Eine Zeitschrift (ver)wandelt sich

NBI 46/89
NBI 46/89

Es war die zweite Novemberwoche 1989, als in der NBI (Neue Berliner Illustrierte) eine Karikatur von Klaus Vonderwerth erschien, auf der zu lesen war: „Es lebe der Frühling“.

Zufällig war es auch die Woche, in der die Mauer fiel. Der Frühlingskarikatur sollten noch Dutzende weitere folgen. Und das ist die Vorgeschichte:

Im Herbst 1988 befand sich die NBI wieder einmal im Fadenkreuz der Pressekontrolleure des ZK der SED. Unbotmäßige Veröffentlichungen und mangelndes Engagement für die Politik der Partei wurden der Redaktion angekreidet, obwohl doch die dort tätigen Genossen und Mitarbeiter sich Mühe gaben – zumindest nicht andauernd anzuecken. Mühe allein genügte eben nicht ... Also wechselte man das Redaktionskollegium aus, auch Mitglieder der Chefredaktion. Als das nicht fruchtete und der Chefredakteur von sich aus das Handtuch warf, schickten die Medienwächter einen Polit- Kommissar, also einen der Ihren, als neuen Chef. Das war im Sommer 1989.

Die Aufmüpfigkeit der Redaktion hielt an, erst recht, als um den 40. Jahrestag der DDR auch die NBI reflektieren wollte, was im Lande vor sich geht, wie das zu bewerten – und zu befördern sei. Eine neue Leitung konstituierte sich basisdemokratisch, das Blatt wurde umgestaltet, vor allem der Hefteingang, wo bislang hauptsächlich Hofberichterstattung und Erfolgspropaganda Platz hatten (Welche Erfolge haben unsere Werktätigen unter Führung der Partei diese Woche wieder erzielt?).

Nun konnte der Leser gleich auf Seite 2 wirklich Neues finden: den aktuellen Kommentar, die politische Glosse, den Kurzbericht, eine Presseschau – und auf Seite 3 dominierend eine politische Zeichnung, eine Karikatur oder den Cartoon, wie man auch sagte. Hier kommentierte Klaus Vonderwerth mit seinem feinen Strich, der beredter war als so manche Texte, das Zeitgeschehen aus seiner Sicht.

Jede Woche wurde sein Blatt mit Spannung und Ungeduld erwartet, kam manchmal zwar spät, doch es fiel nie aus und es wurde nie ein Ausfall. Es war stets ein treffsicherer Schlag auf ein gesellschaftliches Gebrechen oder die Enthüllung eines missachteten Zusammenhangs oder Anstoß, über ein aktuelles Problem nachzudenken.

Vonderwerths Blätter verabschiedeten die eindimensionale Sicht auf die Wirklichkeit. Sie deckten die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Ereignisse, Prozesse und Beziehungen auf. Es war eine freie und nun wieder veröffentlichte Kunst. Und so begleiteten seine Karikaturen satirisch kommentierend den Untergang der DDR und deren Umwandlung in das Beitrittsgebiet.



Siegfried Schröder
Chefredakteur der NBI von November 1989 bis März 1991

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