Es war die Gunst unserer Stunde

„Nicht schon wieder die Geschichte mit dem Wohnwagen!“ So abweisend, wie es zunächst klingt, verläuft das erste Telefonat mit Dorothee von der Marwitz dann doch nicht. Allerdings findet sie, dass es an der Zeit sei, viel mehr darüber zu berichten, was sich in den letzten 22 Jahren in Friedersdorf (Märkisch Oderland) und im Leben der Familie von der Marwitz verändert hat.

Hans-Georg und Dorothee von der Marwitz und die Kinder Bernhard, Johanna, Clara und Karl
© Oliver Mark

Hans-Georg und Dorothee von der Marwitz und die Kinder Bernhard, Johanna, Clara und Karl. 

Dass der Beginn so spektakulär sein würde, war nicht beabsichtigt, sondern aus der Not heraus entstanden. Als es dem jung verheirateten Paar im Herbst 1990 nicht gelingen wollte, eine Wohnung in Friedersdorf und Umgebung zu finden, wurde kurzerhand ein Wohnwagen gekauft und dieser dann für neun Monate zum ersten Zuhause.

Hier begann das, was beide heute als „das große Abenteuer ihres Lebens“ bezeichnen. Der Start ist legendär, die Erinnerung daran nicht nur bei den Nachbarn unvergessen. Auch andere adlige Rückkehrer sprechen voller Hochachtung von Marwitz und dem Wohnwagen. Die Bedingungen waren schwierig, der Winter 1990/91 bitter kalt. In dem Maße, wie die Temperaturen sanken, wuchs die Hilfsbereitschaft der neuen Nachbarn. Gegen die Minusgrade, die auch im Wohnwagen alle Flüssigkeiten gefrieren ließen, halfen nicht nur heiße Getränke, sondern vor allem die Solidarität und Zuwendung der Dorfbewohner. In unvorstellbar kurzer Zeit wurde das ehemalige Kavalierhaus wieder instand gesetzt und ab September 1991 schrittweise bezogen. Die Schnelligkeit hatte auch einen anderen Grund. Im August 1991 kam Tochter Clara zur Welt. Rückblickend glaubt die Familie, dass ihnen dieser bescheidene Anfang sehr geholfen hat, von den Friedersdorfern akzeptiert zu werden.

Es fällt nicht schwer, sich von der Marwitz statt am heimatlichen Esstisch, am Rednerpult des Deutschen Bundestages vorzustellen. Rhetorik und Lautstärke stimmen, Leidenschaft und Körpersprache ebenfalls. Seit 2009 ist er CDU-Abgeordneter im obersten Parlament Deutschlands. So wie er von Verantwortung spricht, ist dieser Weg nur logisch und folgerichtig. Von der Marwitz ist gerne Abgeordneter. Ob der ersten Wahlperiode eine weitere folgen wird, hängt natürlich von den Wählern ab. Aber – und die Antwort kommt schnell – Spaß machen würde es ihm schon, jetzt, wo er den Politikbetrieb besser versteht, nicht mehr der Neuling ist.

Frühling in Märkisch Oderland. Foto: Oliver Mark
© Oliver Mark

Frühling in Märkisch Oderland. 

Wenn er heute an den Anfang denkt, an die großen Hoffnungen und an den unbändigen Optimismus, der ihn und seine Frau beflügelte, erinnert er sich auch an die Ängste der Menschen. Nicht alle sind begeistert, dass sich ein von der Marwitz wieder in Friedersdorf niederlassen will. Die Befürchtungen sind groß, dass der Junker zurückgekommen ist, um ihnen das Land wieder wegzunehmen. Marwitz erlebt, wie die griffige Losung von 1945 „Junkerland in Bauernhand“ noch immer nachwirkt, auch wenn damals die Bauern das Land bei der Zwangskollektivierung bald wieder abgeben mussten.

Von Anfang an werden er und seine Frau deshalb „nicht an der Bodenreform rütteln“, sondern rund 800 Hektar Land pachten und kaufen und keine Ansprüche auf inzwischen besiedeltes Land stellen. Das hätte neue Ungerechtigkeiten geschaffen. „Rund 90 Prozent der Wohnhäuser, die nach 1945 hier gebaut worden sind, stehen auf ehemaligem marwitzschen Boden“, sagt Hans-Georg.

Stellen Sie sich vor, was hier passiert wäre, wenn wir mit dem Anspruch gekommen wären, hoppla, wir sind wieder da und wollen unser altes Eigentum zurück!“

Die Szenarien, die von der Marwitz durchspielt, zeigen auch das Dilemma, in dem der Gesetzgeber damals steckte. Das kann Marwitz heute als Politiker nachvollziehen. Dennoch sieht er auch Fehler, die gemacht wurden und scheut sich nicht, von „Rechtsbeugung“ zu sprechen. „Die Politik hat damals zugunsten einer Mehrheit und damit gegen die Minderheit der Rückkehrwilligen entschieden.“ Er ist überzeugt, dass die Teilrückgabe von 100 Hektar ein gutes Signal gewesen wäre. Nur wenige Alteigentümer konnten es sich nach dem Ende der DDR überhaupt leisten, das Land und die Immobilien ihrer Vorfahren zu kaufen. „Die aber fehlen jetzt, deren Motivation und Investitionen wären ja dem ländlichen Raum zugutegekommen“, ist sich von der Marwitz sicher.

Dorothee von der Marwitz fühlt sich inzwischen angenommen und in der Region verwurzelt. Sie hat hier ihre Heimat und ihren Lebensmittelpunkt gefunden. Ihr Mann reagiert nachdenklich auf die Frage, was Heimat für ihn sei und ist zum ersten Mal anderer Ansicht als seine Frau. Auch wenn er keine Mundart spricht und nur sein fränkisches „R“ die entfernt liegende Herkunft verrät, bekennt Hans-Georg von der Marwitz offen, dass seine Heimat nach wie vor Bayern ist.

Ja, sein Zuhause ist zweifellos Friedersdorf, aber Heimat? Das ist noch immer das Allgäu, das sind die Freunde, die er dort hat, das ist die Summe von Prägung, Erziehung und Erfahrung und nicht zuletzt die Erinnerung, wie er als Landwirt begonnen hat, seinen eigenen Boden zu bewirtschaften. Der „Maienhof“ ist ihm auf besondere Weise ein Stück Heimat geblieben und dass seine Schwester jetzt dort wohnt, macht ihn froh.

Vielleicht ist Brandenburg aber doch längst zur zweiten Heimat für Marwitz geworden. Nur so wird sein Anliegen verständlich: Die Entwicklung des ländlichen Raumes. Er ist überzeugt davon, dass sich auf dem Land nur Bürgersinn und Engagement entwickeln können, wenn die Menschen Eigentum besitzen. „Landwirtschaft ist die wichtigste Wirtschaftsform im ländlichen Raum und je vielschichtiger sie in ihren Eigentums- und Betriebsformen gefächert ist, umso mehr lässt sich durch sie gestalten.“ Das hat er in Bayern erlebt.

Mit Sorge sieht er deshalb die Zusammenlegung von landwirtschaftlichen Genossenschaften. Inzwischen gibt es Agrar-Großbetriebe von über 15.000 Hektar, die weit über die Gemarkungsgrenzen einzelner Dörfer hinausgehen. Er erlebt, wie sich Betriebe in diesen Größenordnungen von den Dörfern gelöst und entfremdet haben und in der Folge auch die Förderung der Dorfentwicklung auf der Strecke bleibt. Für Hans-Georg von der Marwitz ist deshalb die Frage des Eigentums die zentrale Frage und erinnert an Artikel 14 des Grundgesetzes, wenn er sagt: „Eigentum verpflichtet“. Dem fügt er hinzu: „und motiviert!“ und ist deshalb überzeugt, dass es viele private Eigentümer auf dem Land geben muss.

Auszüge aus dem Begleitbuch zur Ausstellung: Heimat verpflichtet

Linktipps

  • Märkische Adlige

    Die Adligen kommen zurück - dies löste bei der Mehrzahl der Ostdeutschen Anfang der 1990-er Jahre eine gedankliche Kettenreaktion aus, die eher in Ablehnung als in Zustimmung mündete. Die griffige Losung „Junkerland in Bauernhand“ schien in den Köpfen festgeschrieben zu sein.

  • Kompakt erklärt: Märkische Adlige
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