"Lieber geile Punkerfeten als US Atomraketen" - so begrüßte mich allmorgendlich die Losung am U-Bahneingang Blissestraße, Berlin-Wilmersdorf vor zwanzig Jahren. Ein durchaus gelungener Einstieg in mein Tagwerk, wie ich fand, obwohl ich weder Punk noch besonders feierfreudig war.
Parolen und Losungen entstehen aus einem Lebensgefühl der Zeit heraus, geben ihm einen knappen, pointierten sprachlichen Ausdruck, korrespondieren ästhetisch mit ihrer Umgebung und sind Teil der öffentlichen Kommunikation.
Der Ort, an dem sie angebracht sind, ihre massenhafte Verwendung und eindeutige Botschaft, aber auch ihre Einmaligkeit, die Phantasie, Ironie oder der Sarkasmus, oft auch ihre Absurdität erregen unsere Aufmerksamkeit für einen Moment, können sogar in der Erinnerung haften bleiben. Dann ist es nicht nur die Parole selbst, sondern der Kontext, den sie umschreiben, der ihnen zumindest im Gedächtnis Dauerhaftigkeit sichert.
Mit Jürgen Nagels Fotografien verhielt es sich etwas verzwickter. Auf sie aufmerksam geworden war ich durch eine Rezension im Tagesspiegel über sein Buch "Parole vorwärts".
Diese "sozial-dokumentarischen" Fotografien erschienen besonders geeignet, für die Ausstellung zur Alltagskultur der DDR "Tempolinsen und P2" die musealen Objekte aus ihrem eingefrorenen Zustand zu befreien, ihnen einen anschaulichen Hintergrund geben.
Die Fotos offerierten, was wir benötigten: Parolen, die die politischen Rahmenbedingungen der DDR verdeutlichten, sie teilten etwas mit über räumliche Situationen, über das Aussehen und den Zustand der DDR.
So erfuhr man, dass die Kaffeemaschine eben nicht mehr ideologiefrei war, wenn sie 1983 zu Ehren von Karl Marx hergestellt wurde.
Darüber hinaus haben die Fotografien von Jürgen Nagel eine ganz eigene Qualität, die weit über die bloße Abbildung der Parole, das Festhalten des Momentes hinausgeht. Um das zu erkennen benötigte ich als Westmensch einen Umweg.
In den Depots des Eisenhüttenstädter Dokumentationszentrums fand sich eine große, rote Holztafel, die in weißer Schrift besondere Leistungen und Verpflichtungen zum Parteitag der SED versprach.
Das X für den 10. Parteitag war auf unserem Exemplar durch einen Kreidestrich ergänzt, so dass diese Losung offensichtlich vier Jahre später noch einmal verwendet worden war. Ein wahrhaft praktischer Umgang mit den Anforderungen des Lebens, der zudem zeigt, dass nicht alles so ernst genommen wurde, wie die Autoren solcher Losungen es erwarteten.
Arbeit heißt Planerfüllung und Planerfüllung dient den Zielen von Staat und Gesellschaft, so das gedankliche Gebäude, das sich hinter der Parole verbirgt.
Die Kriterien der massenhaften Verbreitung und der pointierten sprachlichen Verknappung sind also erfüllt.
Im Hintergrund des Bildes sieht man offensichtlich eine "Straße der Besten", in der Mitarbeiter des Betriebes für ihre vorbildlichen Leistungen herausgehoben werden, eine öffentliche Belobigung, die auch in Auszeichnungsritualen angewendet wurde und fester Bestandteil der Planökonomie des Betriebsalltages waren. Hier fungieren sie als eine zusätzliche Verbindung von Arbeitsleistung und politischem Ziel. Zugleich wird eine abstrakte Forderung individualisiert.
Im Vordergrund steht ein Betrachter, wobei offen bleibt, was er sich ansieht, die Parole oder seine ausgezeichneten Kollegen. Damit ist fotografisch eine erste Brechung der eindeutigen Botschaft erreicht.
Eine zweite, sprachliche, ist die Verbindung der Wörter "Kampf" und "Frieden", die im landläufigen Verständnis ja eher Gegensätzliches ausdrücken. Die Auflösung dieses Widerspruchs durch die Betonung der friedenserhaltenden Funktion des Militärs war nicht allein in der DDR ein argumentatives Problem. Ob große Plakate oder kleine Briefmarken, auf denen sich der Soldat schützend vor die sozialistische Familie stellt, haben nicht jeden überzeugt, zumindest nicht die unabhängige Friedensbewegung in der DDR.
So verlasse ich die fotografierte DDR verwirrt, unsicher ob der Wirkung auf die Zeitgenossen und auf ein heutiges Publikum, und begebe mich in den mir vertrauteren Westen zurück wo ich am Eingang zur Baseler Innenstadt den treffsichersten Kommentar zur landläufigen Existenz fand: "Kauft mehr".
Andreas Ludwig
Historiker, Leiter des "Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR" in Eisenhüttenstadt
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