Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen

Der Beitrag der Christen muß über das politisch Notwendige hinausgehen.

Altlandsberg, 1986

Altlandsberg, 1986

So sehr es gilt, das jetzt Notwendige zu tun, so sehr gilt auch, über dem jetzt Notwendigen nicht das morgen vielleicht Mögliche zu verpassen. Unsere Hoffnungen für morgen reichen weiter als das Ergebnis unserer Anstrengungen von heute. Die biblische Friedensverheißung stellt unsere Arbeit in einen weiten Horizont. Sie gibt ihr Perspektiven, die mit politischem Schrittmaß allein nicht auszufüllen sind.

Die friedenspolitische Lerngemeinschaft von Christen aus Ost und West ist eine notwendige Gestalt der geforderten Umkehr. Aber diese Umkehr muss weiter reichen und tiefer gehen. Sie darf nicht nur unsere Politik, sie muss unser Leben verändern.

Der Umbau der Verteidigungssysteme auf eine strukturelle Nicht-Angriffsfähigkeit ist ein wichtiger politischer Schritt zum Abbau gegenseitiger Bedrohung. Aber er kann nicht schon alles gewesen sein, was Christen ihren Zeitgenossen auf dem Weg zu einer Welt ohne Waffen mitzuteilen haben.

Die Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen für den Frieden muss mehr sein wollen, als eine Verhinderungskoalition gegen Waffen und Rüstung; sie darf den Frieden nicht nur sicherer, sie muss ihn auch menschlicher machen.

Vielleicht liegt die größte Herausforderung an die Politik darin, den Raum des Denkens und Handelns offen zu halten für das, was heute, politisch betrachtet, noch gar nicht "geht".

Sicherheitspolitik muss in diesem Sinne für ihre eigene Selbst-Überwindung arbeiten, damit sie leisten kann, was sie eigentlich erreichen will: einen Frieden, der nicht mehr durch Waffen geschützt werden muss.


Der Beitrag der Christen muss die Friedensfähigkeit der Gesellschaft fördern

Verantwortungsgemeinschaft für den Frieden zielt auf gemeinsame deutsch-deutsche Verantwortung, die aber in beiden Gesellschaften unterschiedlich bewährt werden muss. Christen in der DDR und in der BRD müssen nicht dasselbe, wohl aber das ihnen Mögliche tun für das gemeinsame Ziel: Überwindung der Konfrontation in Europa und Befreiung von der anachronistischen Bürde des Ost-West-Konfliktes, um fähig zu werden für eine Bearbeitung der wirklichen Zukunftsaufgaben in der einen Welt.

So gesehen haben unsere Gesellschaften das eigentliche Ziel ihrer Verantwortungsgemeinschaft noch längst nicht erreicht. Sie sind in einer fundamentalen Weise unfähig zum Frieden, wenn Frieden mehr heißt als das Schweigen der Waffen, sondern Verwirklichung von Gerechtigkeit bedeuten soll. Beide deutsche Staaten müssen sich deshalb gegenseitig zu mehr Veränderungsbereitschaft ermutigen, ohne dabei in die Muster ideologischer Besserwisserei zurückzufallen.

Als Christen in der DDR fördern wir die Friedensfähigkeit unserer Gesellschaft, wenn wir ihren Selbstanspruch ernst nehmen und mit der Rückfrage verbinden, ob soziale Sicherheit ohne wirkliche Teilhabe der Menschen schon eine gerechtere und humanere Gesellschaft schafft.

Die Hoffnung auf Teilhabe setzt allerdings die Bereitschaft voraus, sich zu beteiligen, und dazu muss man hier sein. Ehe neues Denken zur politisch bestimmenden Kraft werden kann, muss in unseren Köpfen gedacht und darf nicht nur beschwörend zitiert werden. Ohne das Risiko neuen Denkens gibt es keine wirkliche Erneuerung der Gesellschaft. Umgekehrt gilt, dass die Beteiligung der Menschen erst durch Zeichen der Veränderung stimuliert wird. Friedensverantwortung muss mehr sein können und dürfen, als uns die Formel "Mein Arbeitsplatz - mein Kampfplatz für den Frieden" zugesteht.

Ob die beiden deutschen Staaten im gemeinsamen Bemühen um Frieden in Europa auch für die Lösung der gemeinsamen Weltprobleme friedensfähiger werden, als sie heute sind, wissen wir nicht. Aber wir dürfen es hoffen.

Es liegt auch an den Christen, notwendigen Veränderungen durch Schritte eigener Veränderung zuzuarbeiten.



Joachim Garstecki
aus dem Vortrag "Die Verantwortungsgemeinschaft der
beiden deutschen Staaten für den Frieden und der Beitrag der Christen"
Evangelischer Kirchentag in Erfurt, Juni 1988
Joachim Garstecki war von 1974 bis 1990 Referent für Friedensfragen in der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen und ist heute geschäftsführender Studienleiter der Stiftung Adam von Trott in Imshausen.


 

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