Wer nur in Freund-Feind-Kategorien denkt, für den mutieren Meinungsverschiedenheiten und Konflikte schnell zum ultimativen Ernstfall, meint Patrick Gensing. Die Verrohung der politischen Kultur in unserem Land sei auch eine Folge kompromisslosen Denkens.
In den vergangenen Monaten hat sich der Ton in der Flüchtlingsdebatte massiv verschärft. Unter anderem die Pegida-Bewegung setzt auf aggressive Rhetorik sowie Parolen; dennoch wurde die Bewegung lange von Medien und Politikern als asyl- oder islamkritisch verharmlost. Mittlerweile wird aber immer deutlicher, dass viele Anhänger von Pegida nicht nur rassistischen Parolen folgen, sondern völkische Ideologie verinnerlicht haben. Sie wollen keine heterogene und offene Gesellschaft, sondern ein homogen-geschlossenes Volk.
Und so schärften Pegida und ihre Ableger ihre Feindbilder: Statt ausschließlich gegen Flüchtlinge - angebliche islamistische Invasoren - ging es zunächst auch gegen die „Lügenpresse“, bis schließlich die politische Spitze des Landes ins Visier genommen worden ist. Einen Galgen, reserviert für Kanzlerin Merkel und Vize-Kanzler, präsentierten Demonstranten in der vergangenen Woche. Zudem werden Politiker immer wieder als „Volksverräter“ beschimpft, weil sie viel zu viele Flüchtlinge ins Land ließen.
Die Selbstversicherung als „gute, normale Deutsche“ sowie die Kompromisslosigkeit sind dabei bezeichnend. Typische Elemente einer rechtsradikalen Ideologie machen nämlich die Verabsolutierung der eigenen Gruppe als homogenes Kollektiv sowie ein manifestiertes Freund-Feind-Denken aus, das bei Pegida Woche für Woche geradezu beispielhaft aufgeführt wird.
Der Staatsrechtler Carl Schmitt schrieb 1928 in seinem Buch "Der Begriff des Politischen", dass nur Kollektive wie das Volk oder die Nation als politische Subjekte gelten. Daher besteht Pegida so lauthals darauf, das Volk zu sein. Dazu kommt aber noch, dass diese Kollektive homogen sein müssten, so Schmitt, der als ein ideologischer Wegbereiter der Nazis gilt. Wer dieser Logik zufolge Andersartigkeit akzeptiert, schwächt das Kollektiv – und daher richtet sich der Hass ganz besonders gegen die, die als „Volksverräter“ identifiziert werden. Also gegen alle die, die das vermeintlich homogene Kollektiv, das Volk, durch eine liberale Politik in Fragen der Einwanderung oder auch Minderheitenrechte verraten würden.
Kompromisse gelten als Zeichen der Schwäche
Menschen, die solchen Ideologien anhängen, führen ein anstrengendes Leben, denn sie führen stets einen Kampf um das Ganze, immer muss eindeutig zwischen Freund und Feind unterschieden. Meinungsverschiedenheiten und Konflikte, die im demokratischen Diskurs vollkommen normal und notwendig sind, mutieren so umgehend zu einem grundsätzlichen Ernstfall, weil in jedem Konflikt eine Gefahr für das Volk, das eigene Kollektiv interpretiert wird – und somit ein Kampf um das Überleben wird. Kompromisse und Minderheitenrechte werden ausgeschlossen, weil jedes Zugeständnis als ein Zeichen von Schwäche gesehen wird.
Daher hetzt Pegida nicht nur gegen Flüchtlinge, was schlimm genug wäre, sondern stellt das System des liberalen Rechtsstaats zur Disposition, weil dieser keine homogenen geschlossenen Kollektive kennt, sondern jedem menschlichen Individuum seine Grundrechte garantiert – so zumindest die Theorie.
Angriff auf die Demokratie und ihre Repräsentanten
Der Anschlag von Köln ist der bisherige Tiefpunkt in der Serie von Angriffen auf Repräsentanten des demokratischen Systems, aber auch in Brandenburg wurden Parteibüros mehrfach Ziel von Angriffen. Ende August war auch Ministerpräsident Woidke betroffen. Auf das Bürgerbüro des Ministerpräsidenten in Spremberg warfen Unbekannte Steine, das Schaufenster wurde großflächig beschädigt. Die Ermittler vermuteten einen rechtsradikalen Hintergrund.
Laut brandenburgischem Innenministerium hat die Zahl politisch motivierter Anschläge auf Parteibüros 2015 im Land erheblich zugenommen. In den meisten Fällen waren Räume der Linken das Ziel der Straftäter. Außerdem wurden in Südbrandenburg immer wieder Gebäude mit rechten Symbolen beschmiert. Man sollte diese Anschläge sehr ernst nehmen, auch wenn es bei Sachbeschädigungen bleibt. Die Täter sind keine Bürger, die ein paar Sorgen haben, sondern sie greifen den Rechtsstaat, der für eine offene und tolerante Gesellschaft steht, frontal an.
Patrick Gensing ist Blogger, Journalist und Nachrichtenredakteur. Für die Netzinitiative publikative.org – eine Seite, die zunächst als NPD-Watchblog bekannt wurde, wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er schreibt zu Fachthemen wie Antisemitismus, Medien, Rechtspopulismus und -extremismus.
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Kommentare
KommentierenHomogenität
Es wäre für die Diskussion sicherlich hilfreich, wenn der Autor erst einmal genauer definieren würde, was er konkret unter einem "homogenen System" oder einem "homogenen Kollektiv" versteht bzw. als solches definiert. Mir fällt in diesem Zusammenhang immer die SED-Diktatur ein, in der eine Einheitspartei nicht nur für sich in Anspruch nahm, "immer recht" zu haben (ideologische Homogenität), sondern selbst Abweichungen in der Haarschnittlänge und der Kleidung sanktionierte. Aber ist das die Homogenität, die Herr Gensing meint? Oder sind es am Ende doch nur diejenigen Protagonisten, die der "alternativlosen" Politik unserer Bundeskanzlerin etwas entgegensetzen?
Lieber Herr
Lieber Herr Gensing,
Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind erträglich, solange sie
(a) moderat bleiben
(b) präzise Tatbestände erfassen (nicht wolkige Formeln wie "Hetze" usw.)
(c) nach allen Seiten gleich gehandhabt werden (wer Galgen und Guillotinen auf linken Studenten- und Gewerkschaftsdemonstrationen hinnimmt, darf sich über Galgen auf rechten Demonstrationen nicht beschweren)
Im übrigen sind Bedrohungen Teil jeden politischen Diskurses: wie lange werden Pegida-Anhänger schon bedroht, durch Regierungsvertreter mit Polizei und Verfassungsschutz, durch Antifa-Aktivisten mit Outing und Verlust des Arbeitsplatzes (was alles doch sehr real ist und viel häufiger vorkommt als ein Attentat). Die Grenzen des politischen Diskurses können deshalb unmöglich vorfixiert sein, sondern sind selbst Gegenstand des Diskurses, aus dem sich eben gesellschaftliche "Aufrüstung" und "Abrüstung" ergeben.
Es gibt also, neben den großen ideengeschichtlichen Kontinuitäten, die bei Links und Rechts getrennt laufen, eine Menge Wechselwirkung, Aufeinander-Reagieren, Eskalationsspiralen. Sogar ein Intellektueller wie Carl Schmitt war nicht einfach ein Fortsetzer rechter Traditionen, sondern (gerade in seinen besten Arbeiten) einer, der auf die Weimarer Republik reagierte, ihre Ansprüche mit der Realität verglich und sie von innen heraus kritisierte. Um wieviel mehr gilt das für die nicht-intellektuellen Anhänger der Pegida, die nie Carl Schmitt gelesen haben, aber jeden Tag ihre regierungstreue Lokalzeitung lesen und sich mit deren Meinung auseinandersetzen.
?
1. Nehme ich keine Galgen auf anderen Demos hin, ich finde solche Symbole immer unakzeptabel. Das Relativieren durch den Verweis auf andere ähnliche Aktionen, wann und wo auch immer, macht nichts besser und 2. Was wollen Sie mir genau sagen? Dass wir nun darüber diskutieren sollten, ob Hetze (Galgen, KZ-Bezüge, Drohungen gegen Medien) künftig zum demokratischen Diskurs gehören sollte?
Gensing
In der Kürze liegt die Würze. P. Gensing schafft es in einem kurzen Text nicht nur die Gefahr zu erklären, die in PEGIDA steckt, sondern auch noch, was grundsätzliche Prinzipien einer westlichen Demokratie sind. Beides ist, wie man z.B. an PEGIDA sieht, bei vielen Menschen in den neuen Bundesländern nicht klar. Sehr guter Text!
Liebes "Recht auf
Liebes "Recht auf Opposition",
ich schreibe von "Meinungsverschiedenheiten und Konflikte[n], die im demokratischen Diskurs vollkommen normal und notwendig sind". Der demokratische Diskurs endet dort, wo Kollegen der "Lügenpresse" bedroht und Galgen reserviert werden. Genauso verhält es sich mit der Meinungsfreiheit. Pegida-Redner Pirincci kann diese für sich proklamieren, doch nicht jede Hetze, Aufstachelung zum Hass und Beleidigung ist davon gedeckt.
Scheint schwierig zu sein, das zu verstehen. Dabei ist es eigentlich so einfach.
Gruß,
Patrick Gensing
Recht auf Opposition
Gensing stellt hier die freiheitliche Demokratie in Frage, deren Wesenskern gerade das Recht auf Opposition ist (auch auf Opposition gegen Gensings "heiligste Güter").
Politiker sind also nicht per se als Repräsentanten der Demokratie zu betrachten, sondern der Bürger hat das gute Recht, mit allen, auch polemischen, Mitteln auf ihre Abwahl hinzuwirken.
Der Bezug zu Carl Schmitt ist an den Haaren herbeigezogen: wer bei Pegida mitgeht, hat ganz konkrete Erfahrungen und Befürchtungen und braucht dafür keine große politische Theorie - aber selbstverständlich haben alle Menschen die Neigung und auch das Recht, sich zu möglichst homogenen Gruppen zusammenzuschließen; das gilt für den Antideutschen schließlich genauso wie für den Deutschen.
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