Platzt der Bundestag bald?

Im Gesetz steht ganz simpel: Der Deutsche Bundestag besteht aus 598 Abgeordneten. Aktuell gibt es allerdings schon 709 Abgeordnete. Und nach der Wahl könnten es einigen Berechnungen zufolge mehr als 800 werden. Warum scheint der Bundestag unaufhörlich zu wachsen? Und wann ist „groß“ „zu groß“?

Es ist kompliziert

Auch wenn es so wirkt, als würden Politiker nichts gegen den Größenzuwachs unternehmen wollen, muss man anerkennen: Es ist kompliziert. Das deutsche Wahlsystem, die personalisierte Verhältniswahl, ist im Grundzug seit Jahrzehnten unverändert. Es gibt eine Erststimme für einen Wahlkreiskandidaten und eine Zweitstimme für eine Partei. Im Wahlkreis hat gewonnen, wer die meisten Stimmen erhält und über die Zweitstimme wird sichergestellt, dass jede Partei so viele Sitze bekommt, wie ihr anteilig zustehen.

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Daniel Hellmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Parlamentarismusforschung und Doktorand an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg. Dort lehrt er zu verschiedenen Themen, wie Wahlforschung, innerparteilicher Demokratie und Gesundheitspolitik. Besonders interessiert er sich für die kleinteilige Ausgestaltung von Wahlsystemen.

Heute wird anders gewählt

Was sich geändert hat, ist das Wahlverhalten der Bürger. Solange die großen Parteien CDU, CSU und SPD den größten Teil der Stimmen auf sich vereinigt haben, ist der Bundestag kaum größer gewesen, als gesetzlich vorgeschrieben. Seitdem sich die Stimmen auf mehr Parteien verteilen, gibt es immer öfter Überhangmandate. Dann entsteht einer Partei ein unfairer Vorteil, weil sie mehr Mandate erhält, als ihr zustehen. Seit 2013 werden solche Sitze durch weitere Mandate für andere Parteien ausgeglichen, damit jede Partei so stark im Bundestag vertreten ist, wie sie Wählerstimmen gewinnen konnte. Leider wird so aber auch der Bundestag immer größer.

Die Situation ist verfahren

Da eigentlich alle Parteien an den beliebten zwei Stimmen festhalten wollen, ist eine Reform schwierig. Man konnte sich zuletzt darauf einigen, dass es bei der übernächsten Bundestagswahl weniger Wahlkreise geben wird und dadurch auch weniger Überhangmandate anfallen. Da dies wohl nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen sein wird, wurde auch eine Reformkommission eingesetzt, die weitergehende Vorschläge erarbeiten soll.

Wann ist groß zu groß?

Ob der Bundestag nun 600 oder 700 Mitglieder hat könnte doch eigentlich egal sein, oder? Wenn es mehr Abgeordnete gibt, dann sind sie ja auch für die Bürger leichter zu erreichen. Das stimmt zwar theoretisch, ist aber auch nur die halbe Wahrheit. Aus jeder Arbeit im Team oder in der Gruppe kennt man den Effekt: Mehr Teilnehmer bedeuten oft, dass es schwerer fällt, effektiv zu arbeiten. Ein Bundestag mit 800 Mitgliedern kann daher zu groß sein. Es kann aber auch sein, dass er mit 800 Mitgliedern genauso gut arbeitet, wie bisher oder sogar besser. Was feststeht ist, dass er als zu groß empfunden wird.

Der Bundestag als Vertretung des deutschen Volkes ist aktuell größer als das europäische Parlament als Vertretung 27 europäischer Staaten. Nur der chinesische Volkskongress ist mit knapp 5000 Mitgliedern größer. Unter den demokratisch gewählten Volksvertretungen ist der Bundestag aktuell internationale Spitze. Auch ohne feste Maßstäbe muss man sagen, dass der Bundestag nicht das größte demokratisch gewählte Parlament der Welt sein muss.

Daniel Hellmann, Juni 2021
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