„Die Kosten für eine chemische Reinigung dienen … nicht der Existenzsicherung“, heißt es auf S. 98. „Im System der Mindestsicherung ist die Unterhaltung eines Gartens als nicht existenzsichernd zu bewerten“, wird drei Seiten weiter klargestellt.
Anfang des Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht den derzeitigen Hartz-IV-Regelsatz für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber auferlegt, das Arbeitslosengeld II in nachvollziehbarer Weise neu zu berechnen. Man kann schon sagen, dass sich die Regierungsfraktionen dabei sehr viel Mühe gemacht haben. Der vorliegende Entwurf für ein „Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ umfasst zusammen mit der Begründung 254 Seiten. Auf S. 106 heißt es: „Die Position ‚Schnittblumen und Zimmerpflanzen‘ gehören nicht zum erforderlichen Grundbedarf und sind nicht existenzsichernd.“
Nachdem die eingangs durchgeführten statistischen Berechnungen offenbar nicht das gewünschte Ergebnis brachten, wird kein Aufwand gescheut, um in einem zweiten Arbeitsgang alles aus dem ermittelten „Warenkorb“ herauszurechnen, was sich nach Auffassung der Verantwortlichen für einen Hartz-IV-Empfänger nicht ziemt. „Im System der Mindestsicherung werden in der Position ‚Schmuck und Uhren (einschl. Reparaturen)‘ nur die Uhren (für Herren, Damen, sowie Wecker und Batteriewechsel, aber ohne Küchenuhren) als regelbedarfsrelevant berücksichtigt“, erfahren wir auf S. 109.
Auch wenn der Langzeitarbeitslose also auf Küchenuhren und anderen Luxus verzichten muss, wird er vielleicht dafür dankbar sein, dass sich der Gesetzgeber um seinen Gesundheitszustand sorgt: „Alkohol stellt … ein gesundheitsgefährdendes Genussgift dar und gehört als legale Droge nicht zu dem das Existenzminimum abdeckenden Grundbedarf“, heißt es auf S. 95f. Die gesundheitspolitische Fürsorge führt zu einer weiteren Kürzung, denn „Alkoholkonsum“ wird künftig „nicht mehr als regelbedarfsrelevant berücksichtigt“. Die Dankbarkeit des Alg-2-Beziehers dürfte sich also in Grenzen halten. Gleichwohl wird der bislang für Alkohol vorgesehene Betrag nicht vollständig gestrichen, denn verdursten soll im Sozialstaat 2010 niemand: „Wird auf Alkohol verzichtet, muss die damit verbundene Flüssigkeitsmenge … zumindest zum Teil durch alkoholfreie Getränke ersetzt werden. Daher wird statt der Ausgaben für Alkohol … ein zusätzlicher Betrag für alkoholfreie Getränke anerkannt.“
Leicht gesagt, doch wie hoch ist der Ausgleichsbetrag anzusetzen? Glücklicherweise gibt es im Bundesarbeitsministerium Referenten mit Hochschulbildung, die in der Lage sind, derartige Probleme mit der gebotenen Gründlichkeit anzugehen. Zunächst wird die Sachlage ermittelt: „Für 7,19 Euro lassen sich etwa 12 Liter preiswertes Bier kaufen.“ Beim Preisvergleich (in der verlängerten Mittagspause?) stellt sich sogar heraus: „Im Durchschnitt sind Bier oder gar Wein deutlich teurer, so dass sich ein deutlich niedrigeres Volumen an zu substituierender Flüssigkeit ergeben würde.“ Aber wir wollen ja nicht knausrig sein.
Die ordnungsgemäße Berechnung des Ausgleichsbetrags geht nun folgendermaßen von statten: „Ausgehend von 12 Litern Flüssigkeitsbedarf ergibt sich das maximal durch alkoholfreie Getränke zu substituierende Flüssigkeitsvolumen. Da die Flüssigkeitsmenge mit einem preisgünstigen Getränk berechnet wurde, ist es angemessen, auch die alkoholfreien Getränke mit dem niedrigpreisigen Mineralwasser anzusetzen.“ Aber selbstverständlich, im System der Grundsicherung wären Selters oder Apollinaris ja als nicht existenzsichernd zu bewerten. „Für die anzusetzenden 12 Liter Mineralwasser wurde ein Betrag von 2,99 Euro eingesetzt, für den Supermärkte flächendeckend eine entsprechende Menge Mineralwasser anbieten.“ Auf den Cent genau 2,99 Euro. Und das ist noch großzügig gerechnet, denn: „Legt man die Preise der preisgünstigen Discounter für 1,5-Liter-Mineralwasserflaschen zugrunde, ergibt sich für 12 Liter Mineralwasser sogar nur ein Preis von 1,52 Euro. Bei den als regelbedarfsrelevant berücksichtigten 2,99 Euro ist also bei preisbewusstem Einkauf durchaus Spielraum für Saft oder andere alkoholfreie Getränke.“
Bei preisbewusstem Einkauf durchaus Spielraum? Jeder, der mal auf Hartz IV angewiesen war, weiß, dass das Geld hinten und vorne nicht reicht. In seiner erbärmlichen Kleinkariertheit wirkt der vorliegende Begründungstext geradezu kabarettreif. Allerdings: Wenn man an die zahlreichen Menschen denkt, die mit den Konsequenzen dieser Art von Gesetzgebung leben müssen, vergeht einem bei der Lektüre des Textes oft das Lachen. Manche Textpassagen können von den Betroffenen eigentlich nur noch als Verhöhnung empfunden werden. Was soll z. B. ein Arbeitsloser, dem gerade das Geld für eine größere Anschaffung fehlt, mit dem Hinweis anfangen, Hartz IV beinhalte „auch eine Ansparkonzeption …, die in die Erwartung mündet, dass für nicht regelmäßig anfallende Bedarfe Anteile des Budgets zurückgelegt werden, da das Budget auch für größere und nur in längeren Abständen anfallende Anschaffungen monatliche Durchschnittswerte berücksichtigt“ (S. 93). Zur Erinnerung: Der Hartz-IV-Regelsatz für Alleinstehende liegt bei 359 Euro (zukünftig 364 Euro). Wer fordert, ein Leistungsempfänger müsse bei der Planung seiner Ausgaben berücksichtigen, dass in einigen Jahren ja seine Waschmaschine mal kaputt gehen könne, verlangt Unmenschliches.
Früher (die älteren Leser werden sich noch erinnern) hieß es gelegentlich: Arbeitslosigkeit ist ein gesellschaftliches Problem, das auch gesellschaftlich gelöst werden muss. Und eben nicht auf Kosten der Betroffenen. Im Zeitalter von Hartz IV mag diese Sichtweise altmodisch wirken. Aber ist sie deswegen falsch?
Links:
Die neuen Regelsätze. Darstellung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Link existiert nicht mehr)
Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Bundestags-Drucksache 17/3404 vom 26.10.2010 (PDF, 254 S.)
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