Unter der SED-Führung verfolgte die DDR seit Mitte der 1950er Jahre ein ehrgeiziges Kernenergieprogramm, das auf sowjetische Technologie setzte. Prognosen aus der damaligen Zeit der weltweiten „Atomeuphorie“ veranschlagten bis Mitte der 1980er Jahre das Bereitstellen von 20.000 Megawatt Strom. Tatsächlich waren bis zum Ende der DDR weniger als 2.000 Megawatt Strom aus Kernenergie installiert. Andauernde wirtschaftliche, technische und organisatorische Schwierigkeiten verzögerten die großen Pläne.
Bei Rheinsberg im damaligen Bezirk Potsdam ging im Mai 1966 das erste industrielle Kernkraftwerk in Deutschland überhaupt ans Netz. Zwischen 1974 und 1979 folgte die Inbetriebnahme von vier Reaktoren bei Greifswald, geplant war ein Ausbau des Kernkraftwerkes Nord auf bis zu acht Reaktorblöcke. Das wäre das größte deutsche Kernkraftwerk gewesen, mit einem Viertel der gesamten Stromproduktion der DDR. Bis 1990 blieb das Kernkraftwerk Nord jedoch eine der teuersten und niemals fertiggestellten Baustellen. Die beiden nuklearen Anlagen prägten mit ihrer Arbeiterschaft und ihren Nachfolgeinvestitionen die Regionen Rheinsberg und Greifswald nachhaltig.
Bis Mitte der achtziger Jahre schien sich das Versprechen von einer „modernen und sauberen Kernenergie“ in der DDR einer hohen Akzeptanz zu erfreuen. Das galt nicht zuletzt angesichts der Umweltfolgen aus der Braunkohleverstromung. Naturzerstörung, Staub- und Schwefeldioxid-Belastungen gehörten auch im heutigen Land Brandenburg zur Alltags-Erfahrung. Zudem verhinderten die politischen Rahmenbedingungen in der SED-Diktatur das Entstehen einer kritischen gesellschaftlichen Debatte oder gar eine Anti-KKW-Bewegung wie in der Bundesrepublik. Die nukleare Katastrophe im sowjetischen Tschernobyl am 26. April 1986 war dann eine große Herausforderung für die DDR-Kernenergiewirtschaft.
In das Jahr 2016 fällt der doppelte Jahrestag der 50 jährigen Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Rheinsberg und 30 Jahre Tschernobyl. Aus diesem Anlass sollen anhand der Aktenüberlieferungen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen im ostdeutschen Staat in der Folge der nuklearen Havarie rekonstruiert werden. Vor dem Hintergrund des ambitionierten ostdeutschen Kernenergieprogramms wird der Beantwortung der Frage nachgegangen, welche politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen Tschernobyl für die DDR hatte.
Sie sind herzlich eingeladen. Wir würden uns freuen, wenn Sie auf die Veranstaltung hinweisen würden.
Auf einen Blick
Datum: 1. Juni 2016, 18 Uhr, Landeszentrale
Gast: Sebastian Stude, Historiker (BStU)
Ansprechpartnerin: Dr. Martina Weyrauch
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