Rede zur Ausstellungseröffnung des Leiters Einsatzgruppe Afghanistan im Einsatzführungskommando der Bundeswehr Oberst i.G. René Leitgen
Sehr geehrte Damen und Herren,
danke, dass Sie es einmal mit einem Eröffnungsredner in Uniform versuchen.
Wobei es für diesen Ort keine Besonderheit sein dürfte, zumal wir heute in dem ehemaligen Offizierskasino der Potsdamer Kadettenanstalt zu Gast sind.
Kein Wunder also, dass ich mich hier gleich wohlgefühlt habe.
Ich bin der Leiter der Einsatzgruppe Afghanistan im Einsatzführungskommando der Bundeswehr, das in Geltow / Schwielowsee, vor den Toren Potsdams beheimatet ist. Meine Mitarbeiter und ich haben täglich mit dem Thema Afghanistan zu tun. Wir bilden die so genannte „operative Ebene“ ab, zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und seiner strategischen Verpflichtung - und der Truppe mit ihrer taktischen Beauftragung im Einsatz in Afghanistan.
Im Einsatzführungskommando der Bundeswehr werden somit die Vorgaben der politischen Leitung und der militärischen Führung in konkrete Aufträge, Befehle und Weisungen in die 10 Einsatzkontingente, auf drei Kontinenten für fast 7.000 Soldaten umgesetzt. Wir sind damit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr so nahe, wie keine andere Dienststelle der Bundeswehr.
Es ist mir eine besondere Freude, heute einige Worte zur Eröffnung dieser außergewöhnlichen Ausstellung sprechen zu dürfen. Ausgestellt werden Bilder des Fotografen der Nachrichtenagentur Reuters, Herrn Fabrizio Bensch, mit dem Titel „Einsatz in Afghanistan“.
Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler beschrieb 2005 das Verhalten und die Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung zu ihren Soldatinnen und Soldaten mit „freundlichem Desinteresse“. Ich persönlich stelle mir die Frage: Hat sich das Verhältnis der Bevölkerung zu den Soldaten und die Wahrnehmung und Akzeptanz zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr grundsätzlich geändert?
Meine verehrten Damen und Herren, Sie haben heute Abend bereits einen entscheidenden Schritt über das Stadium des „freundlichen Desinteresses“ hinaus getan – denn Sie sind heute zur Eröffnung dieser Ausstellung gekommen.
Sie bekunden mit Ihrer Anwesenheit Ihr Interesse an der Bundeswehr und speziell am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Damit zeigen Sie auch Ihr Engagement an den Menschen, die tagtäglich, unter Einsatz ihres Lebens – im Auftrag unseres Landes – ihre Pflicht erfüllen.
Ihr Interesse tut gut! Darum möchte ich mich als Soldat für ihre Anwesenheit an diesem Abend herzlich bedanken.
Seit Dezember 2001 – kurz nach den Terroranschlägen des 11. Septembers – ist die Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt. Der deutsche Bundestag hat den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten mit breiter Mehrheit beschlossen und mehrfach verlängert.
Ziel dieses Einsatzes der internationalen Gemeinschaft von mehr als 40 Nationen ist die Stabilisierung und der Aufbau Afghanistans mit einer weitestgehend sich selbst tragenden Sicherheit in einem regional schwierigen Umfeld. Es geht aber auch darum, der afghanischen Bevölkerung zu helfen und deren Lebensbedingungen zu verbessern. Wiederaufbau und Sicherheit sind dabei untrennbar miteinander verbunden.
Im Rahmen der Mandatierung kann die Bundeswehr bis zu 5.350 Soldaten entsenden. Sie sind vor allem im Norden Afghanistans, in Masar-i-Sharif, Kundus, Faisabad und Taloqan – die Fotos, die sie hier sehen sind aus diesen Regionen – sowie in der Hauptstadt Kabul und im usbekischen Termez eingesetzt.
Zehntausende deutsche Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr waren seit 2001 bis heute in Afghanistan eingesetzt. Wir haben Gefallene und Verwundete an Körper und Seele zu beklagen.
Diese traurigen Anlässe sind es leider, die das gesellschaftliche Bewusstsein, auf diesen Einsatz konzentrieren. Dies nicht zuletzt, wenn Medien ihrer Informationspflicht entsprechen und diese Ereignisse zur „Nachricht“ machen. Der militärische Einsatz wird dann in kürzester Zeit zum Medienereignis. Vereinzelt hört man auch immer wieder Meldungen, dass zum wiederholten Male eine Patrouille in Baglan e Jadidi oder – wie am vergangenen Wochenende – in Kundus angegriffen wurde.
Wo ist Baglan e Jadid? Wo ist Kundus? Warum haben wir überhaupt deutsche Soldatinnen und Soldaten in diesem fernen Land in Zentralasien? Wie lange soll die Bundeswehr dort noch bleiben? Wann können die Afghanen die Sicherheit für ihr Land selbst übernehmen?
Das sind – zugegeben – wichtige Fragen zu einem hochkomplexen Thema, die sich unweigerlich auch bei der Betrachtung der Fotos von Herrn Bensch stellen. Heute geht es allerdings nicht um einen sicherheits- oder verteidigungspolitischen Diskurs – m nein – heute wird das Thema sozusagen „geerdet“ und die Komplexität des Einsatzes in Afghanistan wird in Bildern gespiegelt, die meines Erachtens nach ganz bemerkenswerte Innenansichten erlauben.
Es sind Bilder von Frauen und Männern, die fernab der Heimat durch ein Mandat unseres Vaterlandes einen gefährlichen Auftrag in einem höchsten Maße fordernden Beruf ausüben. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind jeden Tag mit Gefahr für Leib und Leben in einem Kriegsgebiet konfrontiert. Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, Sie erfüllen unerschrocken, pflichtbewusst, verantwortungsvoll und tapfer diesen fordernden Auftrag.
Das „freundliche Desinteresse“ der Bevölkerung lässt für unsere Soldatinnen und Soldaten aber den Rückhalt vermissen, den sie für diese Aufgabe brauchen. Die Soldaten spüren dieses Defizit, es macht sie betroffen, sie sprechen das auch offen an – denn sie, ebenso wie ihre Angehörigen, wünschen sich diese gesellschaftliche und politische Unterstützung.
Daher sind Journalistinnen und Journalisten sehr wohl akzeptiert, insbesondere, wenn sie zeitgerecht, objektiv, umfassend und sachgerecht berichten. Nur so erhöht sich die Chance, dass der lebensgefährliche Einsatz in der Heimat mehr als bisher wahrgenommen wird. Wenn die Realität des Einsatzes und der Zusammenhang zwischen der politischen Zielsetzung und den militärischen Maßnahmen über die Medien transportiert und der Bevölkerung damit intensiver als bisher „bewusst“ gemacht wird, kann dies zu einem vertiefenden und nachhaltigen Rückhalt führen.
Der Fairness halber möchte ich anmerken, dass Medien aber nur einen – wenn auch sehr wichtigen – Beitrag leisten können, hier ist die gesamte Gesellschaft gefordert.
Die Bundeswehr hat nicht immer Journalistinnen und Journalisten so nah an sich heran gelassen. Dies ist erst möglich geworden, durch die „neue Offenheit“ oder „Transparenz“, die Minister zu Guttenberg mit Beginn seiner Amtszeit hinsichtlich der Informationsarbeit der Bundeswehr für verbindlich erklärt hat. Fabrizio Bensch war in Afghanistan mehrfach so etwas wie ein „embedded journalist“, obwohl es den Begriff bei uns so nicht gibt.
Fabrizio Bensch lebte und begleitete z.B. die Soldatinnen und Soldaten der Infanteriekompanie in Kundus über mehrere Tage im Dezember 2009 im Gefecht, im Polizeihauptquartier in Chahar Darah und auf den Beobachtungsposten westlich von Kundus. So entstanden sehr authentische Bilder! Hier ist nichts gestellt!
Es handelt sich ebenso wenig um Werbefotografie für die Bundeswehr, wie um Bildjournalismus für die Skandalpresse. Die Bilder sind fast dokumentarisch zu nennen, sie bilden die „Realität“ ab, weil genau das die Intention des Fotografen war.
Solche Bilder kann man als Fotograf nur machen, wenn man von den Soldatinnen und Soldaten akzeptiert und sozusagen mittendrin ist, wenn man sich bewegt wie die Soldaten, und durch das eigene Verhalten zeigt, dass man keine Belastung oder sogar eine Gefahr für die Truppe ist, wenn man unsichtbar ist, nicht mehr als Fotograf wahrgenommen wird, wenn man einer von ihnen ist, kurz: wenn man in die Truppe „eingebettet“ ist.
Die Fotos von Fabrizio Bensch sind ein Beweis dafür, dass er diese Herausforderung gemeistert hat, durch sein Verhalten genau diese Nähe zu den Soldaten aufzubauen und dennoch die professionelle Distanz zu wahren. Und nur so war es ihm möglich, diese eindrucksvollen Bilder zu machen. Das ist sehr schwer, vor allem vor dem Hintergrund der Gefahren, die damit verbunden sind. Ihnen, Herr Bensch, ist das meines Erachtens sehr gut gelungen, und dafür gebührt Ihnen mein besonderer Respekt und unser aller Anerkennung.
Bilder sind immer Momentaufnahmen einer dynamischen Wirklichkeit. Gute Bilder sind kein Zufall, sondern harte Arbeit. Dabei ist der Blick des Fotografen auf die Wirklichkeit und seine Intuition, genau in diesem einen, dem entscheidenden Moment „auszulösen“, der Schlüssel zu einem guten Bild.
Fabrizio Bensch sagt: „die Kamera beobachtet, ... sie ist das Auge für andere ... ich erwarte nichts, ich bin kein Suchender, ich bin Zeuge, ... was passiert, …passiert.“
Die Bilder eröffnen aber auch Innenansichten über die afghanische Bevölkerung. Die besonderen Beziehungen, die Soldaten und der friedliche Teil der Bevölkerung über die Jahre aufgebaut haben, werden in den Bildern plastisch. Es wird auch spürbar, dass es Erfolge gibt. Aus diesen, wenn auch kleinen Erfolgen gewinnen unsere Soldaten auch die Kraft für ihren Einsatz. Die Soldaten sagen: „Afghanistan darf sich nicht selbst überlassen werden!“ Wir blicken in die Gesichter der afghanischen Kinder, sie sind die Zukunft für dieses geschundene Land und wir wissen, dass es keine Alternative für unser Engagement gibt.
Was veranlasst einen Agenturfotografen wiederholt in Bosnien, dem Irak und jetzt in Afghanistan zu fotografieren, sich freiwillig den Entbehrungen und Gefahren auszusetzen? Er antwortet: „Ich glaube an die Macht der Bilder, sie können Dinge bewegen.“
Bensch möchte, dass die Betrachter seiner Fotos die Wahrheit sehen, mit allen ihren Grausamkeiten und Konsequenzen. Und vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen auf dem Balkan und dem Irak nach der Qualität des Konfliktes in Afghanistan befragt, antwortet er: „Für mich ist das Krieg!“
Ich wünsche mir, dass Sie sich die Zeit nehmen, die Bilder zu betrachten und nicht zu konsumieren. Lassen sie zu, dass sie ihnen Geschichten erzählen, in einer derartigen Tiefe, zu der weder das Fernsehen noch der gängige Bildjournalismus fähig ist.
Soldaten sind dem Grundsatz „Klarheit und Wahrheit“ verpflichtet und daher danke ich Fabrizio Bensch für sein ehrliches Interesse an Menschen in Uniform und in afghanischer Tracht, den ungetrübten Blick auf die Realität des Afghanistaneinsatzes und seinen Mut, der ihn Anfang Dezember wieder nach Kundus führen wird.
Ich möchte mich aber auch ganz herzlich bei der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung bedanken. Es ist ein mutiger Schritt, ein derart komplexes und polarisierendes Thema zum Gegenstand einer Ausstellung zu machen.
Wir Soldaten würden uns wünschen, wenn es mehr von diesen Projekten geben würde. Denn wir verbinden mit derartigen Ausstellungen die Hoffnung, dass diese Bilder einen Beitrag leisten, die Einsatzwirklichkeit und die damit verbundenen Entbehrungen, Gefahren und – das muss an dieser Stelle deutlich gesagt werden – auch Erfolge des Einsatzes verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.
Denn nur über Wissen und „Anteil nehmen“ kann der notwendige gesellschaftliche Rückhalt wachsen, den sich die Soldatinnen und Soldaten für die erfolgreiche Erfüllung ihres Auftrags wünschen und auf den sie auch einen Anspruch haben.
Ich wünsche dieser Ausstellung eine besondere öffentliche Wahrnehmung über die Grenzen unserer Landeshauptstadt hinaus und damit im besten Sinne der „politischen Bildung“ viel Erfolg.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
René Leitgen
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