Eigentlich fühle ich mich hier wohl. Neue Broschüre des Vereins Opferperspektive zum Alltagsrassismus in Potsdam

Die Zahl der rechten und rassistischen Gewalttaten in Potsdam ist seit Jahren hoch. 2008 dokumentierte der Verein Opferperspektive insgesamt 17 Angriffe, bei denen 44 Menschen verletzt wurden. Sieben dieser Angriffe richteten sich gegen Linke, zwei gegen nicht-rechte Jugendliche. Einer war antisemitisch motiviert, ein weiterer erfolgte aus homophoben Gründen. Sechs Angriffe hatten einen rassistischen Hintergrund.

Doch es geht nicht nur um Gewalttaten. Eine gerade veröffentlichte Broschüre der Opferperspektive beschäftigt sich mit dem Alltagsrassismus in der Landeshauptstadt. Es fängt mit (scheinbar) kleinen Dingen an, die Außenstehende oft gar nicht mitbekommen: „Ausländer“ werden geduzt oder in schlechtem Deutsch angesprochen. Die Nachbarn grüßen nicht. Obwohl die S-Bahn voll ist, bleibt der Platz neben der Migrantin frei.

Nur wer sich auf die Perspektive der Betroffenen einlässt, kann verstehen, wie verletzend derartige Verhaltensweisen sein können. Sieben (nur geringfügig redaktionell bearbeitete) Interviews enthält die 25-seitige Broschüre. Der erste Bericht ist besonders traurig: Vor 25 Jahren kam Herr C. aus Pakistan nach Deutschland. Der Dolmetscher besitzt mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft und lebt mit seiner Familie in einem Einfamilienhaus. Nun möchte er zurück nach Pakistan, weil er die Gehässigkeiten nicht mehr ertragen kann, mit denen insbesondere seine Kinder konfrontiert sind. Doch für die Kinder ist Pakistan ein fremdes Land:

„Ich will die Kinder nicht zwingen, mit nach Pakistan zu kommen, denn dort gibt es ja auch eine ganz andere Sprache. Und sie kennen ja gar nichts anderes als Potsdam. (…) Hier sind sie zu Hause und ich möchte ihnen nicht ihr Zuhause wegnehmen (…) Die Kinder können nur Deutsch, die haben gar nichts Pakistanisches, nur meinen Namen. Wenn die Leute dann sagen, das sind ausländische Kinder, das verstehe ich nicht.“

In manchen Situationen bleibt ein Interpretationsspielraum. Ist der unfreundliche Busfahrer ein Rassist oder hat er nur gerade schlechte Laune? „Man ist auf seine eigene Wahrnehmung zurückgeworfen“, heißt es in einem Interview. Doch es ist bemerkenswert, wie weit die Betroffenen ihre Toleranzgrenzen definieren. Sofern man ihn nicht körperlich angreife, habe er „kein Problem“ damit, wenn man ihn beleidige, sagt einer der Interviewten. Er könne nicht jeden anzeigen, der „Neger“ zu ihm sage. Das passiere „vielleicht einmal im Monat“. Eine andere Befragte berichtet, nur „selten“, werde sie als „Türken-Schlampe“ beschimpft. Das sei ihr „vielleicht fünf, sechs Mal passiert“. Der Rassismus wird von den Betroffenen als normal empfunden.

Was kann man tun? In einem der begleitenden Texte heißt es:

„Alltagsrassistische Äußerungen fallen … oft auch laut, im öffentlichen Raum, wo sie gehört werden sollen. Wie der oder die ErzählerIn eines Polen- oder Blondinen-Witzes baut man auf die Lacher und die non-verbale Zustimmung der Umstehenden. Da auf bekannte Stereotype zurückgegriffen wird, wissen alle, was gemeint ist. Als passiv Zuhörende wird man eingeschlossen in die mächtige Mehrheit. Schweigen bedeutet in einer solchen Situation immer Zustimmung – sowohl aus der Perspektive der Betroffenen als auch aus der Perspektive derjenigen, die sich durch dieses Verhalten über Andere stellen wollen.“

Eine PDF-Version der Broschüre, deren Herausgabe übrigens von der Landeshauptstadt gefördert wurde, gibt es hier. Die gedruckte Broschüre können Sie bei der Opferperspektive bestellen.

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