Antisemitische Einstellungen

Antisemitismus ist nicht auf einen bestimmten Teil der Gesellschaft beschränkt. Er findet sich sowohl im linken wie im rechten Spektrum als auch unter "ganz normalen Deutschen". In seiner Ausprägung gibt es jedoch Unterschiede.

"And I don't know what to do..."

"And I don't know what to do..." 

Die rechtsextremistische Szene gehört in Deutschland zu den stärksten Trägern des Antisemitismus. Er ist fester Bestandteil rechtsextremer Ideologie und Kit für den Zusammenhalt der Gefolgschaft. Rechtsextreme Antisemiten leugnen den Holocaust. Sie propagieren die Ansicht, die überlebenden Juden würden die Verfolgung im Nationalsozialismus heute dazu nutzen, um Vorteile für sich zu erreichen. Eine weit verbreitete Auffassung ist demzufolge, dass Juden die Berufung auf den Holocaust dazu verwenden, „um Deutschland finanziell und politisch zu erpressen.“* Sie behaupten zudem, Juden hätten den Deutschen die Demokratie aufgezwungen.

Im linksextremistischen Spektrum gehört Antisemitismus nicht zur Ideologie und spielt für den Zusammenhalt des Lagers keine oder nur eine geringe Rolle. Doch auch hier gibt es Positionen, die antisemitische Debatten befördern können. Linke Antisemiten stehen im Nahost-Konflikt auf der Seite Palästinas. Vor diesem Hintergrund streiten sie Israel ein Existenzrecht ab. In ihrer ablehnenden Einstellung gegenüber dem Kapitalismus greifen linke Antisemiten auf Stereotype über Juden zurück und kritisieren das „jüdische Finanzkapital.“ Das Klischee des „Wucherjuden“ benutzen sie dabei wie andere Antisemiten auch, um ihre ablehnende Haltung gegenüber Juden zu begründen.

„Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“
38,4% stimmen dieser Aussage zu. *

Islamistische Antisemiten betrachten den Staat Israel als Teil einer Verschwörung der westlichen Welt gegen den Islam. Der Antisemitismus ist demnach in erster Linie antizionistisch geprägt. Juden gelten für bestimmte Gruppen von Islamisten zudem als „verfluchte Rasse“, da sie in ihren Augen zu den Ungläubigen zählen.

Für die meisten unbekannt ist der unterschwellige Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft. Rund zwanzig Prozent, das heißt, fast jeder fünfte Deutsche vertritt antisemitische Einstellungen.* Vor allem der alltägliche Antisemitismus, der sich zumeist in ablehnenden Äußerungen, genährt von Stereotypen gegenüber Juden ausdrückt, kann nicht genau gefasst werden. Das heißt, es ist schwierig, konkrete Zahlen über das Ausmaß alltäglicher Anfeindungen zu ermitteln.
Der Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft äußere sich subtil und werde vor allem durch Sachbeschädigung oder Anfeindungen deutlich, so Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Die Anfeindungen äußern sich häufig in Stammtischparolen, zum Beispiel:

Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben.“*

Dabei wird vergessen, dass der Staat Israel nicht als Synonym für die jüdische Gemeinschaft steht. Wer antisemitische Äußerungen trifft, muss nicht automatisch ein Antisemit sein. Ein Schulkind beispielsweise, dass „du Jude“ als Schimpfwort benutzt, ist sich der Tragweite diese Aussage sicherlich nicht unbedingt bewusst. Die Aussage kann vielfältige Ursachen haben. Dennoch sollte auch hier danach gefragt werden, warum und wie es zu solchen Äußerungen kommt.

Laut einer Studie des Bundesinnenministeriums zum Antisemitismus in Deutschland sind fast 40% der Befragten der Ansicht, Juden würden versuchen aus der nationalsozialistischen Verfolgung Vorteile für sich zu ziehen.* Damit wird – bewusst oder unbewusst – der Holocaust, mit ähnlichen Argumenten wie sie rechtsextreme Antisemiten gebrauchen, relativiert. In der Wissenschaft wird diese Art von Judenfeindlichkeit „sekundärer Antisemitismus“ genannt.
 

Und in Brandenburg?

  • Potsdam, Babelsberg (P), 3. Mai 2012: Als bei der Begegnung des SV Babelsberg 03 gegen den Chemnitzer FC die Mannschaften auf das Spielfeld liefen, grölte der Chemnitzer Anhang laut und deutlich "Arbeit macht frei-Babelsberg 03!". Wer nah genug stand, konnte dabei auch die amüsierten Gesichter vieler Fans des CFC erkennen.*
     
  • Elsterwerda (EE), 22. Mai 2011: Ein Mann wurde angezeigt, weil er wiederholt „Judenschweine, Eichmann sei dank“ gerufen hatte.*
     
  • Gosen (LOS), zwischen 16. und 23. Januar 2011: Unbekannte Täter brachen in einen Bungalow ein und wollten diesen in Brand setzen. An die Außenfassade wurden mit schwarzer Farbe ein Davidstern sowie der Schriftzug „RAUS“ geschmiert. Der Besitzer ist Jude.*

Stereotype und woher sie kommen

Stereotype über Juden reichen weit in die Vergangenheit zurück und sind tief in der Gesellschaft verankert. Es gibt rassistisch, religiös und ökonomisch begründete Vorurteile gegenüber Juden. Sie werden seit der Antike von Generation zu Generation weitergegeben und halten sich bis heute im Alltagsbewusstsein vieler Nationen.

Juden haben zuviel Macht im Geschäftsleben.“
21% stimmen dieser Aussage zu.*

Die christliche Theorie, wonach Christus durch die Juden ermordet worden sei, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Daher rührt der diffamierende Begriff des „Christusmörders.“ Das Klischee vom „geldgierigen Juden“ ist ein weiteres, stark verbreitetes Vorurteil. Auch dieses wurzelt weit in der Vergangenheit.

Der wandernde Ewige Jude, farbiger Holzschnitt von Gustave Doré, 1852, Reproduktion in einer Ausstellung in Yad Vashem, 2007

Der wandernde Ewige Jude, farbiger Holzschnitt von Gustave Doré, 1852, Reproduktion in einer Ausstellung in Yad Vashem, 2007

Im 12. Jahrhundert wurde es Juden verboten, Land und Acker zu besitzen, zudem wurden sie aus Kaufmannsgilden und Handwerkszünften ausgeschlossen. Als Erwerbstätigkeit blieb ihnen oftmals nur noch der Handel, darunter auch der Handel mit Geld, welcher das Klischee vom geldgierigen Juden bis heute nährt und den Begriff des „Wucherjuden“ prägte.

Zwischen 1880 und 1945 herrschte eine rassentheoretische Annahme vor: Nach dieser Auffassung waren die Juden eine minderwertige Rasse, die im Kampf ums Dasein gegenüber der arischen Rasse unterlegen sei. Hitler und die Nationalsozialisten begründeten mit dieser Theorie die Verfolgung und Vernichtung der Juden. Rechtsextreme Antisemiten vertreten noch heute diese Ansicht.

Die genannten Vorurteile sind tief in der Geschichte und Gesellschaften weltweit verwurzelt und werden über Generationen weitergegeben. Darum reicht es nicht aus, dem Antisemitismus mit bloßen (historischen) Gegenargumenten zu begegnen. Das Kennenlernen jüdischen Lebens in der Gegenwart kann hingegen Unwissen abbauen und Toleranz und Respekt fördern. Die frühzeitige Aufklärung über die Religion des Judentums kann zudem helfen, verbreiteten Klischees entgegenzuwirken.

Der Politikwissenschaftler Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam hat auf den latenten Antisemitismus in der Gesellschaft hingewiesen: „Juden, die die Kippa oder traditionelle Kleidung tragen, laufen leider immer Gefahr, angepöbelt zu werden. Das ist kein Brandenburger Problem. Das kann einem auf dem Kudamm ebenso passieren wie in Bayern.“*

 

Synagogen in Brandenburg:

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich auch in Brandenburg wieder jüdisches Leben - jedoch ohne Synagogen. Die jüdischen Gemeinden verfügen über Gemeindezentren, die sie auch für synagogale Zwecke nutzen. Die erste Synogoge in Brandenburg seit 1938 wird am 27. Januar 2015, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, in Cottbus offiziell eröffnet. Eine Besonderheit: Das jüdische Gotteshaus ist in einer ehemaligen evangelischen Kirche entstanden, die lange ungenutzt war. In der Landeshauptstadt Potsdam dauern die Verhandlungen um die Errichtung einer Synagoge indessen noch an.

Dem Zentralrat der Juden in Deutschland zufolge gibt es bundesweit rund 80 Synagogen.

 

Mareike Böke, Oktober 2012, aktualisiert von BLPB im Oktober 2014

Linktipps

  • Antisemitismus unter Studenten

    Eine deutsch-kanadische Studie (2013) hat ergeben, dass fast jeder zweite Student antisemitische Einstellungen vertritt. Rund 80 Prozent haben Vorbehalte gegen Muslime.

  • Eine offene Gesellschaft

    Das Simon-Wiesenthal-Center hat Jakob Augstein als schlimmen Antisemiten deklariert: Das ist unsinnig und die Begründung lächerlich, so Nils Minkmar in der FAZ vom 1.01.13

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