Der Führer im Wachsfigurenkabinett

Bereits wenige Minuten nach Eröffnung der Berliner Dependance von Madame Tussauds am 5. Juli wurde der wächserne Führer geköpft. Gegen das Attentat des mir durchaus sympathischen Hartz-IV-Empfängers Frank L. weiß ich wenig zu sagen. Sehr merkwürdig finde ich hingegen das maßlose Medienecho, das sicherlich nicht nur dadurch zu erklären ist, dass im nachrichtenarmen Sommerloch zwischen Fußball-EM und Olympischen Spielen die Zeitungsspalten eben irgendwie gefüllt werden müssen.

Es gibt gute und ehrenwerte Gründe gegen die Ausstellung Hitlers im Wachsfigurenkabinett: Für den Holocaust-Überlebenden Isaak Behar ist die Hitler-Figur „einfach geschmacklos“. „Ich fühle mich tief verletzt“, zitiert ihn die Berliner Zeitung. Auch Johannes Tuchel, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, hält es „für überflüssig und geschmacklos, Hitler in einem Wachsfigurenkabinett zu zeigen.“ Ich stimme zu.

Andererseits: Was soll man davon halten, dass ausgerechnet die Bildzeitung sich über den Wachshitler empört?

„Hitler als Showman – wie kann man das den ermordeten, misshandelten Millionen von toten Seelen erklären ... Wenn wir zu ihnen beten, wenn wir sie um Verzeihung bitten. Hitler, der Mörder. Ab morgen ein Show-Star in Berlin. Kommt alle zur Eröffnung, um zu kotzen.“

Lieber Franz Josef Wagner, wenn Sie kotzen möchten, gucken Sie doch erstmal in Ihre eigene Zeitung. Bildblog hat ein paar beispielhafte Hitler-Schlagzeilen aus den letzten zwei Jahren zusammengestellt.

Übrigens ist der Führer auch in anderen Wachsfigurenkabinetten zu finden. Bei Madame Tussauds in London steht seit 1933 eine Hitlerpuppe, die bei den Besuchern ebenfalls nicht sehr beliebt zu sein scheint. In Berlin wurde vor vier Jahren schon einmal über einen Wachshitler debattiert, der in einem Panoptikum am Checkpoint Charlie ausgestellt war. Im Hamburger Panoptikum gibt es eine Hitler-Figur, die sogar im Gruppenbild mit Göring und Goebbels präsentiert wird. Wie der Panoptikumsdirektor der Frankfurter Rundschau erzählte, wurde Anfang der neunziger Jahre von einem Besucher bemängelt, dass in der Ausstellung ein Mitglied des Widerstands fehlte:

„Seither stehen bei uns direkt neben der Gruppe die Figuren der Geschwister Scholl, die die Flugblätter in der Hand haben, die sie verteilten, kurz bevor sie verhaftet worden sind. Der Besucher wird aufgefordert, eines dieser Flugblätter mitzunehmen. Dieser Kontext ist uns unheimlich wichtig.“

Das Wachsfigurenkabinett als Ort der historischen Aufklärung? Nicht wenige Kommentatoren scheinen dies für möglich zu halten. Stephan J. Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, hält es für „unverzichtbar“, die Wachsfigur „durch einordnende Informationen zu Hitler und der NS-Zeit zu ergänzen“. Auch der Pressesprecher des Berliner Senats fordert „eine historische Erläuterung“. Nach meiner Auffassung liegt hier ein Missverständnis vor. Ein Wachsfigurenkabinett ist für mich keine Bildungseinrichtung, sondern eine Belustigungsanstalt, die nicht geeignet ist, weitergehende Bildungsinhalte zu vermitteln. Geben Sie bei Flickr mal die Begriffe „Hitler“ und „Tussauds“ ein und Sie wissen, was ich meine: Die Besucher machen Blödsinn (was man ja noch nicht mal negativ sehen muss).

Genau dieser Aspekt hatte die Nazis 1941 dazu bewogen, die Aufstellung einer Hitler-Figur im Hamburger Panoptikum zu verbieten. Der Führer durfte nicht lächerlich wirken. Erst seit 1948 wird er in Hamburg gezeigt.

Was also ist von dieser Debatte zu halten? Bei aller berechtigten Kritik ist vielleicht etwas mehr Gelassenheit angebracht. Julius H. Schoeps, der Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums in Potsdam, plädiert dafür, die Sache „tiefer zu hängen“: „Wenn man sich über jeden Schwachsinn aufregen sollte ...“

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