Einzeltäter, die sich als Teil einer Bewegung verstehen, als politische Soldaten: Die Anschläge von Köln und Trollhättan in Schweden zeigen den Vernichtungswillen sowie die Brutalität des Rechtsterrorismus. Die Attentäter wähnen sich in einer Art völkischen Dschihad.
Taten statt Worte - so fasste die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ihre Strategie zusammen. Der Rechtsterrorismus kommt ohne Bekennerschreiben aus - die Tat ist seine Botschaft; dies gilt für den Anschlag in Köln und auch für den rassistischen Anschlag auf eine Schule in Schweden, bei dem in der vergangenen Woche drei Menschen starben.
Die Vorarbeit für solche Taten wurde in sozialen Netzwerken geleistet - wo die Feinde in tausendfach wiederholten und geteilten Hassbotschaften definiert, dämonisiert und schließlich entmenschlicht werden. Für einige Hetzer kommt dann irgendwann der Entschluss, tatsächlich auch zu handeln - so für die Täter von Köln und auch von Trollhättan in Schweden.
Einzeltäter, aber nicht allein
In Nahost ist derzeit ein ähnliches Phänomen zu beobachten: Junge Palästinenser attackieren mit Messern und Autos Israelis, die zumeist durch religiöse Zeichen als Juden zu erkennen sind. Auch hier spielen soziale Netzwerke bei der Radikalisierung eine entscheidende Rolle.
Diese zumeist unorganisierten und spontan agierenden Attentäter werden einsame Wölfe genannt, Einzeltäter, die zwar allein zuschlagen, sich aber als Teil einer Bewegung verstehen - und die einer größeren Sache dienen wollen. In Nahost ist diese größere Erzählung derzeit die Legende, die Juden wollten die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zerstören. In Europa ist es die Schreckensvision einer "Islamisierung des Abendlandes", die offenbar nicht wenige Menschen anspricht und bei ihnen eine emotionale und persönliche Betroffenheit auslöst. Denn dies ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen sich für ein Thema wirklich interessieren.
Wie viele einsame Wölfe gibt es?
Wie viele einsame Wölfe werden den Attentätern von Köln und Trollhättan noch folgen? Verbal wird längst aufgerüstet; ein Leser beschrieb mir vor wenigen Tagen auf publikative.org seine Fantasien für einen Bürgerkrieg. Unter dem Pseudonym "Linke nach Guantanamo" kommentierte er:
"Die Merkel-Regime treuen Linksfaschisten Grokodil-Reiter/Merkel-Jugend sind geistig und körperlich zu schwach um selbständig denkenden Leuten gegenüber zu treten. Die Merkel-Kollaborateure d.h ISIS-Fetischisten-GutmenschInnen und Lügenpressehetzer werden es bald merken [...] Sollte es dann zu einem Reichstagsbrand 2 kommen mit brennenden und explodierenden Lügenpressehäusern, dann ist das alles auf die Rückgradlosigkeit, linientreuen Regimearschkriecherei und political correctness zurückzuführen."
Ein "Pegida"-Anhänger aus Sachsen-Anhalt machte sich vergangene Woche nicht einmal die Mühe, seine Fax-Nummer zu verstecken und drohte der "Lügenpresse" und den "Volksverrätern" in einem handgeschriebenen Brief ebenfalls den Krieg an: "Ihr wollt Krieg - Ihr werdet ihn bekommen".
Das tun, was man anderen vorwirft
Interessanterweise tun die selbsterklärten Retter des "Abendlandes" genau das, was sie ihren Feinden vorwerfen: Sie versuchen die Meinungsfreiheit einzuschränken (Drohungen gegen Andersdenkende und Angriffe auf Journalisten), sie hetzen gegen freiheitliche Werte (Religionsfreiheit, Ehe für alle) und greifen ausgerechnet die an, die angeblich Opfer von gewalttätigen Einwanderern werden: In Köln attackierte der 44-jährige Attentäter eine Frau, in Schweden stach der Angreifer in einer Schule, in der viele Geflüchtete lernen, auf Kinder ein.
Der Wissenschaftler Klaus Theweleit analysiert in seinem Buch “Das Lachen der Täter: Breivik u.a.” die Glorifizierung von Gewalt, wie sie auch in den oben zitierten Kommentaren zu erkennen ist. Er beschreibt, wie vor allem bei jungen Männern, die selbst Bedrohungserfahrungen gemacht haben, Gewalt zum Lustersatz werden kann. Das innere Spannungsgefühl wird dann nur durch die Ausübung von Gewalt gegen Andere oder Töten aufgelöst. Ideologie spielte in diesen Fällen keine entscheidende Rolle. Es sei vielmehr ein Reflex gegen alles, was als weiblich angesehen wird.
Der soldatische Mann (zugespitzt “der Faschist”) sei deshalb das, was sich Rechtsterroristen unter einem richtigen Mann vorstellen, schreibt Theweleit: Dieser gucke nicht zu, sondern sei aktiv. “Er richtet die Welt zu; so wie sie nach seinen Vorstellungen zugerichtet gehört.”
"Werde unsterblich"
Wie deutsche Rechtsextreme das Land gerne zurichten würden, lässt sich leicht herausfinden: Auf T-Shirts von Neonazis stehen Parolen wie "Vernichtet den Feind" oder "Gegen Demokraten - helfen nur Granaten"; "Pegida"-Anhänger reservieren Galgen für Politiker und drohen offen mit einem Krieg. Endzeitszenarien, wonach Deutschland bald der "Volkstod" drohe, erhöhen den Handlungsdruck in einer Bewegung, in der eine explosive Mischung aus Männlichkeitskult und Minderwertigkeitskomplexen, Waffenfetisch und Weltherrschaftsträumen ohnehin prägend sind.
"Werde unsterblich" propagierten Neonazi-Gruppen auch in Brandenburg. Mit Fackeln zogen sie unangemeldet durch Kleinstädte und produzierten martialische Propaganda-Videos ihrer surrealen Aufmärsche. Die selbst ernannten "politischen Soldaten" sehen sich in einer geradezu religiösen Mission: Der Einzelne zählt nichts, das völkische Kollektiv alles. Unsterblich wird, wer sein Leben gibt für den Kampf: Sie zelebrieren Erlösungsideologien gepaart mit religiösem Fanatismus - eine Art völkischen Dschihad.
Patrick Gensing ist Blogger, Journalist und Nachrichtenredakteur. Für die Netzinitiative publikative.org – eine Seite, die zunächst als NPD-Watchblog bekannt wurde, wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er schreibt zu Fachthemen wie Antisemitismus, Medien, Rechtspopulismus und -extremismus.
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