Wo Menschen zusammenleben, gibt es auch Reibereien: der Rasen nicht kurz genug gemäht, der Grillabend zu spät zu Ende. Insgesamt aber ist die polnische Siedlungsbewegung im Brandenburger Nordosten eine absolute Erfolgsgeschichte, meint Thomas Kralinski.
Wenn man in exekutiver Funktion in der Politik tätig ist, dann wird von einem ja immer erwartet, dass man Probleme löst. Das ist in Ordnung, dafür ist Regierungspolitik da. Der Haken an der Sache ist nur, dass viele Probleme so langfristig, so verwickelt oder so umstritten sind, dass es „die eine Lösung“, die schlagartig alles zum Besseren verändert, bei bestem Willen überhaupt nicht geben kann. Der „gordische Knoten“ wird unter den Bedingungen demokratischer Politik nur höchst selten durchschlagen.
Oftmals ist schon viel erreicht, wenn es gelingt, die berühmten „Schritte in die richtige Richtung“ in die Wege zu leiten. Manchmal geht es darum, den viel beschworenen „ausgewogenen Kompromiss“ zu vermitteln. Ab und zu ist im Fall ungünstiger Entwicklungen nicht mehr drin, als „Schlimmeres zu verhindern“.
Alles Leben ist Problemlösen
Denken Sie an das verzwickte Bündel an Herausforderungen, mit dem wir es unter der Überschrift „Demografie“ zu tun haben: lauter sehr, sehr langfristige Entwicklungen. Selbst wenn wir in Brandenburg morgen Vormittag die besten Kitas und Schulen und die familienfreundlichsten Arbeitsbedingungen der Welt hätten und selbst wenn sich dies unmittelbar positiv auf die Geburtenrate auswirken sollte – wie viele Jahre würde es trotzdem dauern, bis sich dies positiv am Arbeitsmarkt oder bei der Rente niederschlägt?
Oder nehmen wir die deutsch-polnischen Aussöhnung – auch das ein unendlich wichtiges, aber eben auch mühsames Jahrhundertprojekt: 1945; 1970; 1981; 1991. Wir blicken heute auf ein Vierteljahrhundert zurück, in dem sich die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland unvorhersehbar fabelhaft entwickelt haben.
Und jetzt, gerade wo alles endlich so wunderbar sein könnte – jetzt nehmen die politischen Unstimmigkeiten plötzlich wieder zu. Jetzt hakt es wieder mit der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Jetzt klemmt es in den Beziehungen zwischen Warschau und der EU. Und sowohl in Deutschland als auch in Polen sind aufs Neue die gefährlichen Parolen dummer Nationalisten zu hören, die aus der Geschichte nichts gelernt haben. Zwei Schritte vorwärts, einer zurück also - bestenfalls. Oder um es mit den Worten des Philosophen Karl Popper zu sagen: „Alles Leben ist Problemlösen.“
Fotografien: Stefan Gloede
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
daran wird sich sicherlich ganz grundsätzlich wenig ändern. Wie wunderbar, wie erholsam und erfreulich ist es da, genau dieser Veranstaltung hier beiwohnen zu können, genau diese Ausstellung eröffnen zu dürfen.
Sie handelt von einer in so vieler Hinsicht rundum positiven Entwicklung hoch im nördlichsten Osten unseres Landes. Von einer Entwicklung, die vor ein paar Jahren so noch niemand vorhergesehen oder für möglich gehalten hätte. Von einer Entwicklung, die scheinbar einfach so eingetreten ist, ungeplant und von unten, und die absolut nur Vorteile hat für alle Beteiligten.
Na klar, auch die Ansiedlung neuer polnischer Nachbarn in Brandenburger Dörfern entlang der Grenze – in Mescherin, in Gartz, in Tantow, in Staffelde und anderswo – hatte Voraussetzungen, politische Voraussetzungen, die erst einmal aktiv geschaffen werden mussten, damit dieses neue Miteinander möglich werden konnte. Dazu gehören die gemeinsame Mitgliedschaft von Polen und Deutschland in der EU und die Freizügigkeit des Schengenraums, der Bedeutungsverlust innereuropäischer Grenzen.
Alle diese Bedingungen mussten erst einmal vorhanden sein. Als sie es aber schließlich waren, da passierte alles Mögliche – und zuvor noch Unmögliche – auf einmal ganz von selbst. Wie selbstverständlich fügten sich die Puzzlestücke zueinander: Stettin, Polens manchmal unterschätzte Metropole im Nordwesten, blühte wirtschaftlich auf. Das zog junge Familien in die Region, die aber in der Stadt und rundum nicht genug bezahlbaren Wohnungen fanden. Zugleich leerten sich nur wenige Kilometer weiter im Westen die Dörfer der Uckermark. Häuser standen leer, Kitas fanden keine Kinder mehr, Schulen keine Schüler, und den Sportvereinen ging der Nachwuchs aus.
Das blieb so, bis neue polnische Nachbarn neues Leben und vor allem: neues Zusammen-Leben in die Dörfer brachten. Hier finden sie Häuser und Wohnungen, die sie sich östlich der Grenze vielleicht gar nicht bezahlen könnten. Hier blühen die Gemeinden wieder auf und erleben ihre demografische Wende. Hier profitieren auch die einheimischen Deutschen davon, dass in Kitas, Schulen und Vereinen plötzlich wieder das Leben tobt. Hier hat auch Oma Müller was davon, wenn ihr die jungen Kowalskis von nebenan ab und zu Käse und Wurst aus der Stadt mitbringen.
Europäische und deutsch-polnische Erfolgsgeschichte
Na klar, wo immer Menschen zusammenleben, da gibt es auch kleine Reibereien: der Rasen nicht kurz genug gemäht, der Grillabend zu spät zu Ende – das ganze Programm des allzu Menschlichen eben ...
Insgesamt aber ist die polnische Siedlungsbewegung im Brandenburger Nordosten, die wir in dieser Ausstellung vorgeführt bekommen, eine absolute Erfolgsgeschichte – wenn Sie so wollen: eine europäische und deutsch-polnische Erfolgsgeschichte nach menschlichem Maß. Das zeigt sich schon darin, dass Marta Szuster vor einiger Zeit mit viel mehr Stimmen in den Gemeinderat von Gartz gewählt worden ist, als sie allein von den Polen im Ort hätte erhalten können.
Falls Sie jetzt übrigens meinen, ich wüsste das alles womöglich gar nicht aus eigener Kenntnis und Anschauung: Da täuschen Sie sich sehr! Ich habe schon, bestens bewirtet mit Kaffee und Kuchen, bei Marta Szuster in Staffelde auf dem Sofa gesessen. Das war ein Nachmittag, an den ich mich gern erinnere.
Thomas Kralinski, Chef der Staatskanzlei des Landes Brandenburg, 18. Oktober 2016
Es gilt das gesprochene Wort.
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