In Deutschland darf jeder Bürger ab 18 wählen, auf Landesebene zum Teil - so in Brandenburg - ab 16. Er hat das Recht auf freie, gleiche und geheime Wahlen. Das war nicht immer so, wie ein Blick in die Geschichte zeigt - ein Lesestück gegen die aktuelle Politikverdrossenheit.
Welche Einschränkungen des Wahlrechts gab es?
Freie Wahlen gehörten seit dem 19. Jahrhundert zu den Hauptforderungen von Demokraten aller politischen Richtungen. Dieses Verlangen wurde in Deutschland von den Fürsten lange Zeit zurückgewiesen. Rudimente des ständischen Systems, wonach die einzelnen sozialen Gruppierungen ihre separaten Vertretungen - die „Landstände“ - besaßen, hielten sich bis nach dem Ersten Weltkrieg. Ende des 19. Jahrhunderts war das Wahlrecht zwar in Deutschland, seinen einzelnen Territorien und den benachbarten Staaten gesetzlich festgelegt. Doch war es in Deutschland bis zur Novemberrevolution 1918, in vielen Nachbarländern noch weit länger vielfältigen Einschränkungen unterworfen.
Stimmrecht für Frauen
Das Stimmrecht für Frauen wurde in Deutschland erst bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Januar 1919 durchgesetzt und in der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 konstituiert. Viele andere Länder (Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland) führten es erst nach dem 2. Weltkrieg ein, die Schweiz (auf Bundesebene) 1971 und Portugal sogar erst 1974.
Klassenwahlrecht
Keine Steuern - keine Rechte
In einigen Ländern, z. B. in Bayern, waren diejenigen, die mit keiner direkten Steuer veranlagt waren, gänzlich vom Wahlrecht ausgeschlossen. Auch in Österreich wurden bis 1896 Personen, die nicht mindestens einen Gulden direkte Steuern bezahlten, nicht in die Wählerlisten aufgenommen. In England durften bis ins 20. Jahrhundert hinein nur Haushaltsvorstände an den Unterhauswahlen teilnehmen.
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in vielen Ländern Klassenwahlrechte, wonach die Stimmen unterschiedlicher Kurien, die nach Einkommensklassen oder Berufsständen gebildet wurden, eine unterschiedliche Wertigkeit hatten. Das berüchtigte preußische Dreiklassenwahlrecht teilte die Wähler in Höchst-, Mittel- und Niedrigstbesteuerte ein. Jede dieser drei Abteilungen wählte die gleiche Zahl von Wahlmännern. Da aber der ersten Abteilung mit den höchsten Steuerbeträgen sehr viel weniger Urwähler angehörten als den beiden anderen, besonders der am niedrigsten besteuerten dritten Abteilung, hatten die einzelnen Stimmen sehr unterschiedliche Erfolgswerte.
So betrug bei den Wahlen 1888 der Wert einer Stimme aus der ersten Abteilung das achtzehnfache einer aus der dritten Abteilung. Solche Klassenwahlrechte gab es nicht nur in Preußen, sondern auch in anderen Ländern. In Österreich wurde 1896 sogar ein Fünfklassenwahlrecht eingeführt. In Bremen gab es gar ein Achtklassenwahlrecht.
Wahlalter und Staatsangehörigkeit
Selbst liberale Wahlgesetze enthielten eine relativ hohe Altersgrenze für die Wahrnehmung des Wahlrechts. Im Allgemeinen lag sie bei 25 Jahren. In Deutschland wurde sie 1919 auf 20 Jahre gesenkt. Das Grundgesetz legte anfänglich ein Mindestwahlalter von 21 Jahren fest; erst 1970 wurde es auf 18 Jahre herabgesetzt.
Auch ein langfristiger Besitz der Staatsangehörigkeit war meist vorgeschrieben.
Indirekte Wahl und öffentliche Stimmabgabe
In Preußen und vielen anderen Ländern galt das Prinzip der unmittelbaren Wahl noch nicht. Die Wahlentscheidung erfolgte indirekt über Wahlmänner.
In etlichen Ländern, darunter auch in Preußen wurde nicht geheim gewählt. Der Wähler musste den Wahlmann, für den er sich entschieden hatte, öffentlich laut nennen. Jeder Gutinspektor, jeder Werkmeister war so darüber informiert, für wen „seine“ Arbeiter gestimmt hatten. Ebenso öffentlich wählten dann die Wahlmänner die Abgeordneten.
Hauptziel: allgemeine, gleiche und direkte Wahlen
Weil das preußische Wahlrecht zu den rückständigsten gehörte, war das Ringen um demokratische Rechte in Brandenburg und den anderen preußischen Provinzen vor allem mit dem Verlangen nach allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlen verbunden, zumal diese Prinzipien – bis auf das Frauenwahlrecht – seit 1871 bei den Wahlen zum deutschen Reichstag bereits galten.
Große Demonstrationen für dieses Ziel fanden z. B. in Frankfurt (Oder), Brandenburg a. d. Havel und Nowawes statt.Teilergebnisse erzielte die demokratische Bewegung 1903 und 1913. In diesen Jahren wurde die Einführung von Wahlkabinen und die Beschaffenheit von Wahlurnen rechtlich geregelt.
Sieg nach der Novemberrevolution 1918: Die Weimarer Verfassung
Den Durchbruch für ein demokratisches Wahlrecht – auch für Frauen – brachte die Novemberrevolution 1918. Die Verordnung zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Reichswahlgesetz) vom 30. November 1918 bestimmte:
Die Mitglieder der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung werden in allgemeinen, unmittelbaren und geheimen Wahlen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt."
Die Weimarer Verfassung erklärte diese Prinzipien als fortan verbindlich für alle Wahlen sowohl zum Reichstag und als auch zu den Ländervertretungen. Darüber hinaus führte diese Verfassung Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksentscheide als Mittel demokratischer Willensbekundungen der Wähler ein.
Gab es freie Wahlen während der NS-Diktatur?
Nach der nationalsozialistischen Staatsauffassung vereinigte Adolf Hitler als "der Führer" in seiner Person alle hoheitliche Gewalt. Von der umfassenden und totalen Führergewalt leitete sich alle öffentliche Gewalt ab. Wahlen hatten in diesem System allenfalls die Funktion, den Führerwillen durch ein dekoratives Bekenntnis der Bevölkerung zu stabilisieren. Ein Verfassungsrechtslehrbuch jener Zeit unterstreicht diese Auffassung:
Dass sich der Volkswille im Führer verkörpert, schließt nicht aus, dass der Führer die lebenden Volksangehörigen zur Abstimmung über eine bestimmte Frage aufruft. Durch diese Volksbefragung’ gibt der Führer die Entscheidung allerdings nicht an das abstimmende Volk ab. Der Sinn der Abstimmung ist nicht, dass ... das Ergebnis der Abstimmung an die Stelle des Führerwillens tritt. Die Abstimmung hat vielmehr den Sinn, das gesamte lebende Volk für ein vom Führer aufgestelltes politisches Ziel aufzurufen und einzusetzen.“
Ganz auf dieses Ziel waren die Volksbefragungen – z. B. die über den Völkerbundaustritt vom November 1933 – ausgerichtet. Und auch in seiner Verordnung vom 7. März 1936 begründete Adolf Hitler die Auflösung und Neuwahl des Reichtages lediglich mit „der Absicht, dem deutschen Volk Gelegenheit zu geben, der ... dreijährigen Politik der Wiederherstellung der nationalen Ehre und Souveränität des Reiches ... seine feierliche Zustimmung erteilen zu können“. Eine Auswahl zwischen verschiedenen Parteien war ohnehin nicht möglich, da seit Juli 1934 die NSDAP die einzige zugelassene Partei war. Wer der Wahl fernblieb, machte sich bereits verdächtig.
Ausgrenzung: Mit dem so genannten Reichsbürgergesetz, das im September 1935 als Teil der "Nürnberger Gesetze" erlassen wurde, verloren Juden das politische Wahlrecht im nationalsozialistischen Deutschland.
Welchen Charakter hatten Wahlen in der DDR?
Die Erwartungen, dass bald nach Ende der NS-Diktatur rechtsstaatliche Verhältnisse mit demokratischen Wahlen einkehren würden, erfüllten sich in der sowjetischen Besatzungszone nicht.
Im Herbst 1946 fanden zum ersten Mal Wahlen zu den Kommunalvertretungen und zum Landtag statt. Diese wurden zwar nach demokratischen Formalien abgehalten, doch griff die sowjetische Besatzungsmacht massiv in die Wahlvorbereitung zugunsten der SED ein. Die bürgerlichen Parteien CDU und LDPD waren massiven Behinderungen durch die sowjetische Besatzungsmacht ausgesetzt. Die Palette erstreckte sich von Benachteiligungen bei der Papierzuteilung für Wahlplakate bis zur Verhaftung von Kandidaten. Als abzusehen war, dass bei künftigen freien Wahlen die SED keine Mehrheit gewinnen würde, verbot die sowjetische Militäradministration kurzerhand die im Herbst 1948 fälligen Kommunalwahlen.
Einheitsliste
Auch die im Herbst 1949 anstehenden Landtagswahlen durften nicht stattfinden. Die überfälligen Wahlen wurden endlich zum 15. Oktober 1950 angekündigt. Angesichts der Welle von Verhaftungen und Terrorprozessen in den Monaten nach der Gründung der DDR, die auch viele Opfer in Brandenburg forderte, musste die SED befürchten, in freien Wahlen zu unterliegen. Dieser Niederlage sollte eine Einheitsliste vorbeugen, bei der die Wähler nicht mehr zwischen verschiedenen Kandidaten auswählen konnten.
Erste Erfahrungen mit dieser Methode hatte man schon bei den Wahlen zum „Dritten Deutschen Volkskongress“ in der sowjetischen Besatzungszone am 15./16. Mai 1949 gesammelt. Auch hier hatte dem Wähler nur eine einheitliche Liste aller Kandidaten vorgelegen.
Das Wahlergebnis wurde demagogisch gesteuert, indem die Wahl unmittelbar mit der Frage verknüpft wurde, ob der Wähler die Einheit Deutschlands und einen gerechten Frieden wolle.
Darüber hinaus waren die Wahlen verbunden mit massiver Einschüchterung politischer Gegner und der Manipulation der Wahlergebnisse, indem man Stimmenthaltungen als Ja-Stimmen deutete.
"F" für freie Wahlen: Protest
Nunmehr erschienen in der Presse gesteuerte Forderungen von Betriebsbelegschaften nach erneuten Einheitslisten. Obwohl mit Gefahr für Leib und Leben verbunden, entfaltete sich dagegen eine starke Opposition. An vielen Wänden war die Chiffre „F“ für „freie Wahlen“ zu sehen. Verhaftungen und Hunderte von Schauprozessen mit harten Urteilen - darunter zweimal lebenslängliches Zuchthaus, 115 Zuchthausstrafen von insgesamt 594 Jahren, zweimal Gefängnis auf unbestimmte Zeit und 63 Gefängnisstrafen von insgesamt 115 Jahren und 3 Monaten – schufen ein Klima der Einschüchterung und brachen den Widerstand.
Diese Einheitslisten sicherten der SED ungefährdete Mehrheiten. Der Schlüssel der Verteilung der Abgeordnetensitze war schon vor der Wahl festgelegt worden. Neben den eigenen Stimmen konnte sie sich auch auf die der SED-hörigen Massenorganisationen stützen, die ebenfalls Mandatsträger wurden. In der Volkskammer, dem DDR-Parlament, verfügten SED und Massenorganisationen zusammen über 55 % der Abgeordnetensitze, im Landtag Brandenburg sogar über 62 %. Ein ausgeklügeltes System sicherte Wahlergebnisse im Sinne der Machthaber.
Manipulation: Zum Wahltag wurden Hausgemeinschaften und Betriebsbelegschaften veranlasst, in geschlossenen Zügen zum Wahllokal zu marschieren. Sie hatten sich vorher verpflichten müssen, gemeinsam und ohne Benutzung von Wahlkabinen, die in vielen Wahllokalen ohnehin nicht vorhanden waren, ihre Stimmen den Kandidaten der Nationalen Front zu geben. Wer spätestens mittags noch nicht zur Wahl erschienen war, wurde von „Schleppern“ aufgesucht.
Beim Wahlakt wurde vom Wähler lediglich erwartet, die Listen mit den Namen der Kandidaten zu falten und in die Wahlurne zu stecken. Das Ausstreichen einzelner oder gar aller Kandidaten – die einzige Möglichkeit, gegen die Einheitsliste zu stimmen – erforderte angesichts der politischen Atmosphäre sehr viel Courage; unterstellte doch der Text des Wahlgesetzes jedem, der eine Gegenstimme abgab, er sei gegen den Frieden, die deutsche Einheit und bessere Lebensbedingungen. Eine Auswahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Kandidaten, selbst die ein Jahr vorher bei den Volkskongresswahlen noch zugebilligte Entscheidung zwischen „Ja“ oder „Nein“, war nicht vorgesehen.
Objektiven Wahlbeobachtern oder unliebsamen Pressevertretern konnte auf Grund des Wahlgesetzes das Betreten des Wahllokals verwehrt werden. Inzwischen ist auch für viele Orte die nachträgliche Manipulierung der Wahlergebnisse belegt. So verwundert es nicht, dass das offizielle Wahlergebnis lediglich 0,3 % (in Brandenburg 0,91 %) Gegenstimmen aufwies. Bis zum Zusammenbruch des sozialistischen Systems 1989/1990 wurden Wahlen nun nach diesem den Wählerwillen auf ein Minimum reduzierenden und den demokratischen Gehalt von Wahlen deformierenden Muster abgehalten. Nachdem sich in den achtziger Jahren Gruppen von Bürgerrechtlern gebildet hatten, erlangte deshalb das Verlangen nach demokratischen Wahlen einen immer höheren Stellenwert.
Als versteckte Kontrollmaßnahmen von Oppositionsgruppen die massiven Wahlfälschungen bei den Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 nachwiesen, diskreditierten sie damit das gesamte Herrschaftssystem der DDR, das wenige Monate darauf zusammenbrechen sollte.
Demokratische Wahl: Die Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 waren seit Jahrzehnten die ersten allgemeinen und freien Wahlen in Brandenburg.
Quelle: Wählen und gewählt werden. Landtagswahlen in Brandenburg
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