Der Weg zur Regierungskoalition

Selbst eine Liebesheirat braucht einen Ehevertrag!

„Alleine regieren“ ist der Traum jeder Partei. Die Bundesrepublik ist allerdings eine Koalitionsdemokratie, denn für eine stabile Regierung sind Bündnispartner nötig. Wie entstehen Regierungskoalitionen, die manchmal Liebesheirat, aber oft eher Vernunftehe sind? Und welche Bedeutung hat dabei der „Ehevertrag“?

Koalition
© Großstadtzoo

Kompakt erklärt: Koalition

Ist „Single sein“ nicht schöner? Warum wir Koalitionen im Bundestag brauchen

Das Votum des Wahlvolkes hat meist zur Folge, dass keine Partei 50 Prozent der Sitze im Deutschen Bundestag besetzt. Diese so genannte „absolute Mehrheit“ ist aber nötig, um die Kanzlerin/den Kanzler zu wählen (Art. 63 Abs. 2 Grundgesetz) und eine stabile Regierung zu bilden. Als „Single“ ohne Mehrheit kann eine Partei meist auch nichts von dem Programm umsetzen, mit dem sie im Wahlkampf geworben hat. Daher bilden einige Parteien ein (Regierungs-)Bündnis auf Zeit. Die übrigen Bundestagsfraktionen gehören zur Opposition, die der Regierung kritisch auf die Finger schaut.

Regierung
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Kompakt erklärt: Regierungsbildung

Es gibt keine gesetzliche Regelung, die vorschreibt, dass nur die stimmenstärkste Partei die Koalitionsverhandlungen führen darf. Nach der Wahl geht es darum, Mehrheiten zu finden, um eine mehrheitsfähige Regierung bilden zu können. Die alte Regierung bleibt so lange im Amt bis die neue die Geschäfte übernimmt.

Liebesheirat oder eher Vernunftehe?

Parteien unterscheiden sich in ihren Zielen sowie den Mitteln, um ihre Politikvorstellungen zu verfolgen („Umweltschutz“ kann zum Beispiel über staatliche Investitionen oder marktwirtschaftliche Lösungen erreicht werden). Zugleich wissen die Parteien: Wenn eine Regierungskoalition funktionieren soll, muss an einem Strang gezogen werden. Das klappt in der Regel dann am besten, wenn es große programmatische Schnittmengen gibt.

Manchmal macht das Wählervotum aber eine „Vernunftehe“ nötig, wenn sonst kein anderes Bündnis möglich ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist heute größer denn je, denn die Volksparteien SPD und CDU erreichen kaum mehr die Zustimmung in der Wählergunst wie früher. Das Parteiensystem hat sich pluralisiert, mit der Folge, dass „lagerübergreifende“ Koalitionen bzw. Koalitionen aus drei (inklusive der CSU sogar vier) Parteien nötig werden.

Ohne „Ehevertrag“ geht es nicht

Egal, ob man den „Traumpartner“ gefunden hat oder nicht: Eine schriftliche Vereinbarung über die Ziele, die während der gemeinsamen Regierungszeit umgesetzt werden sollen, gehört seit den 1980er Jahren dazu. Der Umfang dieser so genannten Koalitionsverträge ist seitdem auch stark angewachsen. Wurden 1983 noch 2.700 Wörter niedergeschrieben, waren es 2002 schon 26.700. Das Bündnispapier der aktuellen Großen Koalition umfasst 63.200 Wörter auf 175 Seiten!

Eine schriftliche Vereinbarung über das Bevorstehende hat vor allem zwei Vorteile: Da gleich am Anfang feste Absprachen zu Streitthemen getroffen werden, treten große Konflikte während der Regierungszeit seltener auf. Außerdem kann die Öffentlichkeit überprüfen, ob die Abmachungen der Koalition eingehalten werden.

Eine Illustration. Diese zeigt einen bunten Zauberwürfel mit dem Bundesadler. Vor dem Würfel stehen Menschen.
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Bundestagswahl 2025

Fraktionen, Koalition, Opposition und Regierungsbildung: 
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Von der Sondierung zur innerparteilichen Mitgliederabstimmung: der Weg zum Koalitionsvertrag

Wenn jeder etwas vom (Koalitions-)Kuchen abbekommen möchte, muss geteilt werden. Wie die Aufteilung aussieht, wird während der Koalitionsverhandlungen besprochen. Für diese existieren überraschenderweise keinerlei rechtliche Regelungen, auch was die zeitlichen Fristen betrifft. Nach der Bundestagswahl 2017 dauerte es ganze 171 Tage, bis die Große Koalition stand – ein Rekordwert. In diesen Zeitraum fallen allerdings auch so genannte Sondierungen, bei denen die Parteiführungen austesten, ob eine gemeinsame Grundlage für ein tragfähiges Bündnis besteht.

Wie die Jamaika Sondierungen gezeigt haben, können diese Vorverhandlungen auch scheitern. Die anschließenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD waren „schon“ nach 46 Tagen abgeschlossen. Historisch betrachtet lässt sich sagen: In den ersten fünf Jahrzehnten der Bundesrepublik waren die Sondierungsphasen wesentlich kürzer, nicht aber die Koalitionsverhandlungen im engeren Sinne.

Beteiligt sind an den Koalitionsgesprächen vor allem die Parteiführungen sowie die fachlich spezialisierten Abgeordneten aus dem Bundestag. Die Größe der Partei spielt für den Verhandlungserfolg keine zentrale große Rolle. Auch ein späterer Juniorpartner kann viel herausholen, weil am Ende ja seine Stimmen gebraucht werden.

Generell gilt: Jede Partei muss kompromissfähig sein und in einzelnen Punkten nachgeben. Oder man trifft sich sprichwörtlich in der Mitte. All dies ist kein Zeichen von Schwäche. Die Suche nach Kompromissen gehört nicht nur allgemein zum gesellschaftlichen Dasein (etwa in Familien und Vereinen). Sie ist auch das Alltagsgeschäft der repräsentativen Demokratie. Am Ende stimmen noch Parteitage oder – ein jüngster Trend – alle Parteimitglieder über den ausgehandelten Koalitionsvertrag ab. Es folgen Vertragsunterschrift und Kanzler(in)wahl.

Papier ist geduldig? Manchmal schon.

Die Koalitionsvereinbarung ist wichtig. Sie stellt aber weder einen juristisch einklagbaren Vertrag dar, noch ist sie in Stein gemeißelt. Erstens können unvorhergesehene Entwicklungen auftreten. Die Corona-Pandemie hat zum Beispiel die Absprachen in der Gesundheits- und Haushaltspolitik teilweise außer Kraft gesetzt. Zweitens gehört es zum Grundprinzip eines starken Parlaments, dass die von uns gewählten Abgeordneten immer wieder eigenverantwortlich Entscheidungen treffen. Dafür stehen sie auch im ständigen Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Man kann also nicht direkt nach der Bundestagswahl alle Details für die gesamte vierjährige Regierungszeit regeln. Anschließend treten die Koalitionspartner erneut vor das Wahlvolk – dann wieder als „Singles“.

Lesetipp

Danny Schindler
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Dr. Danny Schindler ist Mitarbeiter beim Institut für Parlamentarismusforschung in Berlin (2021). Seine Forschungs- und Lehrbereiche sind Fraktionen, Parteien und Parlamente in demokratischen und autoritären Systemen.

 

Danny Schindler, September 2021 
Zusatzinformationen von BLPB (zuletzt bearbeitet: Februar 2025) 
Weitere Beiträge zum Thema: Einblicke ins Parlament 

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Kommentare

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Auch wenn ich kein AFD-Wähler bin, finde ich, dass sich dieses Argument selbst entkräftet, da bei den Kleinstparteien, bei denen eine Koalitionsbildung als legitim angesehen wird, schließlich noch mehr als 80 % der Wähler gegen deren Politik sind...

Wieso kann eine Partei ausgeschlossen werden,obwohl sie die zweitmeisten Stimmen hat.
Ist das mit der Demokratie vereinbar?

Ich denke es ging dem User um die Brandmauer

AfD ist nach CDU am beliebtesten und deswegen interessiert ihn oder sie, warum man eine Regierung bilden kann wo man die zweithöchstplatzierte Partei die das Volk will ignoriert...

Bsp. Thüringen... dort waren sie sogar Wahlsieger und es wurd dann ne Regierung aus Platz 2, 3, 4, usw. gebildet um sie auszuschließen und den Mehrheitswillen des Volkes zu ignorieren

Ob erster oder zweiter spielt erstmal weniger eine Rolle, als dass die Koalition letztendlich über 50% der Bevölkerung repräsentiert. Selbst wenn es dafür 10 Kleinstparteien braucht, am Ende zählt die gemeinsame Mehrheit - und das ist deutlich demokratischer, als wenn eine Partei mit 20% Teil der Regierung sein muss, obwohl 80% gegen deren Positionen sind.

Zu dem erster oder Zweiter, möchte ich anmerken das aber 72% gegen die CDU/CSU sind, 85% gegen die SPD, 89 % gegen die Grünen usw. Diese Argumentation ist einseitig einfach. Hier sollte eine Lösung bei, die were zum Beispiel das die beiden Größten Gewinner einer Wahl in die Koalition gehen sollten, da die Interessiertheit der Wähler hier obliegt. Da man ja hier mehr als 20% der Wähler ignoriert und deren Interessen ist das nicht gerade Demokratisch, sondern zielt eindeutig in eine Richtung. Man Betrügt ein teil seines Volkes, so gewinnt man keine Stimmen. Man sollte überlegen wie man Politik gestaltet, bei Versagen in den vielleicht nächsten vier Jahren sollte man damit Rechnen das der Stimmen Verlust die AFD Wählen wird. Es gibt eine Redewendung, Hochmut kommt vor dem Fall, .

Tja, wenn man es genau betrachtet, ist jede Protestwahl zugunsten der AFD eine Wahl für jede Partei der Mitte. Selbst mit nur 12% käme eine der Parteien aufgrund der Brandmauer in die Regierung. Das ist eine Abmachung der Mitte. Sie werden quasi indirekt gewählt. Nur eine absolute Mehrheit würde die AFD an die Macht katapultieren. Ob die Mitte das darf, ja. Für mich ist das Faschismus von Links und absolut undemokratisch

...oder eben auch nicht. Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die CDU die zweitmeisten Stimmen (ca. 24 Prozent) und ist auch nicht an der Regierungsbildung beteiligt worden. Demokratie ist es, wenn sich eine Mehrheit findet, ob es den einzelnen Parteien nun passt, oder nicht...

Interessant ist doch aber, dass sich damals niemand darüber beschwert hat, dass die CDU "ausgeschlossen" wurde. ;-)

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