Trotz Rückschlägen bei der Durchsetzung von Paritätsgesetzen hat die geschlechtergerechte Repräsentation in Volksvertretungen nicht an gesellschaftspolitischer Bedeutung verloren. Gesucht sind nun andere erfolgversprechende Wege.
Nachdem Annalena Baerbock von den Bündnisgrünen ihre Kanzler:innenkandidatur verkündet hatte, sahen sich auch ihre Kontrahenten mit sehr persönlichen Fragen in den Sozialen Medien konfrontiert: „Herr Laschet, wie würden Sie die Aufgaben als Kanzler mit der Familie vereinbaren?“ „Herr Scholz, auf Kritik reagieren Sie oft empfindlich. Sind Sie zu emotional für das Amt?“ oder „Herr Söder, als Mann sind Sie theoretisch bis zum Lebensende zeugungsfähig. Was, wenn Sie während der Kanzlerschaft Vater werden wollen?“
Anders als bei vielen Aussagen zu Baerbock waren sie jedoch nicht ernstgemeint, sondern wollten darauf aufmerksam machen, dass geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen auch noch im Jahr 2021 den politischen Betrieb prägen.
Nach mehr als einem Jahrhundert Frauenwahlrecht in Deutschland ist das Geschlecht noch immer Ausgangspunkt für Ungleichbehandlung. Was bei der Richtungsentscheidung für die nächste Kanzlerin oder den nächsten Kanzler beginnt, setzt sich in den Parlamenten fort. So ist zum Beispiel der Brandenburgische Landtag weit von der Parité entfernt. Nur 31,8 Prozent seiner 88 Mitglieder sind Frauen.
Frau-Mann-Frau-Mann: Parität unter Abgeordneten
2019 hatte die Brandenburger Landesregierung aus SPD und Linken deshalb ein Paritätsgesetz verabschiedet. Es sollte die Parteien dazu verpflichten, ihre Listen bei Landtagswahlen abwechselnd mit einer Frau und einem Mann zu besetzen. Auch Thüringen wagte einen solchen Vorstoß. Jedoch sind beide Gesetze vor den Landesverfassungsgerichten gescheitert. Nun soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Tatsächlich hätten beide Landesgesetze, da sie die Wahlkreise ausgespart hatten, kaum die mehrheitlich männliche Zusammensetzung der Landtage verändert.
Zur Reform des Bundestagswahlrechts berief der Deutsche Bundestag jüngst eine Reformkommission ein. Sie soll auch Maßnahmen zur gleichberechtigten Parlamentspräsenz von Frauen und Männern erarbeiten. Ergebnisse soll es spätestens 2023 geben. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit eher kleinteiligen Wahlrechtsanpassungen ist jedoch kaum zu erwarten, dass ein Wahlgesetz verabschiedet wird, das einen grundlegenden Wechsel zur Parität im Bundestag garantieren würde.
Trotz der Rückschläge für Paritätsgesetze und Ungewissheit über den Ausgang einer Wahlrechtsreform hat das Thema der geschlechtergerechten Repräsentation nicht an gesellschaftspolitischer Bedeutung verloren. Gesucht sind nun andere erfolgversprechende Wege zur Parität.
Wenn Männer über Frauen entscheiden
Die gute Nachricht ist: Es gibt schon eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die dazu geeignet sind, mehr Frauen in die Parlamente zu bringen. Staatliche Anreize gehören dazu. Portugal versucht es mit Strafzahlungen. Parteien müssen damit rechnen, wenn ihre Liste zur Parlamentswahl nicht mindestens 30 Prozent Frauen umfasst.
An den Parteien kommt man nicht vorbei, wenn Frau oder Mann in einen Landtag, den Bundestag oder das Europäische Parlament einziehen möchte. Sie versuchen, Frauen für eine Kandidatur anzusprechen oder legen freiwillig eine Frauenquote fest. Das klingt erstmal gut. Das Problem ist aber, dass in allen Parteien deutlich weniger Frauen als Männer engagiert sind.
Am Beispiel der Brandenburger Parteien lässt sich das zeigen. Die FDP bildet mit 21,4 Prozent Frauen das Schlusslicht in der Parade der „Männerparteien“, knapp gefolgt von der AfD mit 21,7 Prozent. Nur wenig besser sieht es bei der CDU mit 27 Prozent aus. Linkspartei und Bündnisgrüne erreichen immerhin noch Frauenanteile über 40 Prozent während die Sozialdemokraten gerade mal auf 30 Prozent kommen. Aber auch sie liegen damit unter dem Bevölkerungsschnitt.
Das heißt, es müsste an erster Stelle darum gehen, die Anreize für Frauen zu verbessern, überhaupt in eine Partei einzutreten. Förder-, Mentoring- und Weiterbildungsprogramme für Frauen müssen her. Vor allem braucht es Programme, um parteipolitisches Engagement und Familienleben besser in Einklang miteinander zu bringen und die männerdominierten Organisationskulturen zu schleifen.
Und die freiwillige Frauenquote? Konsequent angewendet, sind freiwillige parteiinterne Quotenregelungen ein wirkungsvolles Instrument, der Parität näher zu kommen. Jedoch greifen sie bei der Bundestagwahl nur für die Landeslisten der Parteien, die mit der Zweitstimme gewählt werden, nicht aber bei der Direktwahl in den 299 Wahlkreisen. Dort kann immer nur eine Person aufgestellt werden und die ist meistens ein Mann. Zudem sind die Quotenregelungen bei den Parteien unterschiedlich oder es gibt gar keine.
Wo ist der öffentliche Druck?
Die Frage nach dem Frauenanteil in Parlamenten ist nicht nur ein wissenschaftliches Problem. Sie betrifft vielmehr ein wesentliches Element unserer Demokratie.
Bei der Parität in Parlamenten beschränkt sich die Debatte zwischen dem Pro- und Kontra-Lager bisher eher auf Fachkreise. Dies reicht aber nicht aus, damit sich die interne Gleichstellungspolitik der Parteien nachhaltig ändert. Würde sich die Zivilgesellschaft mehr für dieses Thema sensibilisieren, könnte es anders aussehen. Wird der Wunsch nach paritätisch besetzen Parlamenten und Kabinetten lauter, wächst der Druck in den Parteien, mehr zu tun. Niemand muss eine Partei wählen, die nur mit einer Männermannschaft antritt.
Freilich ist die zahlenmäßige Stärkung von Frauen nur ein Schritt hin zu deren besserer Repräsentation in der Politik. Sie kann aber dazu beigetragen, dass sich Chancengerechtigkeit verbessert. Organisationskulturen von Parlamenten, aber auch Ministerien oder Parteien können ihre männlichen Prägungen abstreifen.
Entscheidungen können auf einer diverseren Grundlage getroffen werden. Letztlich ist die gerechte Teilhabe von Frauen ein Gradmesser für den Zustand unserer Demokratie.
Benjamin Höhne, Mitarbeit von Svenja Samstag, Juni 2021
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