Innerer Friede - von außen gesehen

Schon als ich als DDR-Korrespondent der Frankfurter Rundschau (1977-1990) zu arbeiten begann, konnte ich mir Spötteleien zu einem DDR-Offiziellen wegen der vielen Plakate, Transparente und Spruchbänder nicht verkneifen:

"Keiner guckt hin, keiner nimmt sie ernst", beschrieb ich meinen Eindruck. Der Gesprächspartner – mit eigenen Westerfahrungen und gewohnt mit westlichen Journalisten umzugehen – entgegnete: "Wie ist das bei den Werbesprüchen im Westen? Da guckt angeblich keiner hin. Aber es wird viel Geld dafür bezahlt – denn sie wirken aufs Unterbewusstsein. Wissen Sie, wie viele Leute Coca Cola nur wegen der Werbung auf dem Piccadilly Circus trinken? Stört es Sie, dass Menschen der DDR unterschwellig für Frieden und für die Freundschaft zur Sowjetunion beeinflusst werden?"

Mich erstaunte, wie man westliche Werbung mit staatlicher Propaganda gleichsetzen konnte.

Zwar waren in der DDR Parolen zum Stichwort "Frieden" wohlfeil, wie die Ausstellung zeigt. Für einfache Menschen war es angenehm, wenn ihnen die Staatsführung bescheinigte, schon die normale Arbeit sei eine Tat für den Frieden: "Mein Arbeitsplatz – mein Kampfplatz für den Frieden" oder "Deine Friedenstat – erfüllte Pläne".

So sehr das Wort "Frieden" für eigene Propaganda instrumentalisiert wurde, so muss man der SED doch auch zugestehen: Ihren Führern war stets bewusst: sollte es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, wäre ganz Deutschland Kriegsschauplatz, auch Atomkriegsschauplatz. Insofern war der Spruch "Europa darf kein Euroshima werden" nicht nur Propaganda.

Nicht zufällig wählte das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" nach dem Treffen zwischen dem DDR-Staatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretär Erich Honecker und Bundeskanzler Helmut Schmidt am Werbellinsee 1961 diese Losung als Überschrift; die DDR wollte im Friedensprozess zwar schwieriger, aber verlässlicher Partner sein.

Von Honecker stammt der Satz: "Ich will das Teufelszeug hier nicht haben." (Herbst 1983 zu österreichischen Journalisten) Gemeint waren russische Raketen, die die Sowjetunion in der DDR stationieren wollte, falls der Westen mit der Debatte um "Nachrüstung" Mittelstreckenraketen in Westeuropa errichten sollte.

Als Ost-West-Gespräche darüber scheiterten, kündigte Honecker zu aller Überraschung keineswegs eine "Eiszeit" sondern "Schadensbegrenzung" an, ein Wort, das ihm einen Rüffel aus Moskau einbrachte. "Der Weg der Schadensbegrenzung ist ein Irrweg", schrieb die "Iswestija".

Berlin, 1986

Zu Beginn der achtziger Jahre gab es zwei gesellschaftliche Gruppen, die meinten, wenn schon von Frieden die Rede ist, seien auch sie dazu berufen. Sie wollten das Thema Frieden nicht mehr allein der SED überlassen.

Beide Gruppen waren nicht staatskonform, aber standen auch nicht in grundsätzlicher Opposition zur DDR: Die eine waren Evangelische und Katholische Kirche, die andere die Schriftsteller.

Um die Kirche scharten sich oppositionelle Gruppen; um die Schriftsteller viele Intellektuelle.

Die DDR-Geschichte belegt: nicht Weggucken vor ihren Friedensparolen hat die DDR erschüttert sondern die Auseinandersetzung damit. Im übrigen war Nebeneffekt, dass die offiziell mit Friedenspropaganda beauftragte Organisation, die DDR-Abteilung des Weltfriedensrats, ins politische Abseits geriet. Kirchen wie Schriftsteller nutzten zudem internationale Konferenzen, also mit weltweiter Aufmerksamkeit, für ihren Vorstoß.

Die Kirche eröffnete im Oktober 1981 auf neutralem Terrain. Erstmals tagte der Weltrat der Kirchen in der DDR. Da bot sich das Thema Frieden geradezu an. Zwei Monate später konnte sich Schriftsteller Stephan Hermlin seinen Traum einer Schriftsteller-Begegnung in Ost-Berlin erfüllen; natürlich nur mit höchster Billigung. Seitdem aber mussten die Herrschenden ständig, zuweilen rabiat, zuweilen peinlich, einen Abwehrkampf gegen Forderungen nach Frieden führen. Sahen Kirchen und Schriftsteller doch gleich die besondere Schwäche der Friedenspropaganda. Wer "Frieden" sagt, kann nicht nur Sicherheit und Zusammenarbeit über Grenzen meinen sondern muss auch "inneren Frieden" herstellen.

Auf der Konferenz des Weltrats in Dresden warnten Laienspieler, einfach die Sprache der Regierenden zu übernehmen, also auch nicht die der Spruchbänder und Plakate. Zum Thema der Kirche machten dort Jugendliche ihre Forderung nach einer Alternative zum Wehrdienst, die sie "Sozialen Friedens-Dienst" nannten. Verweigerern reichte die Möglichkeit, des "Bausoldaten" (also militärische Anlagen bauen oder erhalten) nicht mehr. Als "staats- und verfassunsgwidrig" wehrte die SED diesen Vorstoß ab.

Schwerter zu Pflugscharen
Damals entstand der Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen", nachgebildet einer Skulptur, die ausgerechnet die Sowjetunion der UNO in New York geschenkt hatte und die vorm UN-Gelände steht. Wieder fielen der SED nur Repressalien und eine neue Losung ein.

Es gab "Zuführungen" (Vorführen auf der Polizeiwache) zuhauf, der Aufnäher wurde abgetrennt, der Delinquent mit ein Drohgebärden entlassen. Die neue DDR-Losung hieß übrigens: "Frieden schaffen gegen NATO-Waffen".

Sie erinnerte sehr ans Motto der westlichen Friedensbewegung jener Jahre. "Frieden schaffen ohne Waffen".

Die von Hermlin initiierte "Berliner Begegnung zur Friedensförderung" mit Teilnehmern aus der Bundesrepublik, den Niederlanden, Dänemark, der Sowjetunion und Ungarn schien zum ungünstigsten Zeitpunkt stattzufinden: am 12. Dezember 1981, dem Tag, an dem in Polen das Kriegsrecht ausgerufen wurde. Es gab keine Resolution und kein Kommunique; allein die Worte sollten wirken. Sie bereiteten der DDR genügend Kopfzerbrechen. Schriftsteller gaben zu Protokoll, dass ihre Gedanken weit von der Parteilinie abwichen:

Franz Fühmann nannte die weltweite Friedensbewegung "Weltinnenpolitk von unten" und forderte auf, der Lüge, wo immer der Einzelne wirke, den Krieg anzusagen. Das sei das Wenige, das Viele, das ein Schriftsteller heute für den Frieden tun könne. Rolf Schneider fragte die Kollegen aus der DDR, "ob wir es zulassen dürfen, dass Kinder, denen weder der Tod noch Töten noch ein Atomblitz vorstellbar sind, mit Gewehren und Panzern spielen, jenen im Kinderzimmer und jenen bei den lustigen Ausflügen ins Manövergelände."

Christa Wolf machte es kurz: "Wenn geplant wird, dass dieses Europa in drei Jahren untergehen soll, darf man sich für die restliche Zeit wohl noch einiges herausnehmen." Die Worte, so ganz anders als offizielle Losungen, taten der SED so weh, dass sie den zugesagten Druck auf 500 Exemplare begrenzte; doch die Westauflage durfte die Grenze passieren und sorgte so doch für massenhafte Verbreitung.

Am 13. Februar 1982 nahmen sich rund 5000 junge Menschen in Dresdens Kreuzkirche ganz im Sinne Wolfs "etwas heraus": sie versammelten sich zu einem Friedensforum am Tag der Bombennacht von 1945 – in der historischen Bedeutung war dieses Forum wohl wichtiger als die Demonstration der 300 000 im Bonner Hofgarten ein paar Monate zuvor.

Von Jahr zu Jahr erhielt das Dresdner Treffen Andersdenkender mehr und mehr Zulauf und wurde wichtige Diskussionsrunde über inneren Frieden in der DDR. Die SED entmottete daraufhin eine längst eingeschlafene, einst gegen die Westalliierten, die ja die Bomben geworfen hatten, gerichtete Demonstration. Zu ihr wurden die Werktätigen aufgeboten, liefen freilich schon davon, bevor der erste Redner dran war.

Hier können nicht alle Schritte von den Friedens-Losungen bis zur friedlichen Revolution aufgezeigt werden. Doch 1987 fanden –der Kreml-Chef hieß Michail Gorbatschow – zwei Ereignisse statt; jeweils von Kirchen und von Schriftstellern veranstaltet. Kirchliche Gruppen beteiligten sich am "Olof-Palme-Friedensmarsch" für eine atomwaffenfreie Zone (dazu hatte der Friedensrat der DDR aufgerufen) und veränderte dessen Charakter völlig. Zum ersten Mal wanderten SED-Genossen und Andersdenkende mit unterschiedlichen Plakaten nebeneinander und übten eine Kultur des politischen Streits.

Berlin, 1984

Berlin, 1984

Kaum hielt einer von einer kirchlichen Gruppe die Losung hoch "Friedenserziehung statt Wehrunterricht". malten SED-Genossen: "Wehrunterricht ist Friedenserziehung". Die Träger beider Transparente gingen einträchtig nebeneinander und debattierten ihre unterschiedliche Meinung; zum Ärger des DDR-Fernsehens: das wollte nur offizielle Losungen aufnehmen. Gelungen ist das kaum.

Wenige Wochen später trafen sich die Schriftsteller zu ihrem (alle fünf Jahre stattfindenden) Kongress und führten ein so offenes Wort, wie man es bis dahin nicht gewohnt war. Günter de Bruyn sprach ohne Hemmungen die Zensur an, Jurij Koch versicherte, er werde künftig "die andere Seite dialektischer Einheit mitdenken; denn Zweifel gehört zur Ethik des Berufs". Die abwesende Christa Wolf forderte im Grußwort, "den Ursachen der Konflikte nachzugehen."

Die erste Oppositionsgruppe, die 1987 aus dem schützenden Dach der Kirche heraustrat, gab sich den Namen "Initiative für Frieden- und Menschenrechte", übrigens wurde sie angestoßen von Gerd Poppe, einem der Vordenker der damaligen Opposition, heute Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Die Initiative hat ebenso wie die 1988 und 1989 von Evangelischer und Katholische Kirche einberufene "Ökumenische Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" in Dresden, Magdeburg und wieder Dresden die friedliche Revolution geistig mit vorbereitet. Im Februar 1988 befassten sich von fast 3000 Zuschriften zum Thema "Gerechtigkeit" zwei Fünftel mit "Gerechtigkeit in der DDR-Gesellschaft", angefangen von der Forderung nach individuellen Freiheitsrechten bis hin zur Gerechtigkeit gegenüber Ausländern.

Zu Beginn des Jahres 1989 listeten die Kirchen noch einmal gemeinsam "Ohnmachtserfahrungen, die entmutigen" auf: "Fehlen von Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Nicht aufzufallen, sei die beste Lebensart. Der Bürger sage nicht, was er denke, weil von ihm anderes erwartet wird. Schon regelmäßige kleine Zirkel gerieten in den Verdacht der Staatsfeindlichkeit. Fehlende Freiräume drängten viele an den Rand der Gesellschaft."

Berlin, 1982

Berlin, 1982

Es fällt auf, dass Jürgen Nagel in dieser bewegten Zeit kaum noch Friedens-Fotos geschossen hat. Das lag zum einen daran, dass sich die SED zu Zeiten von Perestroika und Glasnost (die russischen Wörter heißen "Umbau" und "Offenheit") mit Sprüchen zurückhielt.

Zum andern bestimmten nun jene Menschen die Parolen, die bis dahin Opfer waren; aufgeschrieben wurden sie erst später, solche wie "Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom", " Ich liebe die DDR grenzen-los" oder "Friedhofsruhe in der Tiefkühltruhe".

Dass die erste erfolgreiche Revolution der deutschen Geschichte friedlich verlief, ist der Tatsache zu verdanken, dass die Hauptakteure, ob sie aus dem Umfeld der Kirche oder dem der Schriftsteller kamen, frühzeitig eine "Kultur des Streits" eingeübt haben.



Karl-Heinz Baum
Frankfurter Rundschau
von 1977 bis 1990 Korrespondent in der DDR

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