Über das Ende der politischen Korrektheit
Als im Jahr 1957 die Erstausgabe von „Die kleine Hexe“ erschien, las man in Ottfried Preußlers Kinderbuch das Wort „Neger“. Jetzt wird es gestrichen – so besagt es eine Meldung des Verlags. Recht spät, möchte man meinen, ist das Wort doch nicht erst seit gestern auf dem Index der politischen Korrektheit. Besser spät als nie? Kritik regt sich an der Änderung, mehr noch: Latent verbirgt sich dahinter ein Zweifel am Bemühen um eine politisch angemessene Sprache im Allgemeinen. Doch warum? Jahrelang wurde um Begriffe, Bezeichnungen und Definitionen gerungen - damit soll nun Schluss sein?
Die Diskussion um Sinn und Unsinn einer politisch korrekten Ausdrucksweise ist nicht neu. Die Meinungen dazu sind so vielfältig wie die Worte für ein und das Gleiche. „Political correctness“ sei der vergebliche Versuch, im Antlitz der Sprache die Konflikte der Gegenwart beheben zu wollen. Die Idee: Die Gesellschaft formt die Redensart und diese hat wiederum Einfluss auf die Denkprozesse und Vorstellungswelten der Menschen, die an der Gestaltung der Gegenwart beteiligt sind (siehe hier). Doch wie Schatten haften Stereotype und Diskriminierungen der veralteten, „bösen“ Begriffen auch ihrem Nachfolger an, die Konsequenz: Früher oder später muss Ersatz herbei! Die Suche nach dem politisch korrekten Ausdruck wird zum qualvollen Verhängnis der Gutmenschen, es ist die Jagd nach einem Mythos.
Die traurige Bilanz: Der „lexikalischen Kriegsführung“ (so nennt es der amerikanische Philosoph Peter Ludlow) zum Trotz bleiben Rassismus, Sexismus und so weiter, ein eklatantes Problem in der Gesellschaft. Diese Sprache der Samthandschuhe verzerrt vielmehr unsere Wahrnehmung der Realität. Hinter einer semantischen Mauer verschwinden die assoziierten Konflikte, während sich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nichts ändert: Steve Pinker, Psychologieprofessor an der Harvard University, nennt es die „Euphemismus-Tretmühle“. Transsexuelle fühlen sich in der Öffentlichkeit nicht stärker akzeptiert, wenn ich diesen Blog künftig an alle Leser_innen richte; Afro-Amerikaner nicht weniger diskriminiert, weil sie nicht mehr als „Schwarze“ angesprochen werden.
Generiert wird vielmehr eine „Gleichförmigkeit der Gedanken“ (Henryk M. Broder et al., Schöner denken. Wie man politisch unkorrekt ist, München/ Zürich 2007, Vorwort): Wörter werden zu Phrasen, die in keiner Weise Rückschluss auf demokratische Aufklärung geben, politische Korrektheit wird zur Diktatur des Sinnentleerten. Nicht ohne Grund ist die Phrase „politisch korrekt“ in den vergangenen Jahren eher zu einem negativen Kampfbegriff geworden.
Doch zurück zum Ausgangspunkt: Sollte nun also das Wort „Neger“ nicht aus Ottfried Preußlers Roman „Die kleine Hexe“ gestrichen werden? Aus pädagogischer Sichtheißt es, man könne das Wort im Unterricht thematisieren und hätte so die Gelegenheit, politische Aufklärung zu betreiben. Was wäre gewonnen? Nicht viel. Grundschüler mit der Reichweite der Diskussion um politische Korrektheit konfrontieren, in der Literatur quasi-natürlich ausgediente Worte verwenden? Die Verunsicherung ist gewiss. Nicht nur bei den Jugendlichen des angeführten Beispiels, sondern der Verlust der eigenen Sprache ob des semantischen Wirrwarrs ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Unsicherheit verhindert Artikulation. Gestritten wird über Wörter als Symbole (nach Frigga Haug), nicht aber über den greifbaren Konflikt. Nicht die Formulierungen sollten Auslöser einer Debatte sein, vielmehr der Gegenstand dahinter selbst.
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Kommentare
KommentierenVerletzungen Anderer
Worum geht es in der Debatte? Weniger um "politische Korrektheit" als um die Akteptanz der Verletzungen der Gefühle und der Integrität Anderer. Özlem Topcu hat hierzu ein interessantes Statement geliefert:
"Wir leben in heterogenen Gesellschaften, das kann man finden, wie man will, sie werden nie wieder homogen. Das Wir ändert sich, mittlerweile beträgt der Anteil der Menschen anderer Herkunft in Deutschland 20 Prozent. Die neuen Deutschen haben einen anderen Zugang zu Themen, eine andere Geschichte und andere Erfahrungen..."
der komplette Artikel:
http://www.zeit.de/2013/05/Kinderbuch-Debatte-Neger-Rassismus
@kurz
Die Verletzung von Gefühlen scheint mir in dieser Debatte nachgeordnet. Vielmehr geht es doch darum, in der Sprache die Lern- und Erkenntnisprozesse der letzten Jahrzehnte abzubilden, die nicht nur die deutsche Gesellschaft durchlaufen hat. Damit geht auch einher, anzuerkennen, dass Menschen Teil dieser Gesellschaft sind und nicht so tun können als seien sie geschichtslose Wesen. Bemerkenswert, dass es keinen Konsumentenstreik gegen die in Frage stehenden Bücher gegeben hat. Solange es den nicht gibt, fürchte ich, hat S. von der Ahe Recht, dass es gegenwärtig eher um politische Korrektheit geht, die ins Leere führt, weil so viele anders denken.
Bürgerliche Verklemmungen
Feridun Zaimoglu auf http://www.erenguevercin.de/ Noch Fragen?
"Das politisch korrekte Sprechen ist eine Sprachstellung der bürgerlichen Verklemmungen. Das ersetzte Unwort erzeugt eine Leerstelle. Das ‘richtige’ Ersatzwort besteht aus Pappe, Hirn und Spucke. Es stammt aus dem Fachjargon der Gebildeten und Gelehrten: kein Feuer, keine Entflammungsgefahr, ödes Zeug. Die dunklen Worte – gekappt, verboten, verfemt – setzen sich im Gedächtnis der unteren Volksmassen fest. Ein Dicker heißt nunmehr Bürger mit molligem Hintergrund – man darf ihn nicht mehr als Fettsack bezeichnen. Der von Bildungsingrimm befeuerte Ausländer tilgt das Rauhe und Ruppige. Alle wollen alles verbieten – was soll der Blödsinn? Ich fange gleich mal mit einem kleinen Regelverstoß an: Ficken ist schön."
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