Von der Provokation über die Verteidigung zur Aneignung

Hate Society, Hell’s Your Place, 1998
Darin, sich aktueller Moden und Vorlieben Jugendlicher zu bedienen, liegt einer der Gründe für die Erfolgsgeschichte des Rechtsrock. Wesensmerkmale von Jugendkulturen waren immer – in mehr oder minder starker Ausprägung – die rebellische Pose, Provokation und Ironie. In der Selbstwahrnehmung sehen Jugendliche sich häufig umgeben von einer Welt des Spießbürgertums, das ihnen Verbote und Regeln aufzwängen will.

Provokation dient daher der Selbstvergewisserung, „Ich bin anders als ihr“, und der Bestätigung des Vorurteils, „ihr seid tatsächlich so, wie ich dachte“. Da es um bestimmte Wirkungen geht, die der Jugendliche jeweils erreichen möchte, sind die Mittel meist beliebig. Im Zweifel kann er/sie sich darauf zurückziehen, dass alles nur ein Witz und nicht ernst gemeint sei.

Ist jedoch die Grenze überschritten, die in der Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen und Überzeugungen liegt, tritt häufig inhaltliche Auseinandersetzung und Identifikation ein. So beschrieb ein Punk der ersten Stunde die Wirkung des Hakenkreuzes auf ihn:

Zuerst trug ich [Nazi-Symbole] im Juli 76 in Form eines Eisernen Kreuzes um meinen Hals, weil es so gut aussah und weil es Empörung verursachte und die Leute wirklich gut schockierte. [...] Ich hörte auf, es zu tragen, als ich merkte, dass ich mich mehr für die Pro-Nazi-Argumente interessierte als mir lieb war. Ich hörte auf, sie alle zu tragen in der Zeit, als ich das Hakenkreuz um den Hals hatte, im Januar [77]. [...]
Wie ich bereits sagte, wurde mir klar, dass die widerlichen Züge des Nazi-Regimes begannen [...], mich zu interessieren, weil ich Stellung bezog zu den Beschimpfungen der Leute über das Nazi-Zeug. Weißt du, die Leute sagen, 'dummer Judenhasser', und ich verteidige den Mord an Juden.[1]
Quelle: www.punk77.co.uk/groups/sabinmyreply.htm


Je ablehnender die Umwelt, desto wichtiger ist die Gruppe

Die Zillertaler Türkenjäger: 12 deutsche Stimmungshits. Clockwork Records 1997
Deutlich tritt in diesem Erfahrungsbericht der Mechanismus zutage, der über die Verwendung von Nazisymbolen aus purer Lust an der Provokation zu einer Verteidigungshaltung führt (die durchaus beabsichtigt ist, wo schockiert werden soll) und schließlich zur Aneignung von rechtsextremen Argumenten.

Daneben wird ein weiterer Effekt wirksam: Denn je ablehnender die Reaktionen der Umwelt sind, desto wichtiger gestaltet sich der Bezug zu Gleichgesinnten. In der Gruppe findet der Neonazi Geborgenheit und in der Gruppe setzt er sich einer Dynamik aus, die ihn zwingt, sich immer wieder zu beweisen:

Gruppenöffentlich abgegebene Versprechen müssen ja eingelöst, den Attitüden Handlungen nachgeliefert werden. Die Inszenierung der abweichenden Identität erfordert den tatkräftigen Nachweis, um vor sich und den Kameraden glaubhaft zu sein. Gelegentliche Ausbrüche, Provokationen und Mutproben (z. B. ‚Sieg-Heil’-Rufe) festigen die innere Haltung.
Quelle: Rainer Erb: Attraktivität und Dynamik rechter Jugendcliquen (in: Journal der Jugendkulturen Nr. 5. Bad Tölz 2001, S. 38f.), S. 39.

Bei der vom Berliner Rechtsextremismusforscher Rainer Erb hier beschriebenen „Inszenierung der abweichenden Identität“ spielt Rechtsrock eine herausragende Rolle: Über ihn werden gemeinsame Feindbilder beschworen, und die Texte bemühen wie im Ritual die immergleichen Legenden, Mythen und Themen. So dient der Rechtsrock nach innen der Selbstversicherung von Gemeinsamkeiten und Kameradschaft sowie der Einschwörung auf eine Ideologie, die ihrerseits nach außen Abgrenzung und Feindbilder bedarf.


Wie keine andere Jugendkultur bedarf der Rechtrock seiner Feindbilder

Wie in keiner anderen Jugendkultur handeln die Texte des Rechtsrock von seinen Feinden: der Staat und seine „Büttel“, Linke und Ausländer, der „Kapitalist“ und „Jude“. Auffallend ist, wie wenig Lösungen der Rechtsrocker für die von ihm ausgemachten Probleme anbieten kann.

Wo doch einmal positiv Bezug genommen wird, dort meist auf die Vergangenheit: der „germanische Kämpfer“ und seine kriegerischen Götter, die nationalsozialistischen „Heldenfiguren“, Adolf Hitler oder Rudolf Heß, sowie der unbekannte Wehrmachtsoldat. Sie alle einigt in der Darstellung des Rechtsrock v. a. das eine: ihre Charakterisierung als Krieger und ihre Bereitschaft zu gewaltsamen Lösungen.

Es sind die einfachsten Parolen, die dominieren, dumpfer Ausländerhass, der bei den rechtsextremen Hörern für Heiterkeit sorgen soll:

Neulich die Bombe in Oberwart, hat vier Zigeuner auf einmal umgebracht.[2] / Ich wär’ um ein Haar mitkrepiert, ich hätt’ mich nämlich beinah totgelacht. / Ich fahr’ im Urlaub an die Ostsee, mein Nachbar, der macht Sexurlaub in Kenia. Ich komm zurück mit nem Sonnenbrand, er kommt zurück mit Ebola.[3]
Ich weiß, dass ist gemein, pervers und abgrundtief schlecht. Aber auch irgendwie geil und irgendwo gerecht.
Landser: In den Bergen von Ruanda. Deutsche Wut / Rock gegen oben. 1998

Um den Aha-Effekt solcher Parolen der dumpfesten Machart noch zu steigern, bedienen sich viele Rechtsrocker einer einfachen, aber wirkungsvollen Methode, indem sie beliebte Songs aus Schlager und Popmusik umdichten und neu interpretieren. Die Band Volkszorn singt beispielsweise auf ihrer aktuellen CD „Der ewige Jude“ zur Melodie von Nenas „99 Luftballons“ folgende Zeilen:

Die jüdischen Kriegsminister / Streichholz und Benzinkanister / hielten euch für schlaue Leute witterten immer fette Beute / riefen Krieg und wollten Macht / man, wer hätte das gedacht, / dass es mal soweit kommt, /wegen 99 Judenschweinen
Volkszorn. 99 Judenschweine. Der ewige Jude. Micetrap Records 2004
 

Die technische Entwicklung begünstigte den Aufstieg des Rechtsrock

Volkszorn: Der ewige Jude. Micetrap Records 2004
Ein weiterer Grund für die explosionsartige Entwicklung des Rechtsrock Anfang / Mitte der 90er Jahre findet sich in den technischen Möglichkeiten des Internets, das sich etwa zu dieser Zeit durchzusetzen begann.

War man in den 80er Jahren noch darauf angewiesen, einen der seltenen Rechtsrock-Händler in der Nähe zu haben, wollte man damals Rechtsrock hören, war es nun ein Leichtes, Kopien, auch illegale, herzustellen und über mp3-Listen, Newsgroups und Tauschbörsen zu verbreiten.

Damit entfiel zugleich die Hemmschwelle, die vordem noch geherrscht hatte, den Laden, der Nazidevotionalien und -musik verkauft, auch persönlich zu betreten.

Wie kein anderes Medium zuvor ermöglichte es das Internet Versandhändlern, ihre Kataloge einer weltweiten Kundschaft vorzustellen, und den Kunden, ihre Bestellungen in – scheinbar – größt möglicher Anonymität aufzugeben. Händler wie der Wikinger Versand, der V7 Versand oder Rock Nord, die ihren Geschäftssitz in der Bundesrepublik haben, sind selbstverständlich an die bundesdeutschen Gesetze gebunden. Das betrifft insbesondere die Einschränkungen des Strafgesetzbuches, etwa § 86a StGB: Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen oder § 130 StGB: Volksverhetzung. Jedoch ist es für interessierte Kunden ein leichtes in der Bundesrepublik strafbares Material bei Händlern mit ausländischem Geschäftssitz, beispielsweise Panzerfaust Records oder Micetrap Records, über das WWW zu beziehen.

Mittlerweile lässt sich eine Stagnation auf hohem Niveau beobachten: 2001 wurden laut Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Deutschland insgesamt 41 Rechtsrock-CDs produziert, 2000 waren es 57 und 1999 77 Titel. Weil die Qualitätsansprüche der Hörer gestiegen sind, stiegen damit auch die Kosten für CD-Produktionen, zugleich schädigen die Möglichkeiten, illegale Raubkopien auf einfachste Art zu erstellen und zu verbreiten, die wirtschaftlichen Interessen der Verlage und Händler.

In 2002 ging die Zahl an CDs mit strafbaren Inhalten zurück, was das Bundesamt für Verfassungsschutz auf gestiegene Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden zurückführt. Parallel dazu wurden 2002 mehr Konzerte als im Vorjahr veranstaltet, und die Zahl der Rechtsrock-Händler stieg von 40 in 2001 auf 50 2002, auch das ist Indiz dafür, dass der Markt für Rechtsrock sich zwar strukturell verändert, nicht aber kleiner geworden ist, wie man angesichts des Rückgangs an CD-Produktionen vermuten könnte. In 2004 fanden laut Angaben des Bundesdamtes für Verfassungsschutz 137 "rechtsextreme Skinhead-Konzerte" statt (gegenüber 119 in 2003), die die Zahl der aktiven Bands stieg von 95 in 2003 auf 106 in 2004, und mitlerweile bringen nach den Angaben der Verfassungsschützer rund 60 Versandhändler ihre rechtsextreme Ware an den Mann.

In Zukunft stehen weitere Veränderungen auf der Tagesordnung. Auf Internet-Foren wie dem des Freien Widerstands wird längst über Propaganda mittels deutschsprachigem HipHop nachgedacht, und in den USA treten neonazistische Techno-DJs in Erscheinung, etwa die Gruppe um DJ 88.[4] In für Skinheads der ersten Stunde ausgesprochen ungewohntem Sound veröffentlichen sie Tracks mit Titeln wie „Ammunition“ („Munition“), „Monkeyz“ („Affen“) oder „Masterrace“ („Herrenrasse“).

Zwar hatte es bereits vorher Versuche gegeben, Techno mit neonazistischen Inhalten zu verbreiten, doch war das wie bei DJ Adolf zu stümperhaft, um ernst genommen zu werden. Bei DJ 88 ist das anders: Hier tanzt der partysüchtige Neonazi zu modernen Beats und der Parole, „Always the Masterrace“ – „Immer die Herrenrasse“. Damit schließt sich der Kreis: Nichts ist schlecht genug, um nicht die Keimzelle für Entwicklungen in sich zu tragen, die szenetauglich werden könnten. Ob es bei den Technokids tatsächlich einschlägt und Nachahmer findet, bleibt abzuwarten.

Jan Buschbom / Violence Prevention Network e. V.
2005

 


 

[1] Original in Englisch: "I first started wearing it in the form of an iron cross around my neck back in Juli '76 because it looked so good and also it caused outrage and shocked people really well. I stopped wearing it when I realized I was becoming more interested in the pro-nazi implications than I wanted to. I stopped wearing them altogether, at the time it was a swastika around my neck, in January. [...] As I said, I realized the disgusting side of the nazi regime [...] was starting to interest me, because I was starting to stand up for the insults people made about the nazi stuff, you know, people would say 'Fucking Jew hater' and I'd stick up for Jew killing."

[2] Gemeint ist das heimtückische Sprengstoffattentat im österreichischen Oberwart am 4. Februar 1995.

[3] Gemeint ist die tödliche verlaufende Infektion Ebola.

[4] Die Zahl „Acht“ steht für den achten Buchstaben im Alphabet: „88“ – „HH“. Damit gemeint ist der sog. „Deutsche Gruß“, „Heil Hitler“, dessen Verwendung nach § 86a StGB in der Bundesrepublik strafbar ist.

 

 

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