Am 1. April 2015 jährte sich der Geburtstag Otto von Bismarcks zum 200. Mal – ein Jubiläum, das längst nicht nur Historiker interessiert. Welche Rolle spielt ein ausgewiesener Anti-Demokrat wie Bismarck in der politischen Bildung von heute?
Am 1. April 2015 jährte sich der Geburtstag Otto von Bismarcks zum 200. Mal – ein Jubiläum, das längst nicht nur Historiker interessiert. Die Bundeszentrale für politische Bildung widmet ihm ein eigenes Themenheft und umfangreiches Dossier auf ihrer Webseite, die Bayerische Landeszentrale diskutiert in ihrer Januar-Ausgabe über Erbe und Aktualität des „Eisernen Kanzlers“ und die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung hat ihn auf ihrem Tischkalender 2015 abgebildet – gleich neben August Bebel, einem der Urväter der deutschen Sozialdemokratie.
Warum? Welche Rolle spielt ein ausgewiesener Anti-Demokrat wie Bismarck in der politischen Bildung von heute?
Klar ist, vieles von dem, was wir heute vorfinden – von der Sozialpolitik bis zum diplomatischen Handwerkszeug – geht auf die Zeit Bismarcks und dessen Wirken zurück. Weniger bewusst wird sich hingegen jeder von uns sein, welchen Einfluss Bismarck auf unser Denken ausübt. Wir bewegen uns darin weiter in vornehmlich nationalstaatlichen Kategorien, meint etwa der Historiker Rainer F. Schmidt, Professor an der Universität Würzburg.
Von der Vision eines geeinten Europas, vereinigt in Geist, Überzeugung und Handeln sind wir noch weit entfernt.“*
Andrea Hopp, Leiterin der Otto-von Bismarck-Stiftung in Schönhausen (Elbe), bestätigt die Hartnäckigkeit, mit der sich alte Denkstrukturen halten, aus ihrer Praxiserfahrung. Der Mann, der einmal die Geschicke Deutschlands nachhaltig bestimmen und dem geeinten Deutschen Reich europäische Geltung verschaffen sollte, kam hier, in der altmärkischen Provinz zur Welt: auf dem Gut Schönhausen, nahe der Elbe als Sohn eines altmärkischen Adligen und seiner aus dem Bildungsbürgertum stammenden Frau. Bismarck sei bis heute für antidemokratische Instrumentalisierungen attraktiv.
Schönhausen ist bis heute der einzige Standort einer Politikergedenkstiftung in Ostdeutschland - in einer der strukturschwächsten ländlichen Regionen der Bundesrepublik. Zwei deutsche Diktaturen wirken zusätzlich nach. Schönhausen sei bis heute ein „schwieriger Ort“ des Erinnerns. Zugleich regt sich aber auch dort die Zivilgesellschaft gegen eine rechtsextremistische Vereinnahmung des Ortes. Geschichte wiederholt sich nicht. Die vereinigte Bundesrepublik Deutschland ist nicht das geeinte Deutsche Reich. 1990 war nicht 1871. Die politische Landschaft des Jahres 2015 ist mit der des Kaiserreichs nicht vergleichbar, weder innen- noch außenpolitisch. Doch das Wissen um Bismarck und seine Zeit kann dazu beitragen, so Hopp „an gefährlichen Irrwegen wie etwa dem Aufbau von Feindbildern im Innern vorbeizusteuern und außenpolitisch die Verbindung von Augenhöhe und Augenmaß beizubehalten". Darum ist es auch heute nützlich, an sein Wirken zu erinnern.
Bismarcks politische Karriere entschied sich im Sommer 1862. In Berlin zog der preußische Kriegsminister Albrecht von Roon (1803–1879) die Fäden aus dem Hintergrund. Der preußische Konflikt mit den Liberalen um Heeresreform und Budgetbewilligung trieb seinem Höhepunkt entgegen. Am 18. September 1862 schickte Roon jenes berühmte Telegramm an Bismarck mit den Worten „Periculum in mora. Dépêchez-vous!“ („Gefahr im Verzug! Beeilen Sie sich!“). Bismarck eilte. Im Schloss Babelsberg empfing ihn der König. Ein König, der an der Politik verzweifelte, der an sich selbst zweifelte und bereit war, zugunsten seines – als liberal geltenden Sohnes – abzudanken. Bismarcks forsches Auftreten stimmte ihn um. Am 22. September ernannte ihn der König zum preußischen Ministerpräsidenten und Außenminister.
Otto von Bismarck gelang es in drei Kriegen – 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich – nahezu alle deutschen Staaten (unter Ausschluss der Habsburger-Monarchie) hinter Preußens Fahnen zu vereinigen. In den Jahren nach der Reichsgründung von 1871 suchte Bismarck einen Platz für das Deutsche Reich nicht nur in der geografischen, sondern auch in der politischen Mitte Europas. Das System politischer Machbalancen war stark an seine Autorität und an sein dauerhaftes Einvernehmen mit Kaiser Wilhelm I. gebunden. Insofern war es Zeit seines Wirkens erfolgreich, aber nicht nachhaltig genug, um ihn zu überdauern. Im sogenannten Kulturkampf versuchte er, den politischen Katholizismus zurückzudrängen; die obligatorische Einführung der Zivilehe und die Durchsetzung der staatlichen Aufsicht über das Schulwesen sind Errungenschaften dieser Politik, die bis heute gelten.
Innenpolitisch suchte er die Sozialdemokratie zurückzudrängen. 1878 erließ Bismarck das Sozialistengesetz, das die Sozialdemokratie politisch ausschalten sollte. August Bebel brachte sie mit Fantasie und Geduld durch die 12 Jahre der Illegalität. Bismarck wiederum legte durch seine Sozialgesetzgebung (1883 Krankenversicherung, 1884 Unfallversicherung, 1889 Invaliditäts- und Altersrentenversicherung) den Grundstein für unser heutiges Sozialversicherungssystem. Doch seine Hoffnung, mit dieser Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“ die deutsche Arbeiterschaft von der Sozialdemokratischen Partei zu trennen, erfüllte sich nicht. 1890 fiel das Sozialistengesetz. Unfreiwillig war Bismarck ein Förderer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands: So nannte sich die Partei, stärker als je zuvor, nach Aufhebung des Sozialistengesetzes.
1890 ging der Steuermann Bismarck von Bord des deutschen Staatsschiffs. Mit dem neuen Kaiser Wilhelm II. fand er keine Gemeinsamkeit mehr. Bismarck starb – mit dem Titel eines Herzogs von Lauenburg – am 30. Juli 1898 in Friedrichsruh bei Hamburg.
Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie." (Otto von Bismarck)
Bismarck misstraute den Demokraten und Liberalen; er misstraute auch dem Parlamentarismus, wie wir ihn heute kennen. Er war durch und durch Monarchist. Das Parlament Zentrum der politischen Macht? Der Reichkanzler vom Vertrauen des Parlaments getragen? Für Bismarck undenkbar. Er sah das Parlament als Bremsklotz monarchischer Politik, er sah nicht seine Stärken für die politische Willensbildung. Bismarck hatte die außenpolitische Konstellation eines europäischen Machtgleichgewichts geschaffen, aber diese Kräftekonstellationen in Balance zu halten, war nur ihm selber gegeben. Das war die Stärke, aber zugleich die Schwäche dieses Systems. Am Ende des Ersten Weltkriegs war auch Bismarcks Kaiserreich am Ende.
Schon kurz nach seinem Tod hatte sich ein Bismarck-Mythos entwickelt, der den Krieg überdauerte und den die politische Rechte für sich und zur Demontage der Weimarer Republik instrumentalisierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen beide deutsche Staaten auch in der Erinnerungskultur getrennte Wege – in der Bundesrepublik gekennzeichnet durch eine gewisse Zurückhaltung mit öffentlichen politischen Statements, in der DDR durch die Sprengung von Bismarcks Geburtshaus in Schönhausen und die Umbenennung von Straßen und öffentlichen Plätzen.
Heute haben sowohl die Wissenschaft als auch die Öffentlichkeit zu einem entmystifizierten und differenzierten Blick auf Bismarck und seine Zeit gefunden – ein guter Ausgangspunkt für die weitere Beschäftigung mit dem Thema.
Thomas Wieke, freier Journalist. Lebt und arbeitet in Berlin.
März 2015
Teilen auf
Kommentare
KommentierenBismarcks Verhältnis zu den Juden
Das ist doch mal ein gelungener Beitrag! Wenn die Landeszentrale doch bloß häufiger in der Wahl ihrer Autoren ein so glückliches Händchen beweisen würde...
<br><br>
Ergänzend könnte man noch festhalten, dass er nicht nur zur Demokratie und zum Liberalismus skeptisch eingestellt war, sondern auch zu Juden, die Beamte werden wollten. Dies wollte er überhaupt nicht und begründete dies im Landtag:
<br>
<br>
<i>"Ich kenne eine Gegend, wo die jüdische Bevölkerung auf dem Lande zahlreich ist, wo es <b>Bauern</b> gibt, die nichts ihr Eigentum nennen auf ihrem ganzen Grundstück; von dem Bett bis zur Ofengabel gehört alles Mobiliar dem Juden, das Vieh im Stalle gehört dem <b>Juden</b>, und der Bauer bezahlt für jedes Einzelne seine tägliche Miete; das Korn auf dem Feld und in der Scheune gehört dem Juden, und der Jude verkauft dem Bauern das Brot-, Saat- und Futterkorn metzenweis (Anm: kleine Mengen). Von einem ähnlichen christlichen <b>Wucher</b> habe ich wenigstens in meiner Praxis noch nie gehört."</i>
<br>
<small><a href="https://books.google.de/books?id=R0VJAQAAMAAJ&pg=PA226&dq=%22Ic…; Quelle:</a> "Vollständige Verhandlungen des ersten Vereinigten preussichen Landtages über die Emancipationsfrage der Juden ..." (A. Hofmann & Comp., Prussia Landtag, 1847, Seite 226)</small>
Bismarcks Politik
Die Frage stellt sich, in welchem Zusammenhang Sie die Haltung Bismarcks gegenüber den Juden aufwerfen, warum gerade mit dem Zitat und warum Sie den Punkt überhaupt betonen wollen, denn für die Bismarcksche Staatspolitik war er von untergeordneter Bedeutung. Er ging damit, wie grundsätzlich in seiner Amtsführung, sehr pragmatisch um, je nachdem, wie es seine politischen Ziele erforderten.
Bismarck war ein Kind seiner Zeit und in diesen historischen Rahmen sind auch seine Einstellungen und sein Handeln einzuordnen. Im Deutschen Kaiserreich erhielten judenfeindliche Debatten Auftrieb, Antisemitismus tauchte als neuer Begriff auf. Bismarck selbst bekannte sich in der von Ihnen zitierten Rede auch zu seinen Vorurteilen gegenüber Juden, die er „mit der Muttermilch“ eingesogen habe, während er zugleich ausführte, er habe nichts gegen Juden, wolle ihnen aber nicht die volle Gleichberechtigung zugestehen. Das war 1847. 1871 erhielten die Juden in der Verfassung des Deutschen Reiches die volle Gleichberechtigung garantiert. Bismarck, der Reichsgründer, befürwortete dies. Der Pragmatismus, mit dem Bismarck sein Hauptziel, die nationale Einheit, verfolgte, bestimmt das Gesamtbild, das wissenschaftliche Untersuchungen auf der Grundlage einer Vielzahl verschiedener Quellen von ihm zeichnen. Die Zeit, von der wir dabei reden, ist das 19. Jahrhundert, die Epoche der Nationalstaaten.
Bismarck und die Juden
[Teile des Kommentars wurden von Admin gelöscht. Nochmals: Wir dulden keine antisemitischen Äußerungen auf unseren Seiten].
Außerdem staune ich da aber:
Der Artikel über Bismarck schafft es auf Ihrer selten besuchten Internetpräsenz seit dem Jahr 2015 auf gerade einmal 2 (!) Bewertungen mit dem Ergebnis "Durchschnitt". Und Ihre Antwort auf meinen Kommentar zu Bismarcks Verhältnis zu Juden schafft es unmittelbar nach seiner Erstellung bereits auf eine sehr gute Bewertung. Wirklich erstaunlich!
Weil das statistisch äußerst ungewöhnlich ist, frage ich mich, wer denn Ihren Kommentar sehr gut bewertet haben will? Waren Sie das selbst oder einer Ihrer Kollegen?
Bismarck - Rußlandversteher!
Bismarck war Botschafter in Petersburg, trinkfest und dabei hellwach.
Er hatte die herrschenden Strukturen im Blut und das Geschick, im beiderseitigen Interesse sein Wollen unterzubringen. Und wenn er wollte, dass beide Seiten ihn verstehen, schrieb er seiner lieben Frau einen Brief in die Heimat in der festen Überzeugung, dass ihn beide Seiten heimlich lesen würden. Worauf er sich verlassen konnte...
Im Übrigen war er ein Segen für die Spezialdemokraten! Indem er sie verbot, zwang er sie zur Schaffung von Arbeiterbildungsvereinen und durch vermittelte Bildung daselbst zu Qualität. Sollte sich Mutti ein Beispiel dran nehmen...
im übrigen hatte er einen nicht unfreundlichen Briefwechsel mit August Bebel!
Neuen Kommentar hinzufügen