Svenja Schöneich über globale Lieferketten

Die globalen Lieferketten sind derzeit gestört. Wie es dazu kommen konnte? Was Lieferketten überhaupt sind und warum wir diese brauchen? Und wie sich solche Krisen in Zukunft verhindern lassen? Darüber haben wir mit Svenja Schöneich, Wissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, gesprochen.

Europaletten
© Alexander Fox | PlaNet Fox auf Pixabay CC0 1.0

Was sind globale Lieferketten?

Globale Lieferketten kann man sich vorstellen als den Weg eines Produktes vom Abbau oder der Ernte bis zu den Konsumentinnen und Konsumenten über ein weltumspannendes Netz an Produktionsstätten sowie Liefer- und Zulieferbeziehungen zwischen den einzelnen Akteuren.

Haben Sie ein Beispiel?

Das unterscheidet sich für verschiedene Produkte. Bei Agrarprodukten sind die Lieferketten zum Beispiel ein wenig einfacher. Denn: Eine Banane ist schon ein fertiges Produkt, das in dieser Form den Baum verlässt und beim Konsumenten dann in der Obstschale landet. Die einzelnen Zwischenschritte wie der Transport und vielleicht noch die Reifung sind überschaubar. Bei metallischen Lieferketten ist der Weg weitaus komplizierter. Der ursprüngliche Rohstoff der abgebaut wird, unterscheidet sich maßgeblich vom Produkt, das am Ende herauskommt.

Nehmen wir das kleine Stückchen Kupfererz, das sich im Gestein befindet. Es wird geschmolzen, raffiniert und transportiert. Danach wird es verarbeitet, wiederum in eine neue Form, wie einen Draht oder eine Legierung, gebracht und dann erneut weiterverarbeitet, um schließlich zum Beispiel in einem Elektrogerät, wie einem Handy oder einem Toaster, zu landen.

Svenja Schöneich
Svenja Schöneich ist Wissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Seit Januar 2021 ist sie dort wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Transnationale Governance-Ansätze für nachhaltige Rohstofflieferketten“. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören: Nachhaltigkeit bei globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten, Kupferlieferkette aus dem Andenraum in die EU und Ressourcenextraktion in Lateinamerika.

Warum brauchen wir überhaupt globale Lieferketten?

Weil wir sonst die Produkte die wir haben, nicht hätten. Ohne Lieferketten würden wir nur noch sehr einfache Kleidung tragen und gegebenenfalls Äpfel und vielleicht rohes Getreide essen können. Die meisten Produkte, die wir beziehen, können wir aus unterschiedlichen Gründen nicht auf unserem Balkon wachsen lassen. Nehmen wir zum Beispiel Handys. Die meisten Bestandteile, aus denen ein Handy besteht, gibt es bei uns nicht. Und zwar weder in Brandenburg, noch in Deutschland, noch in Europa. Stattdessen werden sie in ihrer Reinform woanders abgebaut und auch woanders weiterverarbeitet.

Bei anderen Produkten, wie etwa Agrarprodukten, kommt es darauf an. Manchmal beziehen wir Produkte aus anderen weit entfernten Ländern, obwohl sie hier wachsen. Ein Beispiel sind Äpfel aus Neuseeland. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Das kann zum Beispiel an einer sehr hohen Nachfrage, den Kosten oder den Verarbeitungsmöglichkeiten liegen.

Was sind die Ursachen für die gegenwärtige Krise in den globalen Lieferketten?

Die Covid-Pandemie hat in Produktionsländern wie China zu Engpässen geführt, weil dort zeitweise immer wieder Fabriken geschlossen waren beziehungsweise sind und die Produktion nicht weitergehen kann. Das ist insofern ein Problem, weil Teile fehlen – manchmal der Rohstoff, manchmal ein fertiges Medikament, aber es auch einfach bei der Verarbeitung oder beim Transport hakt.

Mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine verhält es sich ähnlich, denn auch hier wurden einige Waren durch den Krieg aufgehalten, zum Beispiel Weizen und Rapsöl. Auf einmal geht es nicht mehr weiter, obwohl es das Produkt theoretisch gäbe, es kann aber nicht mehr transportiert werden. Damit ist die Lieferkette unterbrochen.

Welche Auswirkungen hat das für uns als Verbraucherinnen und Verbraucher?

Wir kommen nicht mehr an unsere Produkte oder zumindest nicht mehr so einfach. Teile zur Reparatur eines Geräts oder auch ganze Produkte sind nicht mehr lieferbar. Einzelne Nahrungsmittel verteuern sich ungemein, weil sie nicht mehr aus den gewohnten Gegenden bezogen werden können, sondern stattdessen aus anderen Weltregionen hergeholt werden müssen.

Welche sozialen und ökologischen Folgen haben globale Lieferketten?

Auch hier kommt es wieder sehr auf das Produkt an. Bei Agrarprodukten, wie Soja, das wir als Tierfutter sehr viel beziehen, zum Beispiel aus Brasilien, geht der Abbau oft mit negativen Folgen für den Waldbestand einher: Diese werden für die Produktion abgeholzt.

Im Bereich Bergbau gibt es wiederum ganz andere Umweltfolgen und Schäden. Kupfer wird zum Beispiel meist in einem großen Tagebau abgebaut. Durch die Aushebung riesiger Krater, in denen nach Erz gegraben wird, kommt es zu massiven Eingriffen in die Umwelt. Beim Schmelzen werden außerdem große Mengen Energie aufgewendet und bei der Raffinade giftige Substanzen eingesetzt. Hier kann es immer wieder zu Schäden kommen.

Es gibt schon verschiedene Ansätze, das so weit wie möglich zu reduzieren und so weit wie möglich einen umweltverträglichen Bergbau und eine umweltverträgliche Verarbeitung anzuwenden, aber das ist natürlich auch immer nur in Teilen möglich und wird auch nicht überall stringent durchgezogen. Daher kommt es immer wieder zu Umweltrisiken, die dann auch oft mit Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen einhergehen.

Missing Produkt.

Was wird gegen die negativen Folgen getan?

Es gibt verschiedenste Ansätze aus unterschiedlichen Ländern zur Regulierung von Lieferketten. In Deutschland wurde 2021 zum Beispiel ein Lieferkettengesetz verabschiedet, das 2023 in Kraft treten wird. Dieses wird anfänglich nur für Unternehmen mit über 3.000 Mitarbeitern, ab 2024 dann aber auch für Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern gelten. Diese Unternehmen müssen dann Sorgfaltspflichten in Form von Berichten vorlegen, die von einer zentralisierten Kontrollbehörde, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), gesichtet und kontrolliert werden. In den Berichten sollen sie darlegen, wie ihre Geschäftspraktiken und die Geschäfte ihrer direkten Zulieferer sind. Das bezieht sich jetzt erst einmal nur auf direkte Zulieferer.

Das heißt, wenn ich ein Auto produziere und dafür Kupferdraht brauche, dann muss ich meine Lieferbeziehung zu dem Drahthersteller offenlegen. Was ich nicht muss, ist, das kleine Stückchen Kupfer über die Raffinerie, die Schmelzung und den Transportweg bis zur Mine zu verfolgen. Das müssen Unternehmen nur dann, wenn sie belegte Kenntnis von Menschenrechtsverletzungen entlang dieser Lieferketten haben.

In dem Entwurf der Europäischen Union für ein europäisches Lieferkettengesetz, der gerade diskutiert wird, ist das anders. Da sollen Unternehmen ihre Lieferketten ganz nachvollziehen. In welcher Form das konkret ausgestaltet wird, wird sich aber erst noch zeigen, da es sich derzeit noch um einen Entwurf handelt.

Wie lassen sich die Anfälligkeit von Lieferketten reduzieren und Krisen in Zukunft verhindern?

Eine komplette Vermeidung von Krisen ist sicherlich nicht ganz einfach. Die Covid-Pandemie war nicht in dem Sinne absehbar und daher wohl auch nicht so leicht vermeidbar. Der Krieg in der Ukraine hätte vermutlich zwar durch einen einzelnen Menschen vermieden werden können, aber der hatte daran kein Interesse. Solche Situation werden sich auch in Zukunft ergeben und daher kann es auch weiterhin immer wieder zu Krisen in Lieferketten kommen.

Nichtsdestotrotz muss es mehr in Richtung Fairness und Augenhöhe im Handel gehen. Und es muss klar sein, dass Widerstandsfähigkeit von Lieferketten ganz eng mit Fragen von Nachhaltigkeit verknüpft ist und deswegen auch zusammengedacht werden muss. Es kann nicht nur darum gehen, möglichst den günstigsten Preis für ein Produkt zu erzielen, egal was da komme, sondern es muss klar sein, dass gute Produktionsbedingungen ein wichtiger Bestandteil sind und gewährleistet werden müssen, weil es sonst zu Krisen und Erschütterungen kommen wird.

Wichtig ist auch, dass potenzielle Konflikte und Risiken erkannt werden, damit dann zum Beispiel nicht eine Mine aufgrund einer Umweltkatastrophe oder eines großen Streiks geschlossen werden muss und deswegen dann ein bestimmtes Metall aus dieser Mine nicht mehr bezogen werden kann. Wenn die Produktionsbedingungen bekannt sind und auch überwacht werden, dann können kleinere Störungen sicher besser vermieden werden.

Und was können wir selbst für sozialere, ökologische und krisenfeste Lieferketten tun?

Das ist als einzelne Konsumentin, als einzelner Konsument nicht ganz einfach. Wir können versuchen, besser zu verstehen, woher unsere Produkte kommen und vielleicht auch ein bisschen zu verstehen, mit welchen Risiken und Nebenwirkungen die Produktion verbunden ist.

Wir können auch versuchen, so gut wie möglich nur nachhaltig hergestellte Produkte zu beziehen. Aber das ist natürlich nicht immer in vollem Umfang möglich und auch manchmal relativ schwierig – da wir oft gar nicht immer wissen, wie die Produktionsbedingungen denn nun genau waren. Außerdem kann man sich auch öffentlich zusammentun und dafür einsetzen, dass es zu mehr Transparenz und einer Durchsetzung von Gesetzen und Regularien kommt und vor allem können wir erst einmal die Nachfrage für nachhaltige Produkte schaffen beziehungsweise erhöhen.

BLPB, Juni 2022

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