufgabe.

Im Evangelischen Diakonissenhaus in Teltow traf ich mich deshalb mit einigen Bewohnern zum Praxistest. Die Frauen und Männer der Gruppe waren 18 Jahre und älter und wohnten und arbeiteten zusammen in der Behindertenhilfe des Hauses. Sie waren geistig und zum Teil auch körperlich behindert.

Bei meiner Ankunft im Versammlungsraum stockte ich kurz. Nicht 10 Zuhörer saßen dort, sondern mehr als 40. Einige standen. Manche lächelten, wenige guckten grimmig, viele unterhielten sich.

Die Leiterin der Einrichtung kam. Es wurde still im Raum und ich begann: Mein Name ist ... Ich komme von … und freue mich, dass Sie alle so zahlreich… Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport… mündige Bürger… Bücher, Ausstellungen, Veranstaltungen, Förderung.

Okay, das war geschafft! Ich endete und es geschah – nichts. Die Zuhörer guckten. Die Leiterin sprang mir bei und fragte die Gruppe, was sie verstanden hat. NICHTS, schallte es 40-fach zurück. Nur Klaus, der winkte abschätzig. Landeszentrale, das kenne er von früher, da hieß es Zentralrat oder so und dann drehte er sich weg.

Eine zweite Chance

Aha. Ich fand es nett, dass Klaus etwas geantwortet hatte und fragte, ob ich noch mal erklären könnte. Er nickte. Ich fing also noch einmal an: „Ich heiße Jana. Mein Familienname ist ... Meine Kollegen und ich arbeiten in Potsdam. In einem Haus gleich am Bahnhof. Das Haus hat einen langen Namen. Ich sage den Namen einmal ganz.“ Während ich Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung aussprach, schritt ich den Raum ab. Als ich am Ende war, hatte ich etwa 6 Meter zurückgelegt. Christine rief, das ist ja lang. Und dann fragte sie mich, was ich denn von ihnen wollte. Das war gut: Es gab eine zweite Chance.

Ich erklärte, dass wir Hilfe benötigten, um einen Text über die Landeszentrale zu schreiben, den die ganze Gruppe gern lesen würde, weil er so interessant ist. Ich holte den Text heraus, den ich mitgebracht hatte. Die Leiterin las ihn vor und fragte immer wieder in die Gruppe zurück. Christine fand, es fehlten Bilder. Thomas wollte wissen, ob man Eintritt zahlen muss, wenn man in die Landeszentrale will, Andreas erzählte, er lerne in seiner Gruppe gerade, Texte am Computer zu lesen und Ilse erinnerte sich, dass sie auch einmal Texte aus dem Keller holen musste, damals als sie noch ein Kind war und die fremden Soldaten 1945 nach Potsdam kamen.

Mitbestimmen und teilhaben

An einem Punkt kamen wir auf das Thema politische Teilhabe. In Leichter Sprache heißt das: Die Landes-Zentrale hilft, damit alle  Menschen mitbestimmen können, was in Brandenburg passiert. Die Leiterin hatte mir erzählt, dass sich die Gruppe sehr für Wahlen interessiere. Menschen, die wie Klaus und Ilse ständig einen Betreuer zur Bewältigung ihres Alltags benötigen, dürfen in Deutschland nicht wählen gehen.

Ich fragte Christine, warum sie gern wählen gehen wollte. Sie überlegte und sagte dann, weil sie gern ihre Meinung sagen möchte. Zum Beispiel möchte sie gern in einer eigenen Wohnung leben. Bessere Verkehrsverbindungen, mehr Geld, mehr Möglichkeiten, in der Nähe einkaufen zu gehen, mehr Freizeitorte …, es wird lebendig, als die Gruppe ihre Vorstellungen laut herausruft. Und Angela Merkel, die ist gut, finden einige. Andere schütteln den Kopf.

Inzwischen war es 19 Uhr geworden. Meine neuen Berater fingen an zu gähnen. Ich konnte sie verstehen, mir ging es genauso. Seit zwei Stunden diskutierten wir und die meisten in der Gruppe waren, im Gegensatz zu mir, schon seit 6 Uhr auf den Beinen, um in der Werkstatt der Einrichtung zu arbeiten, am Computer zu lernen, im Haus zu helfen oder Behördengänge zu machen. Dass alle freiwillig gekommen waren, nach Feierabend, um mich zu unterstützen, erfuhr ich erst jetzt.

Es dauerte nochmals fast eine Stunde, bis die ganze Reihe an mir vorbeigelaufen war und sich auch wirklich jeder bei mir persönlich per Handschlag verabschiedet hatte. Klaus winkte nicht mehr abschätzig und wirkte weniger skeptisch. Andrea, die die ganze Zeit zugehört, aber nie ein Wort gesagt hatte, legte ihre Hand aufs Herz und nickte lächelnd – sie konnte nicht sprechen, wenn sie auf Fremde traf – und Christine schüttelte meine Hand fest und lud mich für das nächste Mal ein, für den Fall, dass ich mal wieder Hilfe brauche…

Vielen Dank, sehr gern. Inklusion ist keine Einbahnstraße, das habe ich an diesem Nachmittag gelernt. Leichte Sprache ist wie eine Brücke, die verbindet.

Der Text, der jetzt auf unserer Seite steht (übrigens ohne das Wort Zentralrat), wäre ohne die Unterstützung dieser Menschen nicht entstanden. Und ganz ehrlich, haben Sie gewusst, was Leichte Sprache ist, bevor Sie das hier gelesen haben?

  

 

Der Text auf dieser Seite ist in schwerer Sprache.

Der Text ist von der Landes-Zentrale.

In dem Text steht:
Die Landes-Zentrale findet Informationen in Leichter Sprache sehr wichtig.

Die Landes-Zentrale dankt den Menschen im Diakonissen-Haus in Teltow für die Hilfe.

Für einen Text in Leichter Sprache über die Landes-Zentrale klicken Sie mit der Maus auf das Buch-Zeichen an der Seite.

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Jana Steinke
© fbn
Dr. Jana Steinke ist stellvertretende Leiterin der Landeszentrale. Sie leitet den Bereich Webkommunikation/ Digitale Bildung und interessiert sich für Menschen und alles, was sie miteinander ins Gespräch bringt. Dafür reißt sie gern Barrieren ein. Leichte Sprache liegt ihr besonders am Herzen.

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Kommentare

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Nee, hab ich noch nie gehört, wohl aber in der Mathematik, leichte und schwere Aufgaben. Also, ich finde es gut, dass sich eine politische Einrichtung um Einfachheit in Sprache und Ausdruck bemüht. So werden alle einbezogen und können mitbestimmen.
Drei Fragen an die Autorin:
1. Hatten Sie das Gefühl, dass die Gruppe vorbereitet war?
2. Sollte solch eine Veranstaltung wiederholt werden?
3. Kann man diese Art der Veranstaltung auch in Altersheimen bzw. bei Menschen mit beginnender Demenz anwenden?
Raini

Hallo Raini, ja, die Gruppe wusste, dass ich komme. Die Leiterin hatte die Gruppe auf meinen Besuch vorbereitet. Ob so eine Veranstaltung wiederholt werden sollte? Nach meiner jetzigen Erfahrung würde ich es wohl teilen: in einen ersten Besuch zum Kennenlernen und einen zweiten, um am konkreten Text zu arbeiten.

Für einen Text in Leichter Sprache ist es zwingend notwendig, dass man ihn durch die Menschen, für die er geschrieben werden soll, prüfen lässt. Wenn man gar keine Erfahrung damit hat, kann man sich von Experten begleiten lassen. Mit ihnen haben wir uns auch beraten. Bei vielen Lebenshilfe-Vereinen finden Sie inzwischen Ansprechpartner für Leichte Sprache. Ich würde Ihnen empfehlen, sich mit Ihrer Frage zu Demenzkranken an diese Experten zu wenden, um die konkreten Bedürfnisse zu besprechen.

Leichte Sprache richtet sich nicht grundsätzlich an Bewohner*innen von Altersheimen, da müsste geprüft werden, wer angesprochen werden soll.

Eine interessante Sache ist mir übrigens noch während meiner Beschäftigung mit Leichter Sprache begegnet: in Museen lesen immer mehr Besucher*innen zuerst die Texte in Leichter Sprache, um sich zu informieren und erst danach die in der sogenannten schweren Sprache.

Die Landeszentrale bewegt sich auf neuen Pfaden. Herzlichen Glückwunsch! Leichte Sprache - eine gute Möglichkeit sich Menschen mit Behinderung zu nähern. Sehr anschaulich schildert die Autorin, wie sie selbst ihre Scheu überwunden hat und es zu einem angeregten Austausch kam. Ein Gegenbesuch der Gruppe in der Landeszentrale wäre sicher eine Bereicherung für beide Seiten. Sind noch weitere Projekte vorgesehn?
Carlotta

Hallo Carlotta, ja, die Landeszentrale möchte mehr Texte in Leichter Sprache anbieten und wird daher auch weiter mit den Menschen, die sich mit Leichter Sprache informieren, zusammen arbeiten. Wir hatten die Gruppe, um die es im Text geht, zu einem Gegenbesuch eingeladen und würden uns freuen, wenn sie kommt.

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