Ausstellungseröffnung

"Man kann heute nicht über märkische Adelige sprechen, ohne auf die Vertreibung aus den Orten ihrer Kindheit einzugehen" sagt Dr. Detlef Graf von Schwerin in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 30. Oktober 2012.

Fotos: Mathias Marx

Die Brandenburgische Landeszentrale ist eine umtriebige Bildungsinstitution, sie ist offen für vielseitige Fragestellungen.  Das zeigt ihr bunter Veranstaltungskalender. Das machen auch ihre Ausstellungen deutlich. In der Regel sind es drei Ausstellungen pro Jahr, die die Landeszentrale oder genauer Frau Schellhorn hier in der Heinrich-Mann-Allee ausrichtet.

Dr. Detlef Graf von Schwerin

Dr. Detlef Graf von Schwerin. Foto: Mathias Marx

Natürlich habe ich mich gefragt, wie es gerade zu diesem Thema kam?

Ein Thema, das nicht nur in der ehemaligen DDR, aber hier aus nachvollziehbaren Gründen, mit besonders vielen Vorurteilen und Klischees behaftet war und ist. Warum also dieses Thema, das von einer zahlenmäßig besonders kleinen und daher marginalen Bevölkerungsgruppe handelt?

Jede Gesellschaft hat ihre Minderheiten. Schon auf dem Schulhof fängt es an, daß Kinder ihre Schulkameraden, die nicht der momemtan gültigen Norm entsprechen, schneiden und schlimmstenfalls verfolgen. Wir wissen auch, daß gute Pädagogik  derartig „natürliche“ Abwehrreaktionen der Mehrheit gegenüber der Minderheit verhindern. 

Die Qualität und Humanität einer jeden Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht.

In unserem Land haben wir Zeiten gekannt, wo wir Minderheiten verfolgt, vertrieben und umgebracht haben. Wer eine humane Gesellschaft will, muß sich den gesellschaftlichen Minderheiten stellen. Die beste Annäherung an einen Gegenstand ist immer, sich mit ihm auseinanderzusetzen und ihn besser zu kennen. Dieser Aufgabe fühlt sich auch die Landeszentrale verpflichtet, wenn sie während der letzten zehn Jahre Ausstellungen ausrichtete, die sich verschiedenen Randgruppen zugewendet hat, wie z.B. Jugendliche im Strafvollzug (2002), Kinder auf der Flucht (2003) oder den vietnamesischen Vertragsarbeitern (2009). In diese Reihe fällt nun auch eine weitere Nischengruppe: die nach Brandenburg zurückgekehrten Adeligen, deren Familien hier vor der Vertreibung zum Teil über viele Jahrhunderte gelebt und gearbeitet haben.

Die Ausstellung setzt sich mit 11 zurückgekehrten adeligen Familien auseinander. Teil der Erzählung ist in fünf Fällen auch die bereits erwachsene und selbst wirtschaftende jüngere Generation dieser Familien. Die Landeszentrale sagt mit Recht, daß es keine verläßlichen Zahlen über die Rückkehrer nach Brandenburg gibt. Aus eigener Erfahrung vermute ich, daß man mit einer Zahl von 30 maximal 40  Familien mit adeligen Namen der heutigen Wirklichkeit relativ nahe kommt. Es handelt sich also um eine Gruppe von ca. 120 bis 160 Menschen.

In der Ausstellung

Foto: Mathias Marx


Die zwölf einfühlsamen Essays von Martina Schellhorn im Ausstellungskatalog gehen der Frage nach Flucht und Vertreibung, über die Motive zur Rückkehr und der heutigen Sicht und Erfahrungen der von ihr ausgewählten Familien nach. Die Kuratorin bezeichnet die Ausstellung als den Versuch einer Zwischenbilanz.

Man kann heute nicht  über märkische Adelige sprechen, ohne auf die Vertreibung aus den Orten ihrer Kindheit einzugehen. Ihre Eltern verloren, wenn sie Landwirte auf eigenem Besitz gewesen waren, ihre wirtschaftliche Basis durch die Bodenreform, die in Brandenburg am 6. September 1945 ihren offiziellen Anfang nahm*. In Deutschland hatte das Thema Bodenreform  einen langen Vorlauf. Sie war keine Erfindung der Kommunisten. Die ländlichen Strukturprobleme der Gebiete östlich der Elbe mit ihrer dominanten Gutsherrschaft waren der Anlass. Schon im Kaiserreich und in der Weimarer Republik hatte es dazu Gesetzgebung gegeben*. Im Deutschen Widerstand war es eines der erörterten Themen für das Nachkriegsdeutschland. Was allerdings dann geschah, war präzedenzlos.

Unter dem Kampfslogan „Junkerland in Bauernhand“ wurden alle Betriebe mit mehr als 100 ha sowie das Eigentum von sog. Kriegsverbrechern und Funktionären der NSDAP entschädigungslos enteignet*. In Brandenburg waren dies 1756 (1938) Betriebe über 100 ha, die 33% der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf sich vereinigt hatten*. Als Fußnote sollte man vielleicht hinzuzufügen, daß es heute in Brandenburg wieder 2087 (2010) Betriebe mit mehr als 100 ha gibt, die allerdings 93% der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf sich vereinigen*. Die Enteigneten wurden 1945, wenn sie nicht sofort verhaftet und in Lagern interniert wurden, aus den Heimatgemeinden, 1947 sogar aus ihren Landkreisen ausgewiesen. Im September 1947 befahl die Sowjetische Militäradministration schließlich den Abbruch von Gutshäusern zur Gewinnung von Baumaterialien für Neubauern Höfe, als „abzutragende Zeugnisse feudaler Unterdrückung“*. Diese Brachiallösung des ländlichen Strukturproblems  in der sowjetischen Besatzungszone verstärkte das Chaos der Nachkriegssituation und führte zu erheblichen und langanhaltenden Versorgungsproblemen mit Grundnahrungsmitteln*.

"Die Bodenreform muß die Liquidierung des feudal-junkerlichen Großgrundbesitzes gewährleisten und der Herrschaft der Großgrundbesitzer im Dorf ein Ende bereiten, weil diese Herrschaft immer eine Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande darstellte und eine der Hauptquellen der Agression un der Eroberungskriege gegen alle Völker war" (aus der Bodenreformverordnung von 1945)

In ihrem ersten, grundlegenden Aufruf vom 11.6.1945 nannte die KPD als eines ihrer Ziele „die Liquidierung des Großgrundbesitzes, der großen Güter der Junker, Grafen und Fürsten...“. Der Grundbesitz und die Wirtschaften der sog. „Großbauern“ sollten selbstverständlich nicht berührt werden. Großgrundbesitz wurde mit den Betrieben über 100 ha definiert. Man unterstellte, daß diese Betriebe mehrheitlich dem Adel, den Junkern, Grafen und Fürsten gehörten. Dies war jedoch nicht der Fall. Seit dem 18. Jhr. war der Anteil des Adels an Betrieben über 100 ha auch in Brandenburg kontinuierlich gesunken. 1914 betrug er noch 41%, zum Zeitpunkt der Bodenreform ca. 25%*. In der öffentlichen Wahrnehmung damals wie heute waren und sind jedoch die in der  Bodenreform enteigneten Betriebe über 100 ha unlösbar mit den Junkern, d.h. dem Adel verbunden.

Ungefähr ein Viertel der enteigneten Betriebe in Brandenburg, d.h. ca. 420 Betriebe, gehörten adeligen Eigentümern. Von diesen ca. 420 Betrieben waren während der letzten Monaten des NS-Regimes genau fünf bereits durch die Nationalsozialisten enteignet worden. Drei dieser Fälle (Hardenberg, Lynar, Ribbeck) werden in der Ausstellung gezeigt. Im Gegensatz zu den ursprünglichen Absichtserklärungen der Kommunisten wurde jedoch auch diese winzige Gruppe von ausgewiesenen NS-Gegner und Gutsbesitzern nicht anders behandelt als alle anderen auch, mit Ausnahme von Ribbeck, der bis 1947 25 ha bewirtschaften durfte.

In der Ausstellung

Foto: Mathias Marx

Die Ausstellung geht der Frage nach, was diese elf Familien und einige ihrer erwachsenen Kinder veranlasst hat, nach 1990 an die Orte ihrer Eltern bzw. Großeltern zurückzukehren. Die ältere Generation, die Verlust und Vertreibung durchlitten hatte, war zum Teil so traumatisiert, daß sie über Jahrzehnte nicht mehr den Ort dieses Traumas besuchen wollte.

"Der private Großgrundbesitz, der mehr als 100 Hektar umfasst, ist aufgelöst und wird entschädigungslos verteilt."
Art. 24, Abs. 1 der DDR-Verfassung von 1945

Wie wir wissen, lehnten beide deutschen Regierungen und Parlamente jegliche Restitution der Enteignungen vor Gründung der DDR 1949 ab. Was die tiefere Ursache für diese rigorose Entscheidung war, darüber darf gerätselt werden. Mit Forderungen Gorbatschows und der Regierung der UdSSR hatte es ganz offensichtlich nichts zu tun. Die Entscheidung der deutschen Regierungen ist ein eklatanter Systembruch mit der sozialen Marktwirtschaft des Grundgesetzes, die auf privatem Eigentum basiert*.

Die Bundesrepublik verfügte nach dem 3. Oktober 1990 über mehr als 1,6 Millionen Hektar land- und forstwirtschaftlicher Flächen im öffentlichen Eigentum, die im wesentlichen aus der Bodenreform stammten*. Das Land, das 1990 noch im privaten Eigentum der Erben der Bodenreform-begünstigten war, war gesetzlich geschützt. Es stand entgegen interessengeleiteter Meinungsmache nicht zur Diskussion und nicht zur Verfügung von Treuhand / BVVG. Das bedeutete, daß derjenige, der an den Ort seiner Jugend oder seiner Eltern zurückkehren wollte, jeden Ziegel und jeden Quadratzentimer Land der öffentlichen Hand abkaufen mußte.

Das war die Situation, mit denen die Familien, die in der Ausstellung gezeigt werden, nach der Vereinigung konfrontiert wurden. Die zwei Ausnahmen zu dieser Regel sind die Familien Hardenberg und Lynar, die als einzige einen durchsetzbaren Restitutionsanspruch hatten, da sie durch die Nationalsozialisten bereits vor der Bodenreform enteignet worden waren. Diese Ausnahmeregelung geht auf alliierte Gesetzgebung zurück.

In der Ausstellung

Foto: Mathias Marx

Kein roter Teppich

Abgeschnitten von ihren landwirtschaftlichen Wurzeln hatten die Mitglieder, der durch die Bodenreform enteigneten Familien in der Regel nach 1945 andere Berufe gelernt, sich in der alten Bundesrepublik oder im Ausland eingerichtet, sich emporgearbeitet und vielleicht ein Haus gebaut. Sie hatten keine größeren materiellen Resourcen als andere Arbeitnehmer mit vergleichbarer Ausbildung in der Bundesrepublik. 1990 war für sie ein Schock, eine extreme Herausforderung und Weichenstellung. Alter und Lebensumstände spielten bei ihren Entscheidungen die zentrale Rolle. Es gab keinen roten Teppich in ihrer Herkunftsregion, im Gegenteil. Michael Arnim, einer der Portraitierten, drückte das so aus:

Es herrschte Gegenwind von allen Seiten und ein unglaublich raues politisches Klima“* .

Mit welcher Selbstverleugnung, Hartnäckigkeit und Initiative sich die Rückkehrer der Situation in der neuen/alten Heimat stellten, war staunenswert. Sie wechselten ihren Beruf, plünderten ihre Ersparnisse, verkauften ihre Häuser im Westen, campten im Wohnwagen oder in Behelfswohnungen im Dorf ihrer Vorfahren, um die Rückkehr vorzubereiten. Die Ergebnisse dieser Anstrengungen spiegelt die Ausstellung mit ihren Texten wieder.

Manche Begriffe sind bei uns in Deutschland während der letzten 70 Jahre beschädigt worden.

Einer davon ist der Begriff Heimat. Wer nicht an sudetendeutsche Trachtengruppen und den Förster im Silberwald denkt, assoziiert auf alle Fälle das Wort Revisionismus. Zu Unrecht wie ich meine. Die emotionale Bindung an die goldenen Auen der Kindheit mit ihren verschiedenen Schauplätzen, im Rückblick nostalgisch verklärt, gilt für die allermeisten Menschen, quer durch alle Zeiten und Kulturen.

Vielleicht ist die Bindung für den Landmenschen noch ausgeprägter als für das Kind aus einer Großstadt unserer Zeit. Interessanterweise spielt die Familienerzählung bei diesem Heimatgefühl eine wichtige Rolle. Heimatgefühl überträgt sich auch durch die Erzählung. Alle Familien haben eine Familienerzählung, haben Erinnerungen und Traditionen. Bei adeligen Familien wird in der Regel diese Erzählung verstärkt durch eine über Generationen zurückzuverfolgende schriftliche Fixierung. Selbst wenn,wie das bei allen Flüchtlingen der Fall war, die materielle Basis abhanden gekommen ist, bleibt diese langzurückreichende Familienerzählung wirkungsmächtig. Von der Wirkungsmacht dieser Erzählung legt die Ausstellung ein eindrucksvolles Zeugnis ab.

Mein Dank gilt der Landeszentrale, die dieses Thema aufgegriffen hat.

Dr. Detlef Graf v. Schwerin
Potsdam am 30.10.2012

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Kommentare

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 Die Begriffe Toleranz und Heimat wurden hier mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Das Nachdenken über beide erhält durch die obigen Zeilen neue Impulse. Ich freue mich schon sehr auf die Ausstellung und hoffe, dass besonders jene, die nach dem Sinn dieser Ausstellung fragen, diesen Text zu lesen bekommen! 

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