Der Kohlekompromiss hinterlässt bei vielen ein mulmiges Gefühl, besonders bei den Umweltverbänden – aber eben nicht nur dort. Denn es gehört auch zur Wahrheit, dass dieser tiefgreifende Umbruch für die Menschen in den betroffenen Regionen viele Verluste zur Folge haben wird.
Das Thema ist in aller Munde und nicht neu: Klimapolitik in Deutschland. Dass jedoch Jugendliche in dutzenden deutschen Städten, inspiriert durch ein 16 Jahre altes, schwedisches Mädchen, nicht zur Schule gehen und stattdessen streiken, das ist wohl neu. Auch ich habe an der großen Klimaschutz-Demo Ende Januar teilgenommen, weil ich es wichtig finde, dass unsere Generation ihre Interessen und Meinungen lautstark vertritt – obwohl ich mit den allermeisten Demoteilnehmern politisch wohl kaum auf einen gemeinsamen Nenner kommen würde.
Über den kürzlich gefällten Kompromiss der Kohlekommission, den Kohleausstieg bis 2038. beziehungsweise frühestens 2035 zu vollziehen, habe ich mit Freunden und Bekannten in den letzten Wochen viel diskutiert. Dabei höre ich viel Kritik – zu langsam, zu ambitionslos, zu sehr von der Wirtschaft diktiert. Das stimmt, der Kompromiss ist nicht perfekt und hinterlässt bei vielen ein mulmiges Gefühl, besonders bei den Umweltverbänden – aber eben nicht nur dort. Denn es gehört auch zur Wahrheit, dass dieser tiefgreifende Umbruch für die Menschen in den betroffenen Regionen viele Verluste zur Folge haben wird. Seit über 200 Jahren wird in Brandenburg Kohle gefördert, das stößt man nicht in wenigen Jahren um.
Großstädter tun sich leicht
Ich wünschte mir ebenfalls, dass der Kohleausstieg lieber heute als morgen vollzogen würde. Der Klimawandel ist mittlerweile deutlich zu ernst und offensichtlich, um leichtsinnig weiter die Nutzung fossiler Energieträger fortzuführen. In diesem Punkt bin ich mir mit dem allergrößten Teil meines Freundeskreises wohl einig, aber ein so folgenschwerer Prozess wie der Kohleausstieg darf aus meiner Sicht nicht überhastet angegangen werden. Die wirtschaftlichen und vor allem sozialen Fragen dürfen mit dem ökologischen Totschlagargument „Klimawandel“ nicht einfach abgebügelt werden.
Als Großstädter, zu denen ich ebenso wie der Großteil der Demoteilnehmer der „Fridays for Future“ gehöre, ist es sehr einfach, den sofortigen oder zumindest kurzfristigen Ausstieg aus der Kohleverstromung zu fordern. An Freizeit- und Kulturangeboten, Bildungseinrichtungen, wirtschaftlichen und ganz allgemein regionalen Zukunftsperspektiven mangelt es in den Städten kaum.
Sorgen vor Ort
Die Strukturschwäche, beispielsweise der Lausitz, die Abhängigkeit der Zukunft der Region vom Tagebau, die gar existenziellen Sorgen der dortigen Bewohner angesichts der eiligen Ausstiegsforderungen der fernen Großstädter, all das gehört nicht zum Lebensgefühl und Denken der Menschen in Potsdam, Hannover oder München.
Was bedeutet der Kohleausstieg für die Menschen vor Ort, welche nahen Lösungen und welche Perspektiven gibt es für sie? Ignorieren wir ihre Ängste und Bedenken riskieren wir sozialen Unfrieden und verfestigen das Gefühl vieler Menschen, abgehängt zu sein.
Julius Niewisch wohnt in Potsdam und hat 2019 seit Abitur gemacht. Er bloggte zur Landtagswahl 2019 und schrieb über seine Erfahrungen. Er ist Mitglied der CDU und als Beisitzer im Kreisvorstand Potsdam der Jungen Union aktiv.
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