Toralf Staud über Menschen, die sich vor Zumutungen schützen

Rund 99 Prozent der Studien aus der Klimaforschung stellen fest, dass der Mensch hauptsächlich für den Klimawandel verantwortlich ist. Trotzdem verharmlosen oder leugnen Menschen genau das. Warum das so ist und wie man darauf reagieren kann, haben wir den Journalisten Toralf Staud gefragt.

Toralf Staud. Redakteur bei klimafakten.de
© BLPB

Unser Gesprächspartner: Toralf Staud ist Redakteur bei klimafakten.de Er wurde mit dem Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus ausgezeichnet (2012) und als Teil eines Teams von Zeit und Zeit Online mit dem Deutschen Reporterpreis in der Kategorie Datenjournalismus (2016). 2023 war er zu einem Gastvortrag in der Landeszentrale.

Warum meinen manche Menschen, der Mensch habe mit dem Klimawandel nichts oder wenig zu tun?

Es gibt viele Gründe, warum Leute den Klimawandel leugnen oder verharmlosen. Am bekanntesten - und am meisten diskutiert - sind Leute, die Geld dafür kriegen oder diese gesteuerten Kampagnen von politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen. Aber ich glaube, das wird überschätzt. Viel spannender finde ich Leute, die das aus innerer Überzeugung machen, also Leute, die nicht dafür bezahlt werden. Und wenn man da auf die Motivation guckt, dann gibt es zum Beispiel Leute, die fühlen sich durch Klimaschutz oder überhaupt das ganze Klimathema in ihrer Identität bedroht oder angegriffen.

Lesetipp

Haben Sie ein Beispiel?

Wenn ich beispielsweise ein pensionierter Ingenieur aus der Braunkohlebranche bin, mein Leben in Versorgungssicherheit gesteckt habe und dafür brenne, und wenn dann jemand kommt und pauschal sagt, Braunkohle ist ein Verbrechen, dann wehre ich das natürlich erst einmal ab. Weil jeder Mensch gut sein will. Jeder Mensch hat ein Selbstbild.

Diese psychologischen Mechanismen sind nach meiner Beobachtung bei sehr vielen Leuten der Grund, warum sie sich gegen Erkenntnisse der Klimaforschung wenden. Weil es ihre Identität angreift. Ganz häufig ist es ein Nichtwahrhaben-Wollen oder der Wunsch, sich vor Zumutungen zu schützen oder in seiner Bequemlichkeit zu verharren. Das ist eine grundmenschliche, psychologisch gut erforschte Reaktionsweise. Dass man Dinge, die einem nicht passen, ausblendet.

Das ist, glaube ich, die häufigste Motivation dafür, dass Leute sich die Fakten zurechtbiegen und dann auf gesteuerte, bezahlte Kampagnen anspringen und sie weiterverbreiten. Die allermeisten Leute, die Zweifel oder Desinformationen verbreiten oder nachplappern, die werden nicht dafür bezahlt, sondern für die gibt es eine innere Motivation, eine psychologische Entlastungsmotivation. 

Welche Strategien nutzen Menschen, die den menschengemachten Klimawandel anzweifeln?

Wir setzen uns bei Klimafakten.de seit rund zehn Jahren mit Desinformationen auseinander. Wir und auch andere Kolleginnen und Kollegen haben sehr schnell typische Strategien entdeckt. Die kann man kurz in einem Wort zusammenfassen: PLURV.

Plakat mit der Erklärung für PLURV

PLURV: Die Infografik im PDF-Format

P steht für die sehr beliebte Methode, Pseudo-Experten auftreten zu lassen. Das sind Leute, die nur so tun, als seien sie Experten.

L steht für logische Fehlschlüsse. In diesen Argumentationen werden häufig Sachen gesagt, die auf den ersten Blick erst mal überzeugend wirken. Wenn man die aber genau anguckt, sind sie unlogisch.

U steht für unerfüllbare Erwartungen an die Klimaforschung. Das ist eine Strategie, die bei aller Wissenschaftsverfälschung erfolgreich ist. Wir haben einfach zu hohe Erwartungen, etwa dass die Medizin jeden Kranken heilt. Das kann Medizin nicht. Diese unerfüllbaren Erwartungen sind ein sehr häufiges Mittel von Desinformation.

R steht für Rosinenpickerei, dass heißt, man sucht sich nur die Daten oder nur die Informationen heraus, die die eigene These stützen. 

V kennt jeder. Es steht für Verschwörungsmythen. Es wird behauptet, was gerade passiert, sei böswillig. Dass da Forscher sind, die sich verschworen haben.

PLURV-Strategien, und es sind tatsächlich Strategien, tauchen immer wieder auf. Das Tolle ist, wenn man sie einmal verstanden hat, dann erkennt man diese Muster auch wieder. 

Poster und Spiel zum Klimaschutz

Interaktives Spiel

Nicht ich.
Nicht jetzt.
Nicht so.
Zu spät.

Mit welchen Sätzen Klimaschutz (aus)gebremst wird.
 

Im Bekannten- oder Familienkreis sind viele unsicher, wie sie reagieren sollen. Was empfehlen Sie?

Das hängt wirklich von der jeweiligen Person ab. […] Es gibt eine ganze Menge Dinge, die man im Hinterkopf haben sollte. Zum Beispiel, dass man sich wirklich die Motivation anschauen sollte. Es ist unklug, Leute frontal anzugreifen oder, was auch nicht viel bringt, noch mehr Informationen auf die Leute draufzuknallen und zu denken, “ach, die wissen noch nicht genug.” Das bringt häufig nichts. Was die Forschung hingegen zeigt, ist, dass es Erfolg versprechender ist, auf die Werte von Menschen einzugehen. Also zu fragen, was bewegt diese Person, was ist ihr wichtig, was ist ihr ein Herzensanliegen? 

Die Klimakrise ist so ein Riesenthema. Sie beeinträchtigt und bedroht wirklich praktisch alles, all unser Leben. Und man findet mit ein bisschen Nachdenken mit Sicherheit Dinge, die dem Gegenüber wichtig sind, die er mag und vielleicht sogar liebt und die er deshalb bewahren will.

Anm. d. Red.: Das Gespräch mit Toralf Staud haben wir im Rahmen unserer Veranstaltung „Klimawandel und Nachhaltigkeit: Wie moderieren wir Kontroversen in der politischen Bildung?" aufgezeichnet. Für die schriftliche Form wurden die Fragen und Antworten redaktionell bearbeitet und gekürzt. Es gilt das gesprochene Wort. Den vollständigen Wortlaut hören Sie in unserem Podcast "Was ist da los? Über Politik und Gesellschaft".

Podcast "Was ist da los? Über Politik und Gesellschaft" 

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Der Klimawandel betrifft uns alle. Klima-Kommunikationstrainer Christian Gutsche findet daher, dass es wichtig ist, darüber miteinander ins Gespräch zu kommen. Er erklärt, wie Klimakommunikation gehen kann.
 

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