In diesem Jahr wird Brandenburg 865 Jahre alt - ein Grund, aus der Geschichte das Sinnvolle fürs Hier und Heute herauszuholen. Fast nie haben diejenigen in Brandenburg, die schon da waren, die, die dazukamen, mit Hurra empfangen. Aber immer haben sie es geschafft, miteinander zu leben. Auch das gehört zu unserer Art zu denken.
Ich weiß gar nicht mehr, wann ich angefangen habe, den 11. Juni nicht mehr zu vergessen. Jedenfalls hat Brandenburg für mich seit vielen Jahren an diesem Tag Geburtstag. Eine Urkunde gibt es zwar nicht, aber die endgültige Inbesitznahme der Brandenburg im Jahr 1157 durch Albrecht den Bären ist für dieses Datum belegt. Der Tag wird von Historikern als Beginn einer gesicherten, staatsbildenden Herrschaft über Brandenburg angesehen.
2022 wird Brandenburg also 865 Jahre alt. Hinten steht eine halbwegs runde Zahl, umso mehr ein Grund, aus der Geschichte das Sinnvolle fürs Hier und Heute herauszuholen.
Entstanden ist die Mark letztendlich vergleichsweise friedlich durch Diplomatie. Sie führte zur Erbschaft, verteidigt und beeidigt durch einen Sieg am Ende eines Familienzwists nach den erfolglosen, kriegerischen Auseinandersetzungen in den Jahrhunderten zuvor. Im historischen Rückblick spielte auch Religion eine Rolle: Christen aller Herren Länder kämpften gegen heidnische Slawen, die das Land, das später zur Mark Brandenburg wurde, zu dieser Zeit besiedelten.
Bemerkenswert ist, dass in den nachfolgenden Jahrhunderten die historischen Ereignisse auf eine Erzählung vom Kampf der „Deutschen“ gegen „die Slawen“ reduziert wurde. Diese Bild ist bis heute nicht nur im kollektiven Gedächtnis der Deutschen zu finden, sondern auch in dem der Polen. Der Gegensatz von „Slawen“ und „Deutschen“ gehörte im 19. Jahrhundert zum Gründungsmythos der Bewegungen für einen deutschen und einen polnischen Nationalstaat. Und wenn ich den aktuellen Stand Europas betrachte, dann macht uns diese Art des Denkens bis heute zu schaffen.
Die Geschichte geht aber auch so: Von Beginn an war Brandenburg ein kultureller Schmelztiegel. Bis in die preußische Zeit hinein siedelten sich hier Menschen auf der Suche nach Zuflucht, einem besseren Leben oder einfach nur nach neuen Möglichkeiten an, sprachen viele Sprachen, pflegten ihre alten Bräuche und verwoben alles zu dem, was man heute als brandenburgisch bezeichnen könnte.
Fast nie haben diejenigen in Brandenburg, die schon da waren, die, die dazukamen, mit Hurra empfangen. Aber immer haben sie es geschafft, miteinander zu leben. Auch das gehört zu unserer Art zu denken. Wir Brandenburger könnten uns zum Beispiel darauf besinnen, dass wir allesamt ursprünglich Einwander waren und schon immer ein Verbindungsglied zwischen Ost und West. Infolge dessen wussten wir auch immer mit Einwanderung umzugehen und dass Vielfalt das ist, was uns ausmacht.
Wir sind und bleiben die sympathischste Promenadenmischung der Bundesrepublik und gehören vielleicht einmal zu den Vorreitern eines anders organisierten, friedlichen „Europas der Regionen“. Dieser Gedanke ist übrigens mein Lieblingsgeburtstagsgedanke am 11. Juni - jedes Jahr. Herzlichen Glückwunsch, Brandenburg!
René Lehmann ist Projektleiter im Fachbereich Agrar- und Ernährungswirtschaft bei pro agro - Verband zur Förderung des ländlichen Raumes in der Region Brandenburg-Berlin e.V. - und nicht nur dienstlich leidenschaftlicher Brandenburger und Europäer.
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