Ich bin im wiedervereinigten Deutschland geboren, ich kenne nichts anderes und dennoch prägt es meine Identität, im Osten mit ostdeutschen Eltern aufgewachsen zu sein. Eine Mauer hat es für mich deshalb dennoch nie gegebenen, auch keine Mauer im Kopf. Aber manchmal denke ich eben doch in den Kategorien ost- und westdeutsch.
30 Jahre Deutsche Einheit. Fast. Das ist lange, das ist alt. Ich bin unter 20 so wie viele meiner Freunde. Und dennoch hat auch in meiner Generation das Ost-West-Denken überlebt. Aber anders, als in den Medien und politischen Diskussionen oft dargestellt, ist das für uns kein Gegensatz.
Natürlich haben – wie ich – viele Kinder ostdeutscher Eltern, auch einige in meinem Freundeskreis, einen anderen Bezug zur DDR und zur Wende. Schließlich haben unsere Eltern und Großeltern das Leben in der SED-Diktatur erlebt - mit ihren guten wie schlechten Seiten. Aber eben auch, dass die Wendezeit nicht immer rosig war und aus blühenden Landschaften mancherorts totes Land wurde. Das sind ganz persönliche Erfahrungen unserer Elterngeneration und nicht nur ein längst abgeschlossenes Kapitel in irgendeinem Geschichtsbesuch. Und diese Erlebnisse sind natürlich auch in unsere Erziehung eingeflossen.
Ich bin im wiedervereinigten Deutschland geboren, ich kenne nichts anderes und dennoch prägt es meine Identität, im Osten mit ostdeutschen Eltern aufgewachsen zu sein. Eine Mauer hat es für mich deshalb dennoch nie gegebenen, auch keine Mauer im Kopf. Aber manchmal denke ich eben doch in den Kategorien ost- und westdeutsch. Als ich im Frühjahr zum Beispiel bei der regionalen Auswahlsitzung des europäischen Jugendparlaments in Leipzig war und ich unter über 100 Teilnehmern dennoch der einzige „wirklich“ Ostdeutsche war. Die einzigen anderen Teilnehmer aus den neuen Bundesländern kamen von Auslandsschulen in Berlin und Leipzig, haben also mit der ganzen Diskussion nichts zu tun. Das mag mit der Struktur des Wettbewerbs zusammenhängen, unterschieden in Ost und West habe ich aber trotzdem.
Dennoch: Ich fühle mich zunächst als Deutscher – genauso wie ich ja auch Europäer und Potsdamer bin. Aber ich merke eben, dass für mich mindestens innerlich eine Unterscheidung zwischen neuen und alten Bundesländern, zwischen ost- und westdeutsch stattfindet. Wenn ich neue Leute kennenlerne und man auf die Herkunft zu sprechen kommt, dann kann eine ostdeutsche Herkunft auch etwas Verbindendes haben. Wahrscheinlich ebenso wie zwischen Bayern oder Westfalen, die sich treffen – nur eben für eine ganze Region mit ihrer oft ähnlichen Vergangenheit.
Dass es Unterschiede gibt, lässt sich ja nicht bestreiten. Wir haben typische Ostplattenbauten, weniger Wirtschaftskraft, keine Dax-Unternehmen und es gibt Wendeverlierer und -profiteure. Gerade letzteres stellt sich als Frage für viele Westdeutsche wahrscheinlich kaum. Es gibt aber auch größere Gleichheit zwischen Mann und Frau, wir haben eigene Ampelmännchen und Sachsen ist Bildungsvorreiter in Deutschland.
All diese Unterschiede werden in meinen Augen zu oft als Indiz für eine misslungene, unvollständige Einheit aufgefasst. Das müssten sie aber nicht. Dass es wirtschaftlich und bei der Verteilung von Spitzenposten noch deutliche Ungleichheiten gibt, das wird sich langsam aber sicher auswachsen, da habe ich keine Zweifel.
Ich glaube, dass es im Denken, in der Erziehung, in Wahlen und Umfragen Unterschiede gibt, ist nicht schlimm und muss deshalb auch nicht "überwunden" werden. Ost und West, genauso wie Nord und Süd, haben ihre Eigenheiten, die müssen nicht angeglichen werden, die gehören zu einem vielfältigen Deutschland dazu. Einheit heißt eben nicht Gleichheit. Die Devise der EU bringt es gut auf den Punkt: In Vielfalt geeint. Warum sollte das für Deutschland eigentlich nicht auch gelten?
Julius Niewisch wohnt in Potsdam und hat 2019 seit Abitur gemacht. Er bloggte zur Landtagswahl 2019 und schrieb über seine Erfahrungen. Er ist Mitglied der CDU und als Beisitzer im Kreisvorstand Potsdam der Jungen Union aktiv.
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