Wohin mit all den Unterstrichen, Sternchen und großen I, um Frauen, Männer und weitere Geschlechter abzubilden? Wir haben eine Antwort gefunden - zumindest eine vorläufige. Oder was meinen Sie?
"Das sind ja nur Männer", sage ich zu meiner Kollegin, als ich ihre Grafik zu den Bundestags-Abgeordneten aus Brandenburg sehe. Sie rollt die Augen, ich kann es durchs Telefon hören, und entgegnet, "Da sind Frauen mit eingeschlossen". Letztlich seien es Symbole für Menschen. Ich fand, dass wir mit diesem Argument ebenso gut auch nur Frauenfiguren nehmen könnten.
Da unsere Software keine gemischten Figurencharts bereitstellt, holen wir eine dritte Kollegin an Bord. Diese schlägt vor, in den Überschriften grundsätzlich die weibliche und die männliche Form zu benutzen und auf geschlechterbezogene Figuren in der Grafik zu verzichten.
Damit standen wir in der Landeszentrale erneut vor einer Frage, die uns schon öfter beschäftigt hat. Wie spiegeln wir als Behörde die öffentliche Geschlechterdebatte nach außen wider?
Wohin mit "I" und "_" und "*"?
Gender ist das englische Wort für Geschlecht. Es setzt sich zunehmend im deutschen Sprachgebrauch durch und hat viel mit der Gleichberechtigung der Geschlechter zu tun. Sie ist der Kern der so genannten Gender-Diskussionen. Ein Aspekt darin ist unsere Sprache. Wie gelingt es, in Texten und Bildern, in unserer gesamten Kommunikation die Geschlechter gleichberechtigt darzustellen?
Vorschläge für das "richtige Gendern" gibt es inzwischen von vielen Seiten : Das grosse I ist das wohl Bekannteste bei den BürgerInnen. Daneben gibt es den Unterstrich, der darauf aufmerksam machen soll, dass es außer Mann und Frau andere Geschlechter gibt, auch wenn das nicht allen Leser_innen gefallen mag. In jüngerer Zeit taucht zudem öfter ein Sternchen auf, das für noch mehr Offenheit in der Definition von Geschlecht steht. Zusätzlich tummeln sich Zeichen für alle möglichen bekannten und unbekannten Geschlechter, Geschlechterzuschreibungen und Eigenbilder. Selbst das "stille Örtchen" steht zur Genderdebatte.
Kritiker*innen leiten daraus einen "Genderwahn" ab und wenden sich gegen einen Zwang zum Gendern, den so genannten Gender-Mainstream.
Einen Zwang zum Gendern kann ich nicht erkennen, wohl aber eine Entwicklung hin zur eigenen, kritischen Hinterfragung mit zum Teil bemerkenswerten Folgen.
So hat die Universität Leipzig 2013 ihre Grundordnung komplett in der weiblichen Form verfasst, also von der "Professorin" geschrieben, wenn auch der Professor gemeint war. Es gab ein so großes Medienecho, dass sich die Universität veranlasst sah, mit einer öffentlichen Richtigstellung zu reagieren. In einer Fußnote der Grundordnung hatte sie vermerkt, dass die weibliche Form im Text selbstverständlich auch Männer einschließe. Die Universität hatte damit nichts weiter getan, als die übliche Praxis umzudrehen. Das verwirrt und ist unbequem, weil man die eigene Komfortzone verlassen muss, um sich neu zu orientieren.
Warum ich übertreibe
Auch in der Landeszentrale diskutieren wir. Hier arbeiten 10 Frauen verschiedener Berufe, familiärer Hintergründe und unterschiedlichen Alters. Jede von uns hat eine Meinung zum Gendern. Zusätzlich bringen externe Autoren, freie Träger und andere Partner ihre individuellen Auffassungen mit ein.
Die Meinungen und Haltungen zu einer geschlechtergerechten Sprache gehen bei uns zum Teil weit auseinander. So bestand kürzlich ein junger Mann mit Vehemenz darauf, dass sein Beitrag konsequent "gegendert" wird, also entweder die weibliche und die männliche Form verwendet wird oder eins der oben genannten Zeichen zur Verdeutlichung. Eine andere Kollegin fand genau das übertrieben.
Ich glaube, ich gehöre zu den Übertreibern (m/w). Nicht, weil ich mich selbst nicht angesprochen fühlen würde, wenn zum Beispiel nur von Bürgern die Rede ist, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass Sprache unseren Blick auf die Umwelt, die Gesellschaft, unser Denken und schließlich unser Handeln maßgeblich prägt.
Victor Klemperer, bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten Professor an der Technischen Universität Dresden, hat diese Zusammenhänge für die Sprache im "Dritten Reich" dargestellt und auf die Manipulation von Menschen hingewiesen, die damit einherging.
Die Kommunikationsexpertin Monika Schwarz-Friesel von der Freien Universität Berlin kam nach ihren Forschungen zum Antisemitismus in der Gegenwart zu dem Ergebnis, dass Sprache sogar töten kann. Auch aus der Sprachpsychologie ist die Macht der Worte bekannt.
Was Sprache transportiert
Was spricht vor diesem Hintergrund dagegen, darauf zu achten, was wir mit unserer Sprache transportieren? Vieles wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Was spricht dagegen, nach Alternativen zu suchen und anstelle von Studenten von Studierenden zu sprechen, Kandidaten als Kandidierende zu bezeichnen, Teilnehmer als Teilnehmende?
Wenn es diese Möglichkeit nicht gibt, kann man von Bürgerinnen und Bürgern sprechen, denn Bürgende sind dann doch noch etwas anderes. Sprache sollte nach meiner Ansicht Menschen sichtbar machen. Daher finde ich auch Vorschläge, im öffentlichen Dienst "Ansprechpartner" durch "Ansprechstelle" zu ersetzen, nicht sinnvoll.
Sprache entwickelt sich. Sie ist Ausdruck ihrer Zeit, der Gesellschaft, in der sie verwendet wird und der Menschen, die in ihr leben. Wir reden heute nicht mehr wie vor 100 Jahren: Euer Hochwohlgeboren gibt es bei uns nicht mehr, auch nicht die untertänigsten Diener eines Herrn. Keine junge Frau möchte als Fräulein angesprochen oder angeschrieben werden, ob verheiratet oder nicht. Und der Jüngling ist auch weitgehend aus der Sprache verschwunden, während die Torfrau ebenso selbstverständlich ist wie die Soldatin. Andere Begriffe, wie das Wort "queer", haben sich gerade erst auf den Weg gemacht, die Gesellschaft von sich zu überzeugen.
Die Landeszentrale ist Teil dieser Entwicklung. Wir haben nicht die eine Lösung parat, unsere Angebote zeigen vielmehr, wie lebendig die Gender-Geschlechter-Diskussion derzeit ist. Unsere Grafiken sind hier nur ein aktuelles Beispiel.
Wir haben uns am Ende für die Verwendung verschiedener Symbole, Zeichen und anderer sprachlicher Formen entschieden, weil diese die Vielfalt der Meinungen abbilden. Sie stehen zugleich für die Suche nach einem Konsens, der im Testen und Verwerfen, im miteinander Reden entsteht und eben nicht auf dem/der Amtsschimmel_I_*in dahergeritten kommt.
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Kommentare
KommentierenSprache verändert sich
und Vieles ist Gewohnheit. So sind wir es gewohnt, in öffentlichen Einrichtungen immer zwei Toilettenräume, nach Männern und Frauen getrennt, vorzufinden (+ Barrierefreie). In diesem Kontext versucht man mit Piktogrammen in ganz unterschiedlicher Form, dem Besucher eine schnelle Entscheidung/Zuordnung zu einem der Räume zu ermöglichen. Das Ganze geschieht ganz ohne großes Nachdenken, weil wir es eben so gewohnt sind.
Bei Unisex-Toiletten erübrigen sich differenzierte Piktogramme und der Gastgeber spart einen zusätzlichen Toilettenraum.
Damit sich Gewohnheiten ändern, müssen einige Faktoren zusammenkommen und bis sich gesellschaftliche Konventionen ändern, dauert es meist eine ganze Weile. Dass wir uns aktuell noch im Prozess des Experimentierens mit Gender befinden, zeigen die vielen unterschiedlichen Regelungen:
Paarform, Binnen-I mit oder ohne Leerzeichen, Unterstrich, Schrägstrich, Gendersternchen, Fußnote, x-Form, generisches Femininum, neutrale Schreibweise - Klar, dass da viele (auch ich) sehr unsicher sind, was denn nun richtig und angebracht ist. Die Seite "Geschicktgendern.de" versucht sich an einem Wörterbuch für neutrale Schreibweisen, erschafft dabei allerdings Wortungetüme wie "Busführung" (Busfahrer), "diplomierte technische Fachkraft" (Diplomingenieur), "Zaubertrick vorführende Person" (Zauberer) und "Hochsee-Fachkraft" (Seefahrer).
soziales Geschlecht
Im Text heißt es korrekt: "Gender ist das englische Wort für Geschlecht." Im Zusammenhang mit der Gender-Debatte ist aber immer darauf hinzuweisen, dass es sich in diesem Kontext um das soziale Geschlecht handelt, also eine Geschlechtszuschreibung, die in einen sozialen Kontext eingebunden ist. Die rein an biologischen Merkmalen orientierte Geschlechtszuweisung erfolgt im Englischen mit "sex". Daher wird im Rahmen der Debatte immer mal wieder auf "sex und gender" hingewiesen.
Ich finde, dass...
Noch eine Meinung aus der Landeszentrale: Für mich ist das ein sehr erhellender Artikel, allerdings habe ich mir sofort die Frage gestellt, woran eigentlich festgemacht wird, dass es sich bei den Figuren um männliche Figuren handelt. Etwa daran, dass sie keine langen Haare haben, keine erkennbare Oberweite oder keinen Rock tragen? Das wäre doch dann aber wohl auch keine geschlechtergerechte Darstellung, sondern eher eine diskriminierende… Für mich wirken die Figuren eher weiblich – eben weil sie so reduziert dargestellt sind. Es könnten auch Kinder oder Greise sein; man muss sie sich nur mit entsprechenden Gesichtszügen vorstellen. Also wenn das keine neutrale Darstellung ist, dann weiß ich auch nicht.
Beste Grüße von Kollegin zu Kollegin.
Stimme zu
Dass die Piktogramme zwingend Männer darstellen und Frauen sowie Menschen mit nicht-zweigeschlechtlicher Identität ausschließen, sehe ich ebenfalls nicht. Das abstrakte Zeichen lässt ja bewusst äußere Geschlechtsmerkmale weg, reduziert "Mensch" auf ein noch erkennbares Minimum und ist damit für jeden einfach zu verstehen, ohne dass dieser unsere Sprache sprechen oder unsere Kultur kennen muss.
Die Verständlichkeit von Sprache ist in meinen Augen auch ein großes Problem des Genderns - Menschen mit Behinderung, Analphabeten, Nicht-Muttersprachler und ältere Menschen dürften teils massive Probleme beim Lesen konsequent gegenderter Texte bekommen. Sicher, dafür gibt es doch "Leichte Sprache", aber ist das nicht eigentlich auch wieder eine Diskriminierung, wenn die "Alltagssprache" nur für einen "gehobenen" Kreis aus Personen mit akademischem Hintergrund verständlich (denn hier würde ich die Ursprünge des Genderns verorten) ist, ein anderer Teil auf eine gesonderte Sprache ausweichen muss (sofern vorhanden).
Eine persönliche Befindlichkeit ist außerdem, dass gegenderte Texte und Sprache so ungelenk klingen, irgendwie technisch oder juristisch, auf jeden Fall nicht schön oder angenehm zu lesen.
Ungelenk und abgehoben?
Es wäre tatsächlich interessant zu sehen, was passiert, wenn man diese Piktogramme an einer öffentliche Toilette anbringt. Wäre die Orientierung wirklich für alle so eindeutig und einfach zu verstehen, wie IDEE annimmt? Bei dieser Überlegung spreche ich noch nicht einmal von unterschiedlichen Kulturkreisen. Ihre Bedenken, dass Sprache durch das Gendern unverständlich für Menschen mit Behinderung, Analphabeten, Nicht-Muttersprachler und ältere Menschen wird, teile ich nicht. Unsere "schwere Sprache" insgesamt ist es, die diese Menschen nicht oder schwer verstehen können. Aber Leichte Sprache ist eine realativ neue Sprachentwicklung und wir wissen noch wenig über ihre Wirksamkeit.
Dass Sie persönlich gegenderte Sprache als ungelenk und technisch und in jedem Fall als nicht angenehm zu lesen empfinden, kann ich ebenso verstehen, wie die gegenteilige Meinung des jungen Mannes, den ich in meinem Beitrag zitiert habe, der wiederum nicht-gegenderte Texte als ungelenk und in jedem Fall als nicht angenehm zu lesen empfindet. Es kommt aus meiner Sicht viel darauf an, woran man gewöhnt ist. Ich lese gerade ein Buch zur Revolution von 1848/49 in Brandenburg. Dort heißt es in einem Aufruf der Wahlmänner von Zehdenick gegen die Verlegung der Nationalversammlung aus Berlin nach Brandenburg:
Das liest sich ungelenk und auf jeden Fall nicht angenehm, zumindest für mich. Es war aber zur damaligen Zeit das übliche Deutsch und wurde auch so verstanden. Vielleicht sind Sternchen und Unterstriche und ein großes I mitten im Wort zum jetzigen Zeitpunkt für viele noch ungewohnt, während andere wie selbstverständlich damit begonnen haben, auch schon konsequent gegendert zu sprechen. Als ich es das erste Mal hörte, dachte ich, es sei ein Sprachfehler, weil es für mich wie zwei Worte klang: Mitarbeiter innen. Schüler innen. Politiker innen. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass vor allem junge Menschen ganz selbstverständlich auch im Alltag so sprechen. Ich selbst möchte nicht so reden, aber wer weiß, noch vor einigen Jahren hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass so viele "emojis" hierzulande sprachlich unterwegs sind.
Geschickt gendern
Danke für den Linktipp. Die Seite mit dem geschickten Gendern kannte ich nicht!
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