Mythenbildung und Instrumentalisierung in rechtsextremen Szenen

Plakat des neonazistischen FREIEN WIDERSTAND.
Aufmerksam verfolgen rechtsextreme Szenen Themen, die in der bundesdeutschen Öffentlichkeit die Gemüter erhitzen. In der persönlichen Auseinandersetzung darf man daher originär rechtsextreme Standpunkte zu aktuellen Debatten erwarten.

Zuletzt waren das insbesondere antikapitalistische Positionen, etwa im Zuge der Proteste gegen Hartz IV, die Rechtsextremisten völkisch wendeten, und historische Themen zum Selbstverständnis der Bundesrepublik. Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung ihrer Überzeugungen spielen Demonstrationen.

"Deutsche Arbeitsplätze - zuerst für Deutsche!" titelte die rechtsextreme Wochenzeitung Deutsche Stimme des DVU-Chefs Gerhard Frey in Ausgabe Nr. 8 / 2005, in Ausgabe Nr. 11/ 2005 hieß es, "Milliarden-Aderlass durch arbeitslose Ausländer. Neuer Rekord: Siebenhunderttausend registriert", und später "Deutscher, wo bleibt Dein Geld? So viele Milliarden gehen an Ausländer" (Nr. 12 / 2005), "Warum für Deutsche kein Geld mehr da ist" (Nr. 14 / 2005), "Bald alle Deutschen arbeitslos? Die Invasion ausländischer Schwarzarbeiter" (Nr. 15 / 2005).

Dass der "ungezügelte Zuzug von Ausländern" schuld an den sozialen Problemen in der Bundesrepublik sei, ist ein lieb gewonnener Mythos von Rechtsextremisten jeglicher Couleur. Gelegentlich wird dieses Argumentationsmuster als "Ethnisierung der sozialen Frage" bezeichnet, womit die Behandlung wirtschaftlicher und sozialer Probleme nach ethnischen Kriterien gemeint ist.

Der Begriff "Ethnie" ist dem griechischen "éthnos" - "Volk, Volksstamm" bzw. seiner latinisierten Form "Ethnia" entlehnt. Er bezeichnet eine Gruppe, die sich auf (jeweils tatsächliche oder fiktive) gemeinsame Abstammung, Sprache, Geschichte, Religion, Kultur u. a. beziehen. Häufig wird heute "Ethnie" verwendet, um den Begriff "Rasse" zu vermeiden. Ihr kommt dann gleichsam eine Alibi-Funktion zu, denn in dem Maße, in dem sich "Ethnie" auf Fragen der Abstammung oder biologische Bedeutungen bezieht, verschleiert der Begriff nur wenig verholen rassistischen Diskurse.

Neben der Sündenbockfunktion, die in der Bundesrepublik lebende "Ausländer" dabei einnehmen, kommt in solchen Argumentationen dem "eigenen Volk", der "Volksgemeinschaft " zentrale Bedeutung zu: Sie gilt dem rechtsextremen Politikverständnis zugleich als Lösung aller Probleme sowie als Ziel jeglicher Politik. In einem "Aktionsprogramm" auf der Homepage der NPD heißt es:

Volksgemeinschaft statt multikulturellen Wahnsinns
Die Volksgemeinschaft wurde in der BRD zerstört. An ihre Stelle trat eine Ansammlung von Individuen mit egoistischen Zielen. Gemeinsame Werte wurden zerstört und die Gemeinsamkeit von Geschichte, Kultur und Abstammung wird durch bewußt herbeigeführten, fortgesetzten Ausländerzustrom vernichtet. [...] Jegliche Form der Gemeinschaft wird zerstört. [...] Um diese Entwicklung ‚unumkehrbar' zu machen, werden immer mehr Ausländer nach Deutschland geholt, [...]. [S.6]

Wer den Sozialstaat will, muß sich zur Volksgemeinschaft bekennen!
Nur der zu erweckende Gemeinschaftswille aller Deutschen wird die Probleme der Zukunft meistern können. Ein Sozialstaat ist ohne die Solidargemeinschaft eines Volkes nicht machbar. In einer multikulturellen Massengesellschaft gibt es nur Gruppen- und Einzelinteressen. Aus sozialer Gerechtigkeit und dem Solidarprinzip erwächst die ethnisch homogene Volksgemeinschaft. Sozialpolitik bedeutet nach unserer Auffassung die Solidarität des Volkes mit seinen Angehörigen. Sie muß die Geborgenheit des Einzelnen in der Gemeinschaft sichern. [S. 8]"

Obwohl es ansonsten schamlos von nationalsozialistischem Vokabular wie dem von der "Volksgemeinschaft" Gebrauch macht, spürt man dem NPD-Papier das Bemühen an, allzu offensichtlichen Rassismus zu vermeiden. Die Rede ist von dem "deutschen Volk" als einer "Kultur-" oder auch "Sprachgemeinschaft", wobei das zentrale Ausschlusskriterium freilich die Abstammung bleibt: Dazu gehört nicht, wer nach dem Gesetz Staatsbürger ist, sondern wer "deutsche Eltern" hat - oder, in anderen Worten: Personen mit Eltern, die außerhalb der Bundesrepublik geboren wurden, können mit noch so großem Erfolg am kulturellen, wirtschaftlichen oder politischen Leben in der Bundesrepublik teilhaben, sie werden dennoch nicht Teil der von der NPD herbeigeschriebenen "Volksgemeinschaft" sein. Ganz im Gegenteil stets nimmt man sie nur als Bedrohung wahr:

Für ein starkes Europa, das seine kulturelle Identität wahrt
[...] Die NPD fordert:
[...] Schaffung europäischer Institutionen zur Erhaltung der Identität der europäischen Völker - Ganz Europa ist von einer Welle der Einwanderung bedroht, die die biologischen Wurzeln unserer Kultur zu vernichten droht, ganz Europa ist von einer Zersetzung seiner Traditionen und Werte bedroht, die das Wesen Europas zerstören werden. [S. 39]

An dem Punkt, an dem Kultur an "biologische Wurzeln" und Voraussetzungen gebunden wird, kommt die Argumentation bei ihrem rassistischen Kern an. Die unterschiedlichen ökologischen und klimatischen Lebensbedingungen in den unterschiedlichen Regionen der Erde hätten auch zu unterschiedlichen Gewohnheiten der ansässigen Bevölkerungen geführt, die wiederum Eingang in das Erbgut gefunden hätten, so seien schließlich die menschlichen "Populationen" / "Rassen" entstanden - das jedenfalls behauptet rechtsextreme Argumentation. Daher seien die Bevölkerungen an die Regionen gebunden, aus denen sie ursprünglich stammen.

Einwanderung führe zu "genetischer Entartung", zur "Verunreinigung der menschlichen Ökosysteme", wie es im neurechten Sprachduktus heißt. Die Koppelung von "Kultur" und "Biologie" ist gänzlich widersinnig, meint Kultur im landläufigen wie wissenschaftlichen Sprachgebrauch doch gerade das "soziale Erbe", so ein Wörterbuch der Soziologie[1], also all jenes, das den Menschen über seine biologische Verfasstheit hinaus auszeichnet, "bestehend aus dem Wissen, den Glaubensvorstellungen, den Sitten und Gebräuchen und den Fertigkeiten, die ein Mitglied einer Gesellschaft übernimmt".

Die hier nur knapp skizzierten Konzepte vom "Ökosystem des Menschen" unterscheiden sich höchstens in ihrem modernen pseudo-wissenschaftlichen Vokabular von der nationalsozialistischen "Blut und Boden"-Ideologie. Unter dem Stichpunkt "Naturschutzpolitik" führt das bereits zitierte NPD-Aktionsprogramm aus:

Die Schaffung einer Wertestruktur innerhalb einer deutschen Volksgemeinschaft spiegelt sich in der Naturschutzpolitik, im Erwachen eines Bewußtseins der Deutschen für die Natur als ihren angestammten Lebensraum wieder. Alle Deutschen müssen sich wieder bewußt werden, daß sie gemeinsam für ihren Lebensraum die Verantwortung tragen und auch gegenüber kommenden Generationen eine Verpflichtung einhalten müssen, damit diese auch in Zukunft in der Lage sind, die Kultur der deutschen Volksgemeinschaft zu bewahren. [S. 43]

 

Jan Buschbom, Violence Prevention Network e. V., 2006

 


[1] Gerd Reinhold (Hrsg.): Soziologie-Lexikon. München / Wien[3 erw.] 1997, S. 375

 

 

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