Auch ich, ein "khách du lịch“ (gesprochen: „kheck sulick“), ein Tourist also, habe Zeit nachzudenken in dieser wohl schönsten Stadt des Landes.
Wenn es für mich gen Heimat geht, sind es noch zwei Tage bis zu meiner ersten großen Wahl. Doch hier in Vietnam zweifelt man an Vielem, was zu Hause als unumstößlich galt. Eine Frage lässt mich zunehmend nicht los. Sind Wahlen, wie wir sie kennen, überhaupt noch zeitgemäß?
Mit zwei Kreuzen wird das gesellschaftliche Leben von 80,5 Millionen Menschen in die Hände weniger Politiker gelegt, die für die kommenden vier Jahre den Kurs einer ganzen Nation vorgeben sollen. Dabei heißt Demokratie doch gemeinhin „Herrschaft des Volkes“ und nicht „Herrschaft der Wenigen, die möglichst allwissend die Geschicke unseres Landes lenken sollen“. Sicherlich, wir können - Froylein Puze hat das glänzend beschrieben - vor und nach der Wahl selbst Einiges tun, doch stimmberechtigt sind wir bei den einzelnen politischen Entscheidungen dennoch nicht.
Das Wort Volksabstimmung hat sich längst als Kampfbegriff etabliert, doch sehe ich dahinter viel mehr eine Überzeugung: den Wunsch nach einem Mehr an Demokratie! Kann das denn so schlecht sein?
Warum nicht pünktlich nach der Tagesschau, die meiner Meinung sowieso wieder Pflichtprogramm werden sollte, bequem online seine Meinung über aktuelle politische Themen kundtun? Ein paar Klicks hier, ein paar Klicks dort und ein jeder weiß, welchen Weg wir wollen. Bürgersprechstunden wirken geradezu antiquiert dagegen!
So schön solche Vorstellungen auch für mich sind, so sehr schmerzt mich die Einsicht, dass dieser Wunsch doch leider nicht mehr als ein Traum sein kann. Man stelle sich nur vor, welchen Sachverstand jeder mitbringen müsste, um über die Vielzahl der Themen, die unsere Parlamentarier tagtäglich verhandeln, sein durchdachtes Urteil bilden zu können. Stelle man sich vor, man würde darüber abstimmen lassen, ob ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ eingeführt werden sollte oder mehr Rente oder deutschlandweit die Abschaffung der Studiengebühren?
Über das Für und Wider sind sich selbst die von uns Gewählten nicht einig. Wie sollen dann wir das leisten können? Eine alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern und drei Nebenjobs oder ein Medizinstudent? Sich abends mal eben mit der staatlicher Haushaltskonsolidierung befassen? Für mich schwer vorstellbar!
Doch bin ich ja nicht der Einzige, der sich Gedanken macht. Was denkt ihr? Wenn ich mit meinen energischen Zeilen auf dem Holzweg bin, lass ich mich von euch gern belehren!
euer Punkt.
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Kommentare
KommentierenTagesschau? Ehrlich??
Ach Herr Punkt, ich bin ja ein stiller Beobachter der Blog-Schlacht und erfreue mich regelmäßig an den Überlegungen zum Urnengang. Die Tagesschau bringt mich jetzt aber doch mal dazu einen kleinen Kommentar zu verfassen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich gegen jedeweden angeordneten Informationszwang bin, wünsche ich mir doch in Zukunft ein paar reaktionärere Vorschläge. Wie wäre eine Abstimmung mit den Füßen, bei schwierigen Themen auch mal barfuß? Oder wir kommulieren alle likes und dislikes auf facebook und den anderen nicht minder tollen social networks. Wir könnten auch feste Termine auf öffentlichen Plätzen abmachen und jeder hebt die Hand oder kratzt sich an der Nase als Zeichen der Zustimmung. Ich bin für jede weitere Idee dankbar. Vielleicht gibt es ja tatsächlich bessere Varianten als Kreuzchen malen. Es muss nur mal jemand die richtige vorschlagen...
Was meinen Sie?
Liebe Lily,
dass Ihnen eine Informations-Pflicht, zumal in Zeiten einer viel kritisierten Bevormundungskampagne der Gründen, missfällt, kann ich durchaus nachvollziehen. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass sich zu wenig politisch informiert wird. Wen man da wählt, ob Tagesschau, Heute Journal, Lokalpresse oder sonst irgendein Medium, ist mir weitestgehend egal. Und ich zwinge ja auch niemanden und bin sowieso nicht in der Position solch Zwang anzuordnen.
Vielleicht könnten Sie mir aber ein bisschen erklären, was Sie mit anderen Abstimmungsformen bezwecken wollen?
Liebe Grüße aus Hoi An,
ihr Punkt.
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