Bismarck hatte recht

Oder: Ist denn wirklich alles erlaubt?

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Hilfe, die Wahl verfolgt mich! Guter Dinge - und ausnahmsweise mal ohne an den Blog zu denken, schlenderte ich neulich Abend über den Berliner Hauptbahnhof - und dann das! Völlig unvermittelt stehen sie da. Bismarcks Worte: „Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.“

Es steht so groß auf dem Bildschirm vor mir, dass mensch es sich auf den Augen zergehen lassen MUSS. Ist das ein Wink mit dem Zaunfeld? In so unmittelbarer Nähe zum Bundestag auf jeden Fall ein Blickfang. Doch die Nacht ist jung und Berlin will erobert werden, also nur schnell etwas zum Aufschreiben suchen.

Natürlich findet sich in den Untiefen meiner winzigen Tasche alles Mögliche - nur kein Stift. Statt dessen lächeln mir eine kleine rote Tube Sonnencreme von der LINKEN und Gratis-Gummibärchen der CDU - schwarz ist ja so wunderschön - entgegen.  Einfach nicht aufgeben. Als nächstes fällt mir ein kleiner Block mit Tipps von der FDP in die Hand. Immerhin schon etwas aus Papier. Ich komme der Sache näher. Und na bitte, da ist auch schon das Notizheftchen von den Grünen. Ganz am Grund - wo sonst - ertaste ich endlich einen Kuli der SPD. Perfekt, die Feder ist gezückt und nun kann es losgehen. Nach getaner Arbeit blicke ich von meinem Survival-Kit zurück auf das Zitat. Ob es zu Bismarcks Zeiten auch schon derartiges Merchandising gab?

Die tollsten Versprechungen anscheinend schon. Damit hat der alte Knabe bis heute nicht ganz unrecht. Doch wie weit geht die Werbefreiheit, oder befinden wir uns in unendlichen Weiten?

Schleichwerbung und Infostände sind im Orbit der Wahl nahezu uneingeschränkt. Ich selbst werde ja auf einem Wahl-Segelschiff mitfahren. Eine Freibeuterfreie Bootstour - der Grad zwischen Kreativität und Maßlosigkeit ist eben manchmal schmal. Aber wer wählt denn eine Partei, nur weil sie eine Jolle steuern kann oder jeden Passanten mit Stiften und anderem Krimskrams versorgt? Die Entscheidung wird doch hoffentlich wegen deren Agenda gefällt.

Aber Versprechen kann man bekanntlich brechen. Keiner nimmt einer Partei ab, dass sie zum Beispiel kostenlosen Kaffee an Bahnhöfen einführt - das klingt zu utopisch. Abgesehen davon, dass ich versuche, auf Tee umzusteigen, ist so ein Ausspruch ja nicht verbindlich. "Keine neuen Schulden, keine neuen Steuern" ist da viel glaubwürdiger, viel ...

Was mich wirklich ernüchtert: Verbindliche Auflagen für eine Abrechnung „Vor der Wahl, nach der Wahl“ gibt es nicht! Klar, wer ein bisschen bei der Grundidee von Demokratie aufgepasst hat, fordert ja das, was er machen will. Wer sich eher an der öffentlichen Meinung orientiert, plakatiert das, was die meisten wollen. 

Was darf eigentlich überhaupt nicht beworben werden? Klar, die alte Verfassungskeule: keine „verfassungsfeindlichen, menschenverachtenden oder volksverhetzenden Aussagen“. Ansonsten aber scheint alles erlaubt - und Bismarck hat's gewusst. Es gibt ganze Seiten, die gebrochene Wahlversprechen aufzählen. Du sollst nicht lügen, wenn du es tust, passiert aber auch nichts.

Warum sollte ich denn da eigentlich noch wählen gehen? Mit dieser Frage bis zum nächsten Mal,

euer Froylein Puze.
 

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Liebes Froylein Puze,

im Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2013 mal wieder Bismarck ins Spiel zu bringen ist wirklich ein großes Verdienst von Ihnen. Kluger sehr umstrittener Mann übrigens. Vielleicht haben heute die Politiker vor dieser Umstrittenheit auch soviel Angst, die Otto von Bismarck  nicht haben musste. Wer las schon Zeitung und WWW und facebook waren nicht in Sicht...

Wollen die Bürgerinnen und Bürger belogen werden? Wollen unsere Mitbürger nur ‘‘positive‘‘ Nachrichten, Schlagworte oder Parteiprogramme  von der Politik hören, lesen und konsumieren? Niedrigere Steuern, eine bessere Infrastruktur, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, niedrigere Arbeitslosenquoten, ein besseres Bildungsangebot, eine gerechtere und sozialere Gesellschaft usw.

Oder ist diese Form der gebrochenen Wahlversprechen eine inhärente Logik der Politik? Eine Logik, die darauf abzielt, erst einmal Wählerstimmen zu ködern, um ein gutes Ergebnis zu erreichen, damit anschließend die Realpolitik in Regierungsverantwortung betrieben werden kann und demzufolge die vorher abgegebenen Wahlversprechen keine Versprechen mehr darstellen, denn die Partei hat ihr Ziel erreicht. Anschließend stellen sich weitere Fragen: Fühlen sich die Politiker nicht gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern verpflichtet? Kann die Politik, die postulierten Versprechen, Ideen und gesellschaftlichen Konzeptionen einfach über Bord werfen, ist das nicht eine Täuschung der Wähler?

Ich denke, dass beide Aspekte eine Rolle spielen, denn auf der einen Seite möchten die Wähler von den Parteien nur ungern etwas über höhere Steuern oder Einsparungen hören (und wenn gespart werden soll, dann soll es immer bitte die Anderen treffen, bloß nicht mich) und auf der anderen Seite müssen die Partei einen gewissen Schleier über die Realpolitik hängen, sodass gewisse Bonbons, in Form von Versprechen, an das Wahlvolk verteilt werden, um Wählerinnen und Wähler zu rekrutieren.

Letztlich ist dies ein gegenseitiger Effekt, ein Effekt, der die Politik als abstrakt erscheinen lässt und die Enttäuschung der Wählerinnen und Wähler über Politik im Allgemeinen befeuert.

 

Danke für Ihre sehr nachvollziehbare Darlegung. Ob die Wähler belogen werden wollen, kann ich und möchte ich auch nicht beantworten. Statt für eine ganze Masse zu sprechen, bin ich lieber ganz persönlich und sage da ehrlich: ich für meinen Teil möchte lieber feste Strukturen haben, als wohlklingende Luftgebilde. Außerdem habe ich mir oft genug die Enttäuschung und die Entrüstung über "nur lügende Politiker" angehört und wäre sehr erstaunt, wenn die gleichen Personen eine solche Falschheit vorziehen würden. Anzunehmen diese Aufregung allein würde den Bürger glücklich machen, klingt für mich nach einem eher verdrehtem Menschenbild. Politik als reines Ventil um Unmut abzulassen, danke nein. So aburteilen möchte ich niemanden.

Bedenklicher finde ich da jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit eine typische Wahlkampfaussage umzusetzen, gar nicht mehr eingeschätzt werden kann. Vielleicht ist das ja doch mit dem Kaffee, den Steuern und dem ganzen Rest möglich. Wer weiß das schon? Eine Expertenmeinung scheint ja erst im Nachhinein aufzutauchen- und zwar dann, wenn die neue Legislaturperiode angetreten wird. Die Politik erfüllt hier meiner Meinung nach eine sehr wichtige Aufgabe ungenügend- die Lenkung und Bereitstellung von Informationen aus der Forschung und der Wirtschaft. Natürlich, dank www kann ich recherchieren was das Zeug hält. Doch mir fällt kein Medium ein, das gebündelte Informationen zu aktuell politischen Belangen bereitstellt. Die Debatte um ein Thema wird zumindest noch in der Tagesschau angerissen, aber dessen Umfang und Inhalt passt nicht mehr in den 15-Minuten-Block hinein. Eine Darlegung von sachkundigen Personen- und oft nehmen Politiker eher Vermittlerrollen ein, als die von Experten- fehlt meiner Meinung nach. Genau diese Aufklärung bildet doch aber schließlich den Grundbaustein, bevor so eine Debatte Sinn ergibt. Selbst in einem Didaktik Grundseminar wird sofort an den Anfang gestellt, dass Wissen erworben und erarbeitet werden muss, bevor damit gearbeitet und diskutiert werden kann.

Aber einmal weg von solchen "Kleinigkeiten" wie Informationsdefiztiten bei dem Großteil der Bevölkerung. Die Politiker sind anscheinend selbst nicht vor Wissenslücken gefeit. Es ist erschreckend in wissenschaftlichen Publikationen das genaue Gegenteil von politischer Praxis lesen zu müssen. Wie können sich Politiker diesen "Elfenbeinturm" leisten, der regelmäßig unter den Meinungen ihrer Berater erzittert? Mir will es nicht in den Kopf, wie etwas lauthals proklamiert werden kann, über das man selbstt kein exaktes Wissen hat? Das Erstaunen kommt nach der Wahl, wenn es um die Umsetzung geht. Da geht nämlich dann doch nichts.

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