Ein klar erkennbares Motiv zum Anschluss an die linksextreme Szene stellt oft die Suche nach Anerkennung und Identifikation dar. Die Szene übernimmt die Funktion von Familie und Freundeskreis.
Das vielfältige linksextreme Spektrum unterscheidet sich nicht nur ideologisch (Kommunisten oder Anarchisten) und organisatorisch (Parteien oder „Szene“), sondern auch in der Zusammensetzung ihrer Anhängerschaft. Es gibt dazu vergleichsweise wenig Daten.
Die Mitglieder der linksextremen Parteien stammen zum Teil noch aus dem kommunistischen Spektrum der zerfallenen 1968er-Bewegung. Eine entsprechende Überalterung prägt die DKP und die MLPD. Bei der Mehrheit handelt es sich heute um Arbeiter, einfache Angestellte sowie Rentnerinnen und Rentner. Zugleich betreiben die Parteien traditionell eine umfangreiche Jugendarbeit. Obwohl formal eigenständig, organisiert sich der DKP-Nachwuchs in der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (2020: 670 Mitglieder); zur MLPD gehört der offizielle Jugendverband REBELL (2020: 150 Mitglieder).
Jugendliche gelten einesteils als „Avantgarde des sozialistischen Aufbaus“ (MLPD-Programm), anderenteils als Voraussetzung eines notwendigen Generationenwechsels. Die Jugendverbände spielen eine maßgebliche Rolle bei der Anwerbung von Heranwachsenden – durch Freizeitangebote und Workshops in Jugendclubs und soziokulturellen Zentren, durch Kulturveranstaltungen sowie durch Antifa-Arbeit und das Engagement in der Klimaprotestbewegung. Anders als die Lifestyle-orientierte Szene ist die Anziehungskraft von festen Parteiorganisationen jedoch begrenzt.
Zur Zusammensetzung der linksextremen Szene, speziell der Autonomen, gibt es nur wenige Quellen. Das liegt zum einen an der Offenheit des Milieus. Es existieren Verbindungen zu den linksalternativen Subkulturen, zum Beispiel zur Punk-, Hardcore-, Ska- und HipHop-Szene, zu Sprayern und zu Skatern. Zum anderen geben Autonome gegenüber der Öffentlichkeit und Wissenschaft kaum etwas über ihre Lebensumstände preis – Befragungen gelten als verdächtig und werden als Ausspionieren aufgefasst.
Die wenigen Selbstdarstellungen und wissenschaftlichen Studien beschreiben die Anhänger der linksextremen Szene als überwiegend männliche Jugendliche im Alter zwischen 18 und 28 Jahren, die vorwiegend in Groß- beziehungsweise Universitätsstädten zu Hause sind. Sie zählen vorrangig zur Mittelschicht. Es handelt sich überdurchschnittlich häufig um Studenten und Schüler, aber auch Azubis und Arbeitslose sind darunter. Als typisch lassen sich zudem Brüche im Bildungsweg feststellen wie Langzeitstudierende, Klassenwiederholungen und abgebrochene Ausbildungen.
Traditionelle Zeichen wie Hammer, Sichel, roter Stern sowie neue Buchstabenkombinationen dienen der länderübergreifenden Erkennung und Identifikation.
Ein klar erkennbares Motiv zum Anschluss an die linksextreme Szene stellt oft die Suche nach Anerkennung und Identifikation dar. Selbst nicht selten herangewachsen als Opfer von häuslicher Gewalt, familiären Brüchen und der Ausgrenzung in Schule und Cliquen, übernimmt die Szene die Funktion von Familien und Freundeskreisen. Daraus erklärt sich der hohe Zusammenhalt des linksextremen Milieus, ebenso wie die enorme Gruppendynamik etwa bei Demonstrationen. Allerdings beträgt die Verweildauer innerhalb der Szene meist nur wenige Jahre.
Dies spricht dafür, dass die Zugehörigkeit keine „Lebensentscheidung“ markiert, sondern eher eine Phase jugendlicher Sozialisation. Typische Gründe für das „Herauswachsen“ aus der Szene sind Partnerschaften und Nachwuchsplanung, das Verlangen nach sozialer Sicherheit und das „Ankommen“ im Beruf. Das unterscheidet Szeneanhänger von den eher langfristigen Bindungen der Parteimitglieder.
Faktenbox:
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Bei den Anhängern linksextremistischer Parteien handelt es sich überwiegend um Arbeiter, einfache Angestellte und Rentner, die bereits seit den 1980er Jahren Mitglieder sind.
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Die zugleich intensive Nachwuchsarbeit der Jugendverbände soll den Parteien neue Impulse geben und den Generationenwechsel vollziehen – mit mäßigem Erfolg
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Anhänger der linksextremen Szene sind meist jugendliche Männer im Alter zwischen 18 und 28 Jahren, die aus Groß und Universitätsstädten stammen und zur Mittelschicht zählen.
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Ein zentrales Beitrittsmotiv für den Anschluss an die Szene stellt für viele Linksextremisten die Erfahrung von Ausgrenzung und familiären Belastungen („broken homes“) dar.
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Auf der Suche nach Anerkennung und Identifikation übernimmt die linksextreme Szene die Funktion von Familien und Freundeskreisen.
Prof. Matthias Quent erklärt das Gewaltpotential von Radikalisierungsprozessen. Wir geben Linktipps zu Unterstützungsangeboten für Betroffene.
Prof. Dr. Tom Thieme, März 2022
Der Autor ist Professor für Gesellschaftspolitische Bildung an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/O.L.
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