Ausstieg Rechts

Inspiriert durch einen Zeitungsartikel über einen Szene-Aussteiger, habe ich mir zu diesem Thema einige grundsätzliche Gedanken gemacht, die ich an dieser Stelle teilen möchte.

Die Gründe, warum sich Jugendliche und junge Erwachsene dem Rechtsextremismus zuwenden, sind vielschichtig und gleichen sich doch häufig. Perspektivlosigkeit, Aufbegehren gegen das Elternhaus und/oder das Gefühl einer vermeintlich starken Gruppe von Gleichgesinnten anzugehören, stehen wahlweise am Anfang der braunen Karriere. Der politische und ideologische Feinschliff folgt hingegen oftmals erst später. Dies sind zumindest die Erfahrungen, die ich auch in meinem persönlichen Umfeld gemacht habe. So einfach es ist, sich anfangs von der Gruppendynamik treiben zu lassen, umso schwerer ist es, später dagegen anzuschwimmen.

Primäres Ziel muss es zunächst sein, eine politische Radikalisierung zu verhindern und somit präventiv tätig zu werden.

Also einzugreifen, aufzuklären und Alternativen aufzuzeigen, bevor die Heranwachsenden die Metamorphose vom jugendlichen Halbstarken zum Neofaschisten vollziehen. So lobenswert das zivilgesellschaftliche Engagement von Bildungsträgern, Vereinen  oder die Arbeit der Brandenburgischen Landeszentrale auch ist, es droht zu verpuffen. Solange die einzige Zukunftsperspektive in ländlichen Regionen darin zu bestehen scheint, nach dem Schulabschluss das Weite zu suchen, und Sozialarbeiter wirken, als seien sie lediglich eine Erfindung aus dem deutschen Privatfernsehen, bleiben Langeweile und Perspektivlosigkeit der tote (rechte) Winkel der Republik.

Zum Glück gibt es einige, denen Ausländerhass als übergeordneter Lebensinhalt irgendwann nicht mehr „ausreicht“. Ein neuer Job oder die Gründung einer Familie können diesen Prozess verstärken. Wenn aber erst einmal das persönliche Umfeld nur noch aus Kameraden besteht,  fällt es Vielen schwer, dieses Geborgenheitsgefühl wieder aufzugeben, egal, ob die eigene politische Überzeugung allmählich ins Wanken gerät.

Die alten Freunde, dieses gewohnte Leben, von dem man sich nur schwer trennen kann, all das kann die Entscheidung zum Ausstieg um Jahre verzögern.“  (Felix Benneckenstein, Szene-Aussteiger, http://www.taz.de/!91619/)

Externe Hilfe

Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, externe Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Organisation „Exit-Deutschland“ zum Beispiel berät und hilft bei dem Ausstieg aus dem Rechtsextremismus. Allerdings haben 2010 deutschlandweit lediglich 44 und 2011 66 Aussteigewillige diese Hilfe in Anspruch genommen (Kleine Anfrage Bundestag, 08.03.2012). Laut Herrn Fromm (ehem. Präsident des BfV) geht der Verfassungsschutz für das Jahr 2010 von 25.000 Rechtsextremisten aus (Welt Online, 18.04.2011). Die derart geringe Anzahl an Aussteigern wirft die Frage auf, warum die Zahlen so niedrig sind.

Dafür gibt es meiner Meinung nach drei mögliche Antworten:

1. Es gibt heutzutage kaum noch Rechtsextremisten. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht und sich die monatlichen Ausführungen der Bundesregierung zum Thema „politisch motivierte Kriminalität – rechts“ anschaut, muss dies verneinen (allein im April 2012 bundesweit 944 „sonstige Straftaten“ und 44 „Gewalttaten“; Brandenburg belegt Rang zwei mit 112 „sonstige Straftaten“ und fünf „Gewalttaten“).

2. Die Zahl der Aussteiger ist sehr gering. In diesem Fall bleibt nur zu hoffen, dass durch bessere Aussteigerangebote und die Schaffung von Zukunftsperspektiven mehr als 66 Rechtsextremisten aus der Szene aussteigen wollen.

3. Viele versuchen, ohne externe Hilfe aus dem rechten Milieu auszubrechen. Dies halte ich für am wahrscheinlichsten. Es ist aber auch der schwierigste Weg und mit gewissen Risiken behaftet. Wie schwammig die Kategorisierung in „Aussteiger“ mitunter ist, wenn weiterhin der Kontakt zu alten Kameraden gepflegt wird, zeigte jüngst das Beispiel Carsten S. Der mutmaßliche NSU-Helfer, der dem Trio (Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt) eine Waffe und Munition besorgt haben soll, ist laut eigener Aussage bereits 2000 aus der rechten Szene ausgestiegen. Das gibt mir zu denken, ob ein Aussteigen überhaupt möglich ist, ohne dass man die „alten Zöpfe“ rigoros abschneidet? Diese Frage möchte ich an dieser Stelle gerne zur Diskussion stellen. Weiterhin interessiert mich:

Eure Meinung ist gefragt

Welche Erfahrungen habt Ihr oder haben Freunde und/oder Bekannte in Eurem Umfeld gemacht? Wie gestaltet sich dieser Prozess der „Entwöhnung“ von dem alten Freundeskreis und was sind die gravierendsten Schwierigkeiten dabei?

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Kommentare

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Liebe Leserinnen und Leser,
da der Verfassungsschutzbericht 2011 vom 18.07.2012 aktuellere Zahlen bereithält, möchte ich Euch diese nicht vorenthalten:

Rechtsextreme insgesamt: 22.400 (2010: 25.000; 2009: 26.600)
Rechtsextreme  Organisationen (ohne Parteien): 255 (2010: 217; 2009: 193)
Gewalttaten: 755 (2010: 762; 2009: 891)
Sonstige Straftaten: 16.142 (2010: 15.905; 2009: 18.750)
Gewaltbereite Rechtsextreme: 9.800 (2010: 9.500)

Interessant ist, dass während die Zahl der Rechtsextremen insgesamt leicht rückläufig ist, die Zahl derer, die sich offen für Gewalt aussprechen, zugenommen hat. Den kompletten Bericht sowie weitere Informationen erhaltet Ihr in den beigefügten Linktipps.

Super Foto und toller Text... sehr differenziert und regt zum Nachdenken an...

Ich sehe das gravierende Problem beim Ausstieg, bei der "Entwöhnung" vom alten Freundeskreis. Was macht man ohne ALTE Freunde und NEUE Freunde sind noch nicht in Sicht? Das braucht ja auch Zeit. Da sehe ich das Problem...

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