Die Terrorserie des rechtsextremen NSU hat die Debatte um ein NPD-Verbot neu belebt. Ein aktuelles Forschungsprojekt könnte Argumente für Befürworter und Gegner eines Verbots aus historischer Perspektive liefern. Im Fokus: die staatliche Verbotspolitik der Bundesrepublik.
Im Interview mit der Landeszentrale sprechen Prof. Fabian Virchow und Dr. Christoph Kopke über erste Ergebnisse ihrer Studien.
Warum arbeiten die FH Düsseldorf und das Moses Mendelssohn Zentrum gemeinsam an diesem Projekt?
Virchow: Dies hat mit der schwachen institutionellen Verankerung der Forschung zur extremen Rechten an Hochschulen und damit auch den geringen Ressourcen zu tun, die für diese Forschung zur Verfügung stehen.
Es gibt also wegen fehlender Gelder kaum Forschung zu dem Thema?
Kopke: So absolut gilt das nicht. Es gibt an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen Kollegen und Kolleginnen, die sich seit vielen Jahren mit diesem Gegenstand beschäftigen – und dabei hoch interessante und gesellschaftlich relevante Ergebnisse hervorbringen. Aber die unzureichende Mittelausstattung der Einzelnen führt in manchen Fällen zu Kooperationen. Wenn dann auch noch das Interesse an ähnlichen Fragen und gegenseitige Wertschätzung hinzukommen – wie in unserem Projekt – bietet sich eine Kooperation geradezu an.
Was möchten Sie untersuchen und warum haben Sie den Zeitraum zwischen 1951 und 2010 gewählt?
Virchow: Wir untersuchen die Verbotspolitik gegen die extreme Rechte seit Gründung der Bundesrepublik bis in die Gegenwart. Wir schauen auf sich wandelnde Begründungen, aber auch auf Reaktionen der Öffentlichkeit bzw. der von den Verboten betroffenen Organisationen. Dabei ist der jeweilige Zeitkontext zu berücksichtigen.
Was heißt das genau?
Virchow: Das heißt, dass sowohl Verbote als auch die Reaktionen darauf nichts Statisches sind, sondern sich im zeitlichen Verlauf ändern können. In den 1950er Jahren stehen Politik und Öffentlichkeit zum Beispiel noch stark unter dem Eindruck des noch nicht lange zurückliegenden Nationalsozialismus. Hier ist das Motiv für Verbote sicher stärker ein „Nie wieder“.
In den frühen 1990er Jahren hingegen sollten mit den Verboten die um sich greifenden rassistischen Gewaltwellen eingedämmt werden. In beiden Fällen stellt sich auch die Frage nach dem jeweiligen Symbolgehalt der Verbote. Denn schließlich demonstriert der Staat mit den Verboten immer auch, wachsam, handlungsfähig und „wehrhaft“ zu sein. Der Beginn ist durch das erste nach der Gründung der Bundesrepublik ausgesprochene Verbot im Jahr 1951 gegen den ‚Bund junger Deutscher‘ bestimmt.
Zwischen 1951 und 2010 wurden über 70 rechtsextreme Verbände und Vereine in der Bundesrepublik verboten, 1952 mit der Sozialistischen Reichspartei auch eine Partei. Das ist im Schnitt etwas mehr als ein Verbot pro Jahr auf Landes- und Bundesebene. Wie bewerten Sie diese Bilanz?
Kopke: Diese Zahl zeigt, dass von Verbotsmaßnahmen insofern begrenzt Gebrauch gemacht wurde als zu jeder Zeit zahlreiche andere Vereinigungen der extremen Rechten bestanden, die weitgehend ungehindert ihrer Tätigkeit nachgegangen sind. Da Verbote insbesondere Vereinigungen getroffen haben, die offen positiv auf den deutschen Faschismus Bezug genommen haben oder gewaltorientiert waren, ist mit den Maßnahmen auch immer eine politische Botschaft der Grenzziehung verbunden gewesen. Dies hat zur politischen Randständigkeit der organisierten extremen Rechten sicher beigetragen. Allerdings: Eine umfassende Verbotspolitik hat es nie gegeben, noch weniger ist die extreme Rechte umfassend politisch sanktioniert oder gar „verfolgt“ worden, auch wenn dies Vertreter dieses politischen Lagers immer wieder behaupten.
Spiegelt sich die deutsche Wiedervereinigung in der Verbotsstatistik wider? Anders gefragt: Gibt es Unterschiede in der Verbotspolitik der Bundesrepublik vor und nach 1989?
Virchow: Die Verbote sind immer auch Reaktionen auf Prozesse innerhalb des rechtsextremen Milieus. Das relative Erstarken der extremen Rechten in der Bundesrepublik nach 1989/90 drückt sich auch in der erneuten Zunahme von Verbotsverfahren in den 1990er Jahren aus. Allerdings muss die Zahl der Verbote der letzten 15 Jahre vor dem Hintergrund relativiert werden, dass sich die Zahl der Vereinigungen insgesamt durch die Gründung von so genannten ‚Kameradschaften‘ stark vergrößert hat, die ‚Szene‘ sich also kleinteiliger organisiert.
Das Land Brandenburg hat seit 1995 insgesamt acht rechtsextremistische Organisationen verboten. Können Sie etwas zur Verteilung der Verbote auf die einzelnen Bundesländer sagen?
Kopke: Das Land Brandenburg ist auf jeden Fall führend. Zum Beispiel hat der Freistaat Sachsen seit 1990 nur zwei Vereinigungen verboten. Sachsen hat heute die stärkste rechtsextreme Szene Ostdeutschlands. Leider hat die Politik sich dort erst vergleichsweise spät dem Problem gestellt. Verbote alleine reichen allerdings nicht aus. Brandenburg hat aber gezeigt, wie erfolgreich eine Politik ist, die Repression und Prävention geschickt verbindet. Außerdem hat die Politik in Brandenburg frühzeitig versucht, bürgerschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Initiativen zu stärken. Wer sich in Brandenburg gegen Rechtsextreme engagiert, wird auch nicht zuerst unter einen „Linksextremismus“-Verdacht gestellt, wie es andernorts immer noch häufig geschieht. Das ist nicht nur regelmäßig in Sachsen zu beobachten. Auch beispielsweise in Bayern müssen sich engagierte Projekte regelmäßig aus den Verfassungsschutzberichten herausklagen.
Gibt es eine Rechtsextremismus-Grenze zwischen Ost und West, die häufig in den Medien gezeichnet wird?
Kopke: Es gibt sicherlich spezifische Faktoren, die in den jeweiligen Bundesländern wirksam werden und zum Beispiel dafür verantwortlich sind, dass die NPD in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern jeweils in der zweiten Legislaturperiode in den Landtagen vertreten ist. Es gab nach 1989/90 aus einem komplexen Ursachenbündel heraus eine vergleichsweise starke neonazistische Mobilisierung in Teilen der ostdeutschen Jugend. Das hat viel, aber nicht nur mit den soziokulturellen Verwerfungen nach der sogenannten Wende zu tun, sondern auch mit der Geschichte beider deutscher Staaten. Allerdings muss man auch sehen, dass in den frühen 1990er Jahren rechtsextreme Wahlerfolge ausschließlich in Westdeutschland erfolgten (Republikaner in Baden-Württemberg; DVU in Schleswig-Holstein usw.). Aktuell haben sich extrem rechte Jugendszenen in vielen, vor allem ländlichen, Regionen Westdeutschlands ausgebreitet und etabliert. Nein, Rechtsextremismus ist kein spezifisch ostdeutsches Problem, kommt aber in verschiedenen Formen und unter verschiedenen Rahmenbedingungen unterschiedlich zum Vorschein.
Zum Weiterlesen
Verbote extrem rechter Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Melzer, Ralf / Serafin, Sebastian (Hrsg.): Rechtsextremismus in Europa. Länderanalysen, Gegenstrategien und arbeitsmarktorientierte Ausstiegsarbeit. Berlin 2013, S. 273-295. (C. Kopke, G. Botsch und F. Virchow)
Welche unmittelbaren Folgen hat ein Partei- oder Vereinsverbot?
Virchow: Nachdem ein Verbot ausgesprochen wurde, wird die Verbotsverfügung den Repräsentanten der betroffenen Vereinigung zugestellt. Regelmäßig enthält diese Verfügung auch die Anordnung zur Beschlagnahme des Vermögens und Auflagen wie das Verbot der Fortführung bzw. der Gründung von Ersatzorganisationen sowie des öffentlichen Zeigens des offiziellen Symbols der Vereinigung. Wird dagegen verstoßen, können Strafen ausgesprochen werden. Dazu muss vom Gericht zuvor ein entsprechender Verstoß festgestellt werden.
Organisiert sich die Szene nach einem Verbot neu oder wird sie eher geschwächt? Gibt die Geschichte der Verbotspolitik darauf eine Antwort?
Kopke: Das lässt sich kaum generalisierend beantworten. In vielen Fällen findet beides statt; ein Teil zieht sich zurück, behält aber häufig die Gesinnung bei. Andere suchen nach neuen Betätigungsfeldern, die vielleicht nicht so im Fokus der Öffentlichkeit sind, oder probieren andere Organisations- und Aktionsformen aus. Insofern gibt es auch Lernprozesse.
Lernprozesse in der Szene? Gibt es deshalb die NPD noch? Forderungen nach einem Verbot gibt es schließlich seit Gründung der Partei 1964.
Virchow: Die Forderung wurde immer wieder erhoben. Allerdings galt die NPD nach ihrem Absturz in den frühen 1970er Jahren lange Zeit als politisch tot. Kaum einer hat ihr den Wiederaufstieg zugetraut, geschweige denn, einen parlamentarischen Erfolg jenseits weniger kommunaler Hochburgen. Mit ihrer Öffnung zum offen neonazistischen Teil der Szene und ihrer damit einhergehenden Wandlung zu einer neonationalsozialistischen Bewegungspartei ist die Verbotsforderung wieder aktueller geworden. Die NPD ihrerseits hat gelernt, mit dem ständigen politischen Gegenwind umzugehen. Die Mischung ihrer Führung aus langgedienten Kadern mit Erfahrungen in Jahrzehnten politischer Arbeit und jungen aktionsorientierten Aktivisten erklärt zum Teil das Fortdauern dieser Partei.
Vielen Dank für das Gespräch.
August 2012
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Kommentare
Kommentierensehr gute idee auch
sehr gute idee auch wissenschaftler zu wort kommen zu lassen. substanz kann heutzutage ruhig mal vor "meinung"die vorfahrt genießen...
Debatte pro und contra
Klasse Landeszentrale... diese Pro und Contra Sichten bringen mir wirklich viel. Wusste garnicht, wozu alles geforscht wird. Sehr interessant. macht weiter so, Eure Seite gefällt mir.
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