Ziel des Fotoprojektes war, die Dorfgemeinschaft zu stärken, denn die Menschen hatten sich immer mehr aus den Augen verloren. Das große Interesse hat das Dorf und das Leben, das dort geführt wird, aufgewertet. Die Dorfgemeinschaft ist zusammengerückt.
Für gestresste Großstädter versprechen entlegene Dörfer in Brandenburg Ruhe und Erholung. Für Touristen mögen die am Tage fast menschenleeren Orte beschaulich sein, für die Einheimischen bedeutet diese Ruhe aber eine zunehmende Vereinsamung, die sich mit den Schließungen der Läden und Kneipen noch verstärkt hat. Auch in der Barnimer Gemeinde Breydin fehlen inzwischen die Orte des zufälligen Treffens und der Kommunikation; Zugezogene und Alteingesessene bleiben sich fremd.
Ein Umstand, der den Verein Fachwerkkirche Tuchen 2010 auf die Idee des Foto-Kunst-Projektes „WIR von HIER“ brachte. Der Fotograf Frank Günther wurde gebeten, die Einwohner zu porträtieren, um den Prozess des Kennenlernens und der Kommunikation zu fördern, vor allem aber, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.
Rund 80 Familien erklärten sich zur Mitarbeit bereit. Entstanden sind eindrucksvolle Schwarz-Weiß-Porträts, die allein durch die Bildsprache und ohne weitere Erklärungen die Geschichte der Dorfbewohner erzählen und zur Bewahrung der historischen und regionalen Identität beitragen.
Das Projekt fand bei der – bisher einzigen – Ausstellung große Zustimmung und führte dazu, dass die neuen Nachbarn tatsächlich neugierig aufeinander wurden, ins Gespräch kamen und sich persönlich kennen lernten. Auch sieben Jahre später haben die Porträts nichts von ihrer Eindringlichkeit verloren und zeigen ein lebendiges Stück Brandenburger Lebenswirklichkeit.
Gespräch mit Jörg Schiele
Vorsitzender des Vereins Fachwerkkirche Tuchen e.V.
Landeszentrale: Herr Schiele, was war das Ziel dieses Projektes?
Wir wollten die Dorfgemeinschaft stärken. Insbesondere die drei Ortsteile sollten mehr zusammenrücken. Das Ergebnis sollte auch einen Unterhaltungswert haben und die Menschen zusammenführen. Im Stil wollten wir an die Gruppenfotos von Dorfbewohnern wie vor 100 Jahren anknüpfen. Damals zog man extra für den Fotografen die Sonntagskleidung an. Die Porträts, die mit großem technischen Aufwand angefertigt wurden, haben viel Aufmerksamkeit erregt.
In den zurückliegenden 20 Jahren hat sich die Einwohnerstruktur verändert. Am Dorf ist schön, dass eigentlich jeder jeden kennt. Doch durch fehlende Gelegenheiten – keine Gaststätten und Läden mehr – haben sich die Menschen immer mehr aus den Augen verloren. Als Verein wollten wir etwas dagegen unternehmen und waren gleichzeitig neugierig, die Neuzuzügler kennen zu lernen.
Wie haben Sie Ihre Nachbarn und Bewohner überzeugen können, bei dem Projekt mitzumachen?
Zuerst haben wir einen Fotografen gesucht und gefunden und unsere Vereinsmitglieder haben sich mit ihren Familien von ihm porträtieren lassen. Diese Fotos haben wir in einer Auftaktveranstaltung vorgestellt und für das Projekt geworben. Handzettel haben wir auch verteilt und sind sogar von Tür zu Tür gelaufen, um die Nachbarn von dem Foto-Projekt zu überzeugen. In unserer Gemeinde leben rund 800 Einwohner, 86 Familien haben sich dann beteiligt. Auf den Bildern sind somit etwa ein Viertel aller Gemeindebürger abgebildet. Es ist uns gelungen, eine finanzielle Unterstützung durch die EWE Stiftung zu erhalten, so dass wir den Fotografen Frank Günther beauftragen konnten.
Der Erfolg der beiden ersten und bisher einzigen Ausstellungen war riesig. Sind Ihre Erwartungen erfüllt worden?
Der Zuspruch hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Die Fotos haben die Menschen für den Gedanken von „Wir von hier“ aufgeschlossen. Es hatte einen überwältigenden Effekt, dass die Bürger sich selber oder ihre Verwandten und Nachbarn auf den schönen Schwarz-Weiß-Fotos sehen konnten. Und als dann auch noch in der Berliner Zeitung ein Bericht mit einem Bild von den Tuchener Zwillingen mit ihrem Schwein veröffentlicht wurde, war das Projekt längere Zeit Dorfgespräch Nummer 1! Das große Interesse hat unser Dorf und das Leben, das wir hier führen, aufgewertet. Die Dorfgemeinschaft ist zusammengerückt.
Soll das Foto-Projekt fortgesetzt werden? Welche Projekte des Vereins gibt es noch?
Das Foto-Projekt ist vorerst abgeschlossen. Aber viele andere Projekte sind danach auf Initiative des Vereins entstanden. Auf zwei möchte ich besonders hinweisen: Bei dem Projekt „Zeitenspringer“ widmen sich Jugendliche Themen des dörflichen Lebens. Sie haben u.a. einen Dorflehrpfad entwickelt, Zeitdokumentationen erstellt und einen Handwerksmarkt ins Leben gerufen. Selbst gedrehte Beiträge findet man auf YouTube und Facebook.
Die meist älteren Bewohner unserer Gemeinde begeistern sich eher für Heimatkunde und gründeten die Interessengemeinschaft „Geschichte(n) aus Breydin“. Sie sammeln Geschichten, Fotos und geografische Daten oder interviewen ältere Bürger mit der Videokamera. Die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichen die ehrenamtlichen Ortschronisten regelmäßig in der Zeitschrift „Breydiner Geschichten“. Ich lade alle ein, sich genauer zu informieren: www.fachwerkkirche-tuchen.de
BLPB (Interview mit Jörg Schiele am 12.01.2018)
Teilen auf
Neuen Kommentar hinzufügen