50 Jahre Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen

Am 1. Dezember 1958 nahm die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg (unweit von Stuttgart) ihre Tätigkeit auf. Es handelt sich hier um eine Gemeinschaftseinrichtung aller Justizverwaltungen der Bundesländer. Die offizielle Amtsbezeichnung lautet: „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“.

Die Anfänge waren schwer. Einquartiert wurde die Behörde in einem leerstehenden ehemaligen Frauengefängnis. Die Personalausstattung war knapp bemessen und die Arbeitsbedingungen schlecht. In der Stadt Ludwigsburg war die Zentrale Stelle äußerst unbeliebt. Mitarbeiter hatten Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche. 1966 wurde in Ludwigsburg der SS-General Josef Dietrich beerdigt. Als der Beerdigungszug an der Zentralen Stelle vorbeikam, riefen die alten Herren: „Wir kriegen euch noch“.

Doch auch von anderen Behörden wurden die Ermittler behindert. Dietrich Kuhlbrodt, der Mitte der 1960er Jahre als Staatsanwalt bei der Zentralstelle arbeitete, beschreibt in einer Sendung des Deutschlandfunks die Kooperation mit dem Auswärtigen Amt:

"Ein prominenter Fall, der mir noch in Erinnerung ist: Man stellt ein Rechtshilfeersuchen nach Norwegen und hört nichts davon. Es vergeht ein halbes Jahr, es vergeht ein dreiviertel Jahr. Da wird nachgefragt wiederum in Bonn: Ist denn da keine Antwort eingegangen? - Doch, doch, ja. - Können wir denn die dann weitergeleitet haben. - Ja, das kommt dann so in einem viertel Jahr auf Sie zu. - Warum ein viertel Jahr? - Ja, da musste der Dienstweg eingehalten werden vom Auswärtigen Amt zum Bundesjustizministerium, vom Bundesjustizministerium, alles mit Berichten dazu, an das Landes- Baden-Württemberg Justizministerium, dann über den Generalstaatsanwalt weiter an die Zentrale Stelle in Ludwigsburg. Dieser Weg dauerte viele Wochen. Dann kam tatsächlich dieses Antwortschreiben. Da stand da drin: Unter Bezugnahme auf die Anlage hat das so und so ergeben - Frage: Wo ist die Anlage? Die war nicht dabei. Jetzt über den Dienstweg, den ich beschrieben habe, wieder an das Auswärtige Amt: Wo ist die Anlage? - Traf dann ein: Ja, die Anlage wird nunmehr übersandt. Also eineinhalb Jahre bis eindreiviertel Jahre war diese Antwort - in der Anlage war das Wichtige: Da war die Zeugenvernehmung drin, die die Norweger gemacht hatten - endlich da. Und dann gingen wir mal durch, welche Altnazis im Auswärtigen Amt da waren, wer auch mit diesen Vorgängen befasst war, und uns gingen die Augen über."

Seit 1945 ermittelten bundesdeutsche Staatsanwaltschaften gegen über 100 000 Personen wegen der Beteiligung an NS-Verbrechen. Rechtskräftig verurteilt wurden aber nur etwa 6500 Angeklagte. Diese ernüchternde Bilanz ist sicherlich auch auf die begrenzten Kompetenzen der Zentralen Stelle zurückzuführen. Sie kann nämlich nur Vorermittlungen durchführen. Die Ermittlungsergebnisse werden dann der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft übergeben, die darüber entscheidet, ob Anklage erhoben werden soll. Vieles wurde hier zu den Akten gelegt.

Von großer Bedeutung war und ist die Arbeit der Zentralstelle für die historische Forschung. 1,7 Millionen Karteikarten und 600 000 Blatt Fotokopien lagern in Ludwigsburg. Im April 2000 wurden die Unterlagen vom Bundesarchiv übernommen, das zu diesem Zweck vor Ort eine Außenstelle einrichtete. Inzwischen gibt es in Ludwigsburg auch einen „Förderverein Zentrale Stelle“. Dieser setzt sich dafür ein, dass die Zentralstelle als historischer Ort erhalten und als Begegnungsstätte genutzt wird.

Die Zeit ihrer größten Arbeitsbelastung erlebte die Zentrale Stelle zwischen 1967 und 1971. Das gesellschaftliche Klima hatte sich geändert. Die Verjährungsfrist für Mord wurde nach leidenschaftlichen Bundestagsdebatten aufgehoben. Zeitweise wurden nun in Ludwigsburg 600 Vorermittlungsverfahren gleichzeitig bearbeitet. 120 Mitarbeiter waren damals in der Behörde beschäftigt.

Heute hat die Zentrale Stelle 19 Bedienstete. Etwa 25 Verfahren sind derzeit noch anhängig. Ein Prozess gegen den SS-Wachmann Iwan Demjanjuk, der an der Ermordung von 29 000 Juden beteiligt gewesen sein soll, kann momentan nicht geführt werden, weil die Münchner Generalstaatsanwaltschaft Zweifel an ihrer Zuständigkeit hat. Sie schickte die ihr übersandten Ermittlungsakten nach Ludwigsburg zurück. Demjanjuk ist 88 Jahre alt. Selbst wenn der Bundesgerichtshof die Frage der Zuständigkeit schnell entscheiden sollte, muss mit weiteren Verzögerungen gerechnet werden. „Ein Urteil zu Lebzeiten ist kaum noch wahrscheinlich“, heißt es in einem ZEIT-ONLINE-Artikel.

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Fernsehbericht der Deutschen Welle (YouTube)

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