Vor der Brexit-Wahl schien nur eins logisch, das Nein zum Austritt. Es ist anders gekommen und die Frage stellt sich: Soll der Bürger wirklich bei großen politischen Fragen direkt mitbestimmen? Als überzeugte Europäerin ist unsere Autorin schockiert, als Brandenburgerin besorgt.
Der Brexit und ich
Ich kann es immer noch nicht glauben. Wie vermutlich der ein oder andere Europäer auch, ging ich am Donnerstagabend gespannt, aber nicht übermäßig nervös ins Bett. In Großbritannien war Brexit-Wahltag, Ergebnisse wurden erst in der Nacht und am Morgen erwartet. Die letzten Umfragen zeigten einen hauchdünnen Vorsprung für diejenigen, die in der Europäischen Union bleiben wollten. Selbst Nigel Farage, Vorsitzender der UKIP und heftiger Kritiker Europas, sah seine Gegner leicht vorn.
Ich fand das beruhigend, nicht, weil ich die Meinungen der Eurogegner abwinke, sondern weil der Wahlkampf in einer derart emotionalen Weise geführt wurde und so viele Falschinformationen mit nationalen Ressentiments gespickt wurden, dass es meiner Meinung nach nur eine logische Entscheidung gab – den Verbleib in der EU. Das Staatsvolk würde seine demokratische Verantwortung nicht von Emotionen bestimmen lassen, jedenfalls nicht die Briten, nicht im Mutterland der modernen Demokratie. Gekommen ist es anders.
Wie die Briten zum Brexit kamen
Der Stein wurde 2013 durch Premierminister David Cameron selbst ins Rollen gebracht, als er entschied, über den Verbleib in der europäischen Gemeinschaft abstimmen zu lassen. In Großbritannien ist so ein Referendum im Gegensatz zu Deutschland möglich. Erhofft hatte er sich dadurch eine Beruhigung parteiinterner Machtkämpfe. Bekommen hat er einen Wahlkampf, der einen tiefen Riss in der Gesellschaft offenbart und der die politische Kultur in Großbritannien nachhaltig beeinflusst hat. Es ging arm gegen reich, jung gegen alt, Land gegen Stadt. Trauriges Ergebnis ist nun der Austritt aus der Europäischen Union.
Als europafreundlich waren die Briten nie wirklich bekannt, zu sehr wurde der Inselstatus geschätzt, das Festland argwöhnisch betrachtet und Sonderregelungen oder Ausnahmen beständig eingefordert. Mitmachen wollten sie trotzdem – irgendwie – schon wegen der verbesserten Handelsbedingungen auf dem europäischen Binnenmarkt. Die Sonderforderungen nahmen solche Ausmaße an, dass der Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowohl 1963 als auch 1967 am Veto Frankreichs scheiterte. 1973 konnten schließlich ausreichend Kompromisse ausgehandelt werden und Großbritannien trat der EWG bei, die 1992 in die Europäische Union aufging. Die Briten bleiben dabei, der Trend zu Uneinigkeit, Enthaltung und Blockade leider auch.
Der Brexit: Ausschluss von der Fußball-EM
Das zeigte sich scharf in der jetzigen Abstimmung. Am 23. Juni 2016 entschieden sich 51,9 Prozent der Wählenden für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Ich las die Nachricht fassungslos zuerst bei Whatsapp, da ein guter Freund gleich den Ausschluss von Wales, Nordirland und England bei der Fußball EM forderte. Ein kurzes Querlesen durch meine bevorzugten Nachrichtenportale bestätigte, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Und gleichzeitig offenbarte sich der Schock auf allen Seiten. Farage konnte sein Glück kaum fassen und jubelte, die EU „ohne einen einzigen Schuss“ bezwungen zu haben. Noch am gleichen Tag distanzierte er sich zudem von dem Wahlversprechen, die eingesparten Millionen, die zuvor an die EU gezahlt wurden, in das Gesundheitswesen zu investieren. Die Aussage sei ein Fehler gewesen. Kann ja mal passieren. Man hat sowieso nicht alles so ernst gemeint – ja na klar.
Die Briten zahlten zuvor etwa elf Milliarden Pfund an die EU, erhielten durch verschiedene Förderprogramme und Subventionen sieben Milliarden wieder zurück. Übrig bleiben demnach vier Milliarden, die nun schon eifrig von verschiedenen Seiten begehrt werden. Im Grunde genommen sind sie schon doppelt und dreifach verplant. Das Gesundheitswesen braucht Unterstützung, die Landwirtschaft sowieso und sogar die Football Association hat Bedarf angemeldet. Ihre eigenen Bestimmungen zur Arbeitserlaubnis für ausländische Spieler machen es vielen nun (theoretisch) unmöglich, in der englischen Premier League zu spielen. Die Antwort sollen Förderprogramme sein, um einheimische Spieler zu stärken – finanziert (klar!) aus den freigewordenen vier Milliarden.
Folgen für Großbritannien
Dass es für die Briten nun nicht einfach wird, ist abzusehen. Schottland und Nordirland (beide gegen den Brexit gestimmt) scharren mit den Hufen und wollen neue Referenden zur Unabhängigkeit anstreben, um in der EU bleiben zu können. Das würde das Ende des Commonwealth bedeuten. Die jüngere Generation steht fassungslos vor dem Votum der Älteren, die ihnen die Zukunft in der EU verbaut hat. Die Mehrheit der unter 50-jährigen war für den Verbleib in der der Gemeinschaft. Die Generation 50+ jedoch stark dagegen und wahlfreudiger. Warum sind nicht mehr junge Menschen zur Wahl gegangen?
Es scheint als würde den meisten Briten jetzt erst klar, dass ihre Protestwahl tatsächlich ernsthafte Folgen haben könnte. Sie ist eben nicht nur ein Denkzettel an die Regierung in London. Es war kein landesinternes Problem, über das abgestimmt wurde. So dämmert es beispielsweise Cornwall, einem der am stärksten mit EU Mitteln geförderten Landesteile, dass es weiterhin seine 60 Millionen pro Jahr erhalten möchte. Beides geht aber nicht. Entweder ist man drin oder eben draußen.
Dass Cameron jetzt auf Zeit spielen will, die Verhandlungen denen, die nach ihm kommen, überlässt, wird die EU - so hoffe ich - schon allein deswegen verhindern, um mögliche Nachahmer abzuschrecken. Gegner der EU gibt es auch in anderen Ländern. In Deutschland und Frankreich werden sie nach einer Umfrage des ZDF mit jeweils 48 Prozent angegeben. Nur in Griechenland sind die Zahlen mit 71 Prozent noch höher. Es lohnt sich für die Brandenburger ein Blick ins Nachbarland Polen. Dort möchten nur 22 Prozent der Bevölkerung raus aus der EU.
Folgen für die EU und Brandenburg
Die Europäische Gemeinschaft wird mit einem starken Partner weniger weiter machen. Das ist Verlust und Chance zugleich, da das Veto Großbritanniens viele Entscheidungen blockiert oder gar verhindert hat. Für Brandenburg kann der Austritt schnell ernsthafte Folgen haben. Nach Auskunft des Finanzministeriums sei Brandenburg derzeit mit 87 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens der EU als Übergangsregion eingestuft. Nach dem Austritt von Großbritannien würde das EU-Durchschnittseinkommen sinken und das Pro-Kopf-Einkommen in Brandenburg auf mehr als 90 Prozent ansteigen.
Damit würde Brandenburg sehr wahrscheinlich aus der EU-Förderung ausscheiden. Es würden Beträge im dreistelligen Millionenbereich verloren gehen.
Protest sollte also immer mit Bedacht eingesetzt werden. Aber es geht nicht nur darum. Gerade jetzt erhalten die Stimmen in Deutschland Auftrieb, die auch hierzulande eine Abstimmung fordern. Das Grundgesetz sieht ein solches Referendum über die Mitgliedschaft in der EU nicht vor.
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Volksabstimmungen, aber wenn es um Entscheidungen mit derart komplexen Folgen wie dieser geht, dann halte ich es mit Laszlo Trankovits: Die Lösungen, die wir in unserer globalisierten Welt brauchen, erfordern enormes Fachwissen und großen Fleiß, sich zu informieren, um zu verstehen.
Kann wirklich jede und jeder von sich behaupten, beides ausreichend zu haben, wenn es um die Krisen der Gegenwart geht?
Zum Zeitpunkt des Beitrags befand sich die Autorin in Elternzeit und beobachtete die Entwicklung mit einem kritischen Blick „von außen“.
Katrin Marx ist Publikationsreferentin in der Landeszentrale und empfindet das als absoluten Traumjob. So konnte sie ihre beruflichen Ziele: "irgendwas mit Menschen" und "auf jeden Fall irgendwas mit Büchern" perfekt vereinen. Sie liest sich tagsüber durch die neuesten Sachbücher, stöbert nach Feierabend durch alle Genre und liest abends gerne und laut aus Kinderbüchern vor.
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