Es geht um Regionalzüge, die bald nicht mehr überall halten. Frau Ragow findet, dass das so einfach nicht geht und überredet Theresa zu einem Brandbrief mit Brückenfunktion.
Heute früh hat mir Frau Ragow hinterher gerufen, ich solle am Abend früher kommen. Wir müssten wichtige Dinge klären. Nimm den Bus um fünf, bring Deine komische Biomilch und Zeit mit!“ „Jawohl!“ Ich glaube, in jedem Brandenburger steckt noch was von Friedrichs Soldatenerziehung. Das werden die nicht mehr los.
Jetzt sitzen wir in der Küche, vor mir stehen zwei Riesenschüsseln mit gezuckerten Erdbeeren und meine komische Biomilch, daneben eine Flasche Erdbeerlikör und Erdbeerkaltschale. Alles aus dem Garten von Frau Ragow. Der Garten ist ein halbes Feld voller Erdbeeren. Während ich von einem roten Erdbeerparadies träume, plappert Frau Ragow seit einer halben Stunde aufgeregt vor sich hin.
Es geht um irgendwelche Regionalzüge, die bald nicht mehr fahren werden und andere, die anderswo öfter fahren werden. Das wäre ein Schlag ins Gesicht von Müttern und „uns Alten“ und eine Frechheit gegen die „Perle Wustermark“ sowie eine Riesendummheit, die „die da oben“ machen, weil sie mal wieder nicht hören und nix mehr verstehen. „Und das alles wegen vier Minuten.“ „Hä? Vier Minuten? So schnell ist die Regionalbahn jetzt?“
„Sag mal Kindchen, hörst Du überhaupt zu?“ „Die wollen Wustermark von der RB 21 abschneiden und dann kommste kaum noch nach Berlin. Müsste nicht sein, wenn die einen Umweg über Wustermark fahren würden. Der würde nur vier Minuten dauern. Das ist zu viel, sagen die Politiker und wollen dafür lieber in Elstal einen neuen Bahnhof bauen. Für zig Millionen! Das ist Blödsinn und alle sind dagegen. Aber sie machen es trotzdem!“
„Na ja“, überlege ich, „die in Elstal finden das vielleicht nicht so schlecht. Ist da nicht dieses Design Outlet? Wollte ich mal hin. Und das geht jetzt vier Minuten schneller? Super!“
„Kindchen! Vergiss den Designquatsch! Wir müssen was dagegen tun?“
Ich robbe mich an die zweite Schüssel Erdbeeren ran. „Also Frau Ragow, jetzt mal nacheinander: Was müssen wir tun? Und was haben Sie damit zu tun? Ich meine, von Falkensee braucht man Wustermark doch gar nicht. Und außerdem: Wenn die in Elstal einen neuen Bahnhof bauen wollen, ist doch eh alles schon wieder vorbei. Brandenburger Bauvorhaben sind der beste Bürgerprotest. Sie werden erst zu teuer, dann immer später und am Ende gar nicht. Also aus die Maus und alle haben Spaß.“ Ich nehme lustvoll einen großen Löffel Erdbeeren. „Aber Elstal muss ich mir merken.“
„Nee Kindchen, wir machen jetzt was. Ich hab denen gesagt, dass Du immer so Zeugs schreibst und wir schreiben jetzt einen Brandbrief!“ Frau Ragow steht auf, holt meinen Laptop und klappt ihn auf. Dann stellt sie die Schüssel Erdbeeren weg. Stampft mit dem Fuß. „Los jetzt!“
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Frau Ministerin!
„Nee, das ist zu förmlich. Die müssen merken, dass es jetzt persönlich wird. Kein Spaß mehr.“ „Wie? Soll ich die mit Namen anreden? Also Herr Woidke und Frau Schneider?“ „Nee direkter.“
Lieber Dietmar, liebe Kathrin,
„Ja so ist gut. Da können sie nicht ausweichen. Jetzt erklär ihnen, worum es geht.“
„…was ihr in Wustermark mit der Regionalbahn macht, geht so nicht! Ihr müsst das ändern!
„Ja genau. Direkt ran an den Stoff! Jetzt müssen wir ihnen knallhart sagen, was sie ändern müssen.“ Ich schreibe also knallhart:
Ihr habt einen tollen Landesverkehrsplan gemacht. Wirklich! Aber Kathrin, Du kannst doch nicht erst mit den Leuten in Wustermark so viel reden und dann über ihre Köpfe hinweg entscheiden. Das macht man nicht. Dietmar, Du hast es selbst gesagt: Mit den Menschen im Gespräch bleiben ist das Wichtigste, mit den Menschen gemeinsam Entscheidungen finden. Das zeichnet Brandenburg aus. Das hast Du gesagt, Dietmar, und das müssen wir jetzt auch wieder schaffen.
„Hat der Woidke das wirklich gesagt?“, fragt Frau Ragow. „Keine Ahnung, aber ist auch egal, es wird ihm gefallen. Jetzt müssen wir eine Brücke bauen.“ „Brücke?“, sagt Frau Ragow. „Die wollen einen Bahnhof bauen und ich will das nicht!“ Ich schreibe:
Kathrin, Deine Idee ist doch vom Prinzip gut! Eine gute und schnelle Verbindung von Potsdam nach Berlin durch das Havelland hilft den Menschen hier und es wird sicherlich zu zusätzlichen Gründungen von Firmen führen,…
„Kindchen, dein Outlet-Dingsbums bleibt außen vor!“
…aber warum Wustermark davon ausschließen? Hier wurden in den letzten Jahren wunderbare Dinge entwickelt, die eine stabile und direkte Anbindung brauchen. Ihr beide wisst das. Jetzt plant ihr einen neuen Bahnhof und keinen Halt mehr in Wustermark. Wir finden, das bringt niemandem etwas. Es grenzt die einen aus und lastet den anderen hohe und unkalkulierbare Kosten auf. Und Kathrin, Du weißt, wer Kosten überzieht, bekommt Ärger mit Christian!
„Wer ist Christian?“ „Der Finanzminister. Der mag keine Mehrkosten.“
Und deswegen, Kathrin, möchten wir Dir eine Lösung vorstellen, bei der alle gewinnen können!
„Na jetzt bin ich ja mal gespannt.“
Wir schlagen Dir vor, den Bahnhof in Elstal nicht zu bauen. Das spart Geld. Du bist dann bei Dietmar DIE Ministerin, die Geld gespart hat. Vielleicht kannst Du es sogar woanders sinnvoller ausgeben. Dann freuen sich die Leute und mögen Dich noch mehr, Kathrin.
Und die vier Minuten, die der Zug dann über Wustermark länger braucht, die schenkt ihr, lieber Dietmar, liebe Kathrin, den Brandenburgern!
„Hä?“ „Ja, jetzt setzen wir die Botschaft, die alles schlägt.“
Brandenburg, das ist das Land der Ruhe und der Gelassenheit! Das fängt im Kleinen an und geht im Großen weiter. Wir nehmen uns mit unserem Flughafen die Zeit, die es braucht. Wir fahren über die Dörfer lange Wege und sitzen am Abend in Ruhe am Grill. Am Morgen drängeln wir uns nicht wie die Berliner in der U-Bahn, sondern sitzen in unseren Bahnen und Bussen und genießen die Zeit.
Und hierfür schenken wir den Havelländern, den Wustermärkern, den Elstalern, den Priortern vier Minuten! Vier Minuten mehr Lebenszeit. Tag für Tag!
Stille. Frau Ragow blickt nach draußen. „Das ist gut. Richtig gut. Ich würde es die Wustermark-Minuten nennen.“ „Ja, eine schöne Idee. Man kann sie ja dann auch als Sammelmarken ausgeben.“ „Ja, wer zwölf Wustermark-Minuten hat, kriegt in Potsdam einen Kaffee umsonst.“ „Oder ab zwanzig Minuten in der Saison eine Schale Erdbeeren.“ „Kindchen, Du bist süchtig nach Erdbeeren! Aber jetzt musst du noch einen Abschiedsgruß schreiben.“
Lieber Dietmar, liebe Kathrin,
denkt mal drüber nach! Zeit ist wichtig. Genau wie das Reden miteinander. Weil, die Politik macht ihr doch für uns. Und mit uns. Aber nicht gegen uns. Und wir wollen sie auch mit euch machen. Der Brandenburger Weg, wisst ihr noch?
Liebe Grüße,
Eure Frau Ragow und eure Theresa aus Falkensee
(das ist eigentlich ganz dicht bei Wustermark)
Wegen Kunst am Leben und im Beruf ist Theresa nach Berlin gezogen. Dort arbeitet sie, wohnt aber in Brandenburg. Am Anfang hat sie gedacht, das kann nur eine Notlösung sein, denn alle wollen doch nach Berlin, niemand aber nach Brandenburg. Inzwischen sieht sie das anders. Brandenburg ist ganz anders als Berlin, wo jeder sich jeden Tag bloß neu erfindet. Brandenburg ist einfach und manchmal furchtbar kompliziert. Warum ist das so? Hier schreibt sie es auf.
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Kommentare
KommentierenAbgehängt in Wustermark
"Die Kritik an der Planung ebbte nicht ab, auch die Wirtschaft mischte sich ein, so dass das Ministerium eingelenkt und gesagt hat: Wir machen ein Prüfverfahren um nochmal zu schauen, kann Wustermark nicht doch angebunden bleiben. Und die Situation ist so, dass wir ganz hoffnungsvoll sind und es gut aussieht. Als wenn eine Lösung gefunden werden könnte."
(Maria Zunke, Bürgerinitiative "Nicht ohne Wustermark")
Nun haben Sie solange gekämpft, haben Sie damit gerechnet?
"Nein - wir sind auch überrascht über den Erfolg. Aber es zeigt ja auch wieder, wie großartig es ist, wenn Menschen sich einsetzen, wenn Menschen aufstehen. einfach dafür kämpfen für das, was sie wollen."(Robina Mahr, Bürgerinitiative "Nicht ohne Wustermark")
Aus: Robur nachgehakt in Wustermark ab min 2:00. rbb vom 2.01.19
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Es wird Zeit, dass ihr drüber mal berichtet!
Vielen Dank für den großartigen Artikel. Ich fahre selber täglich von Wustermark mit der RB13 und würde mir bereits jetzt wünschen, dass die Linie bis Gesundbrunnen durchgebunden wird und ganztägig verkehrt. Damals bei der Bürgerbeteiligung hatte ich diese Hoffnung noch. Aber was in den letzten Monaten gegen den Willen der Bevölkerung geplant wird, habt ihr super zusammengetragen. Durch eine Ankopplung Wustermarks würden sich Verkehrsströme nach Elstal oder direkt nach Potsdam und Berlin verlagern. Immerhin wer steigt in Elstal in einen Zug, wenn er schon dort keine Parkplatz mehr vorfindet und zudem selber innerhalb von 10 Minuten mit Auto in Berlin ist. Ganz zu schweige das Verkehrschaos am Outlet Center durch das alle Pendler mit Auto müssten.
Wundervoll! Bei dem ganzen
Wundervoll! Bei dem ganzen Irrsinn in der letzten Zeit fasst das Thema mal jemand mit der nötigen Portuon Humor auf! Danke für diese Zeilen, sie treffen genau ins Schwarze! Meine Familie und ich brauchen diese Anbindung im Halbstundentakt nach Berlin und den Stundentakt nach Potsdam. Ich bin wütend, dass wir erst so spät informiert worden sind. Seit Monaten schreiben wir Briefe und bangen um unser jetziges Leben! Ich hoffe inständig darauf, dass die vielen Proteste von uns und anderen Bürgern doch noch Gehör finden und nicht wieder mal über den Kopf des kleinen Bürgers hinweg entschieden wird.
Frau Schneider, tun Sie was!
Danke für diesen großartigen Text!
Vielen Dank für diesen wunderbaren Text!! Er spricht mir aus dem Herzen! Ich bin Wustermarkerin und kann als junger Mensch mit Familie im Potsdamer Umland über die geplante Entscheidung zu unserem Bahnhof nur mit dem Kopf schütteln. Die Entscheidung, dass der Zug hier nicht mehr halten soll, greift für mich als Pendlerin so stark in mein Leben ein, dass es mich fast sprachlos macht. Wie kann man so planen?!
Es könnte so einfach sein. Ist es aber nicht, wenn der Zug zur Arbeit nicht mehr fährt.
Brandbrief
Einfach wunderbar Theresa. Beste Grüße an Frau Ragow, die alte Preußin!!!
Danke! Die Grüße werden
Danke! Die Grüße werden umgehend ausgerichtet. :-)
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