Strukturwandel ist für die Lausitz nicht neu, sie ist darin erprobt. Ausharren ist sogar eine der größten Stärken der Bewohnerinnen und Bewohner. Das wollten wir genauer wissen und haben uns für eine Veranstaltung zwei tolle Gäste nach Potsdam geladen. Wie man Streit um Ressourcen vermeidet und die Zivilgesellschaft, also die Menschen vor Ort ans Telefon bekommt, steht in diesem Beitrag.
Vor kurzem hatten wir zwei sehr interessante Gäste zu einer Veranstaltung in unserem Haus geladen: Johannes Staemmler und Janine Herntier. Es ging um den Strukturwandel in der Lausitz. Unter dem Titel „Wir machen das schon“ hat Johannes Staemmler ein Buch herausgegeben und darin verschiedene Menschen in der Lausitz portraitiert.
Darunter auch Janine Herntier, die in Spremberg aufwuchs es nach dem Abitur verließ und später mit ihrer Familie dorthin zurückkehrte. Sie engagiert sich heute neben ihrer Arbeit in der Rückkehrerinitiative „Heeme fehlste!“ Johannes Staemmler leitet für das IASS in Potsdam ein Projekt, das den Strukturwandel in der Lausitz begleitet und verschiedenen Institutionen beratend zur Seite steht.
Wir drei sind alle Jahrgang 1982, sitzen an diesem Tag gemeinsam auf einem Podium und sprechen über Brandenburg. Wir haben alle Kinder im gleichen Alter, haben studiert, in den Ausbildungen und Jobs ähnliche Erfahrungen gemacht und sind auf verschiedenen Ebenen an der Entwicklung unseres Bundeslandes beteiligt. Ein Stück Heimat für uns alle.
Also reden wir. Darüber, ob es die Lausitz als solche eigentlich gibt. Also DIE Lausitz, die für alle die gleiche Gültigkeit hat. Die hat sie nämlich nicht. Sie wird durchaus unterschiedlich gesehen. Als Landschaft im Südosten Brandenburgs und Nordosten Sachsens, als Siedlungsgebiet der Sorben/Wenden, als touristisches Ausflugsziel und, klar, als Abbaugebiet der Braunkohle.
Das Wort Kohle fällt an unserem Gesprächsabend allerdings erstaunlich spät. Wenn ich nach Themen frage, die die beiden in ihrer Arbeit und ihrem Privatleben beschäftigen, fallen Stichwörter wie Bildung, medizinische Versorgung, Infrastruktur, Pendeln, Digitalisierung, das Spannungsverhältnis zwischen Stadt und Land, die nötige Unterstützung für Vereine, Initiativen und Ehrenämter. Die Kohle ist da ein Randthema. Das scheint auch der Lausitz-Monitor zu bestätigen. Nur 13 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner der Lausitz fühlen sich durch den Strukturwandel, den der Kohleausstieg mit sich bringt, direkt betroffen.
In der Lausitz sollen die Menschen mitentscheiden, wohin sich ihre Region entwickelt. Sie soll der Europäischen Union als Modellregion für Strukturwandel dienen.
Johannes Staemmler sieht das anders. Auf die Lausitz kommen viele Veränderungen zu. Die Wirtschaft wird sich breiter aufstellen. Es wird nicht das eine große Unternehmen geben, das die Struktur und vor allem die Landschaft bestimmt, sondern viele. Finanziert wird das durch das Strukturstärkungsgesetz des Bundes, das der Lausitz bis zum Kohleausstieg im Jahr 2038 Milliarden zusichert. Die Summe klingt viel, ist aber realistisch.
Es gibt viele Ideen und Projekte, die schon auf dem Tisch liegen und angeschoben werden. An der BTU in Cottbus soll ein medizinischer Bereich aufgebaut werden, in Spremberg ist ein Wasserstoffkraftwerk geplant, andere Großprojekte beschäftigen sich mit der Infrastruktur. Der Mittelstand, die Kultur, die Vereine werden nichts von diesem Geld sehen. Dafür ist es auch nicht gedacht. Johannes Staemmler bezeichnet es als „Betongeld“. Das heißt es wird gebaut, gebaut, gebaut.
Durch die kleinteiligere Wirtschaft und die Ansiedlung neuer Landes- und Bundesbehörden werden Arbeitsplätze geschaffen. Kommen die Menschen, zieht die Kultur oft nach. Die Lausitz ist ja auch nicht arm daran. Janine Herntier sieht, sogar ziemlich gute Chancen, eine gute Idee erfolgreich umzusetzen, da die große Konkurrenz fehlt und Projekte, Initiativen oder Geschäftsideen offener aufgenommen werden. Wichtig ist dabei reden, reden und noch einmal reden. Johannes Staemmler beschreibt das gut. Strukturwandel ist immer auch Streit. Um Verteilung, Sichtbarkeit, Mitwirkung, Ressourcen. Es ist eine Zeit für Aufbrüche und neue Vielfalt, die sich allein durch den Zuzug ergibt. Das birgt das Potential für Spannungen, aber auch für viele Chancen.
Da ist die Lausitz nicht allein. Die Vernetzung zwischen den Regionen ist gut. Rheinische Bürgermeister aus den dortigen Kohleregionen kommen regelmäßig zu Besuch, berichten von ihren Ideen, fragen nach anderen. Die meisten lassen sich schwer übertragen, weil es vor Ort doch immer wieder unterschiedliche Gegebenheiten gibt, die nicht einfach so übernommen werden können. Nicht jeder hat eine ehemalige Luftschiffhalle, die er zu einem tropischen Urlaubsparadies umfunktionieren kann. Aber darüber zu sprechen, wie man etwas gemacht hat, hilft ungemein.
Johannes Staemmler und Janine Herntier sind beide der festen Überzeugung, dass gelungener Wandel nur funktioniert, wenn die Zivilgesellschaft mitgenommen wird. Der gute Rat führt vor Ort manchmal zu Ausbrüchen wie:
„Wer ist diese Zivilgesellschaft, ich habe die Telefonnummer nicht, wen rufe ich da an?“
Die trockene Antwort darauf ist, dass eben 100 oder mehr Anrufe nötig sind, um in Kontakt zu treten. Über die Kommunen, die Vereine, die Ehrenamtlichen und die Initiativen, über verschiedene Veranstaltungsformate.
Beide sehen die größte Stärke in der Region im Ausharren. Strukturwandel ist für die Lausitz nicht neu, sie ist darin erprobt. „Wir machen das schon“ ist deshalb ein mehr als treffender Titel für das Buch. Beharrlichkeit ist auch strukturell wichtig. Nichts ist schlimmer, als dass angestoßene Projekte nicht weitergeführt werden. Sie müssen nicht alle erfolgreich sein, aber sie dürfen nicht einfach stehen bleiben.
Veränderungen führen immer auch zu Verunsicherungen. Das muss erklärt werden. Dafür bieten wir solche Veranstaltungen an und freuen uns jedes Mal wieder, dass wir so tolle Menschen in Brandenburg haben, die reden, etwas zu sagen haben und (sehr wichtig) auch zuhören.
„Wir machen das schon“ kann in unserem Buchshop bestellt werden.
Katrin Marx ist Publikationsreferentin in der Landeszentrale und empfindet das als absoluten Traumjob. So konnte sie ihre beruflichen Ziele: "irgendwas mit Menschen" und "auf jeden Fall irgendwas mit Büchern" perfekt vereinen. Sie liest sich tagsüber durch die neuesten Sachbücher, stöbert nach Feierabend durch alle Genre und liest abends gerne und laut aus Kinderbüchern vor.
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