Gewalt, Strafe und Rechtsstaatlichkeit in rechtsextremen Weltanschauungen
1927 wurden Oberleutnant Paul Schulz und Erich Klapproth wegen Anstiftung zum Mord und wegen Mordes zum Tode verurteilt. Schulz, einer der Organisatoren der so genannten „schwarzen Reichswehr“, also illegaler militärischer Verbände nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg, hatte selbstherrlich Todesurteile gegen vermeintliche „Verräter“ ausgesprochen und von Klapproth aufs Grausamste in die Tat umsetzen lassen.
Ein Jahr nach diesem Urteil erschien der Sammelband „Wir klagen an! Nationalisten in den Kerkern der Bourgeoisie“.* Darin findet sich ein Beitrag von Joseph Goebbels mit dem Titel „Zuchthaus Deutschland“*, in dem der spätere Propagandaminister in einer seltsamen Mischung aus Larmoyanz und Paranoia „dem Gegner“ einerseits vorwirft, schwach und feige zu sein, andererseits sich beklagt, „dass man aus dem gesamten Vaterland für uns alle ein gepferchtes Zuchthaus gemacht hat“.* Deutschland sei eine „Kolonie des Weltkapitals“ geworden, und so nehme es auch nicht Wunder, dass man seine Helden verschwinden lasse. Ihnen werde im „eigenen Vaterland [nachgestellt] wie gehetztem Wild“. Unter konkreter Bezugnahme auf den Fall Schulz / Klapproth schreibt Goebbels:
„In keinem anderen Lande der Welt wäre es möglich, dass vor den Gerichten des Volkes wochenlang und coram publico Landesverrat von Amts wegen betrieben würde, ohne dass man diese Richter und ihre politischen Hintermänner zu Brei zertrampelte. Denn darum geht es: Man sagt Fememörder und meint Soldaten. Das Heer soll getroffen werden, der Wehrgedanke, der Wille zur Macht – wie er noch in den letzten deutschen Soldaten lebendig wirkt. Die Schulz und die Klapproth sind Symbole jenes soldatischen Geistes, der zuletzt und grundsätzlich das neue Deutschland hassen muss, weil es die Selbstaufgabe zum herrschenden Staatsprinzip erhob; der deshalb aber auch von ihm verfolgt und langsam und feige vernichtet werden muss. [...]
Zuchthaus Deutschland: das ist das Ende. Ein zerbrochenes Volk, das selbst seine eigenen Ketten schmiedet. Die Helden sterben, damit die Schieber in Ruhe leben können. [...]
Im Zuchthaus verhandelt man nicht: man bricht aus. Da ist jedes Mittel recht, das zum Ziel führt. Die Tragödie Schulz ist unsere Tragödie, die Tragödie der deutschen Jugend, die im Anbruch ist.
Es wird an uns liegen, ob wir den Segen einer neuen geschichtlichen Sendung noch einmal auf unsere Häupter herniederzwingen. Wenn Millionen Fäuste nicht aufhören werden zu schlagen und zu fordern, dann fallen Mauern und Gitterstäbe, hinter denen die Repräsentanten einer neuen Jugend, heute mit Schmach bedeckt, verkommen und verderben. Zwingen wir diesen Tag! Er wird von uns für ein anderes Vaterland erstritten.“*
Paul Schulz wurde am 26. März 1927 zum Tode verurteilt, im Februar 1928 wurde er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe begnadigt, dieses Urteil wiederum wurde im Juni zu 7 1/2 Jahren Haft umgewandelt. Ende 1928 wurde er aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen, und am 20. Oktober 1929 schließlich amnestierte man ihn. Nach der Amnestie berief Hitler ihn in die Reichsleitung der NSDAP, 1931 wurde er oberster SA-Führer-Ost in Berlin. Zusammen mit seinem Vorgesetzten, dem „revolutionären Nationalsozialisten“ Otto Strasser, schied Schulz 1932 aus der Partei aus. 1934 entging der Fememörder Schulz nur knapp seiner Ermordung während des sog. „Röhm-Putsches“, er floh ins Ausland und kehrte nach dem Krieg in die Bundesrepublik zurück, wo er bis zu seinem Tod 1960 einen beschaulichen Lebensabend verbrachte.
Goebbels spricht in seinem Text davon, dass die herrschende „Clique“ sich an „jüdische Großschieber“ verkauft hätte, sich freiwillig unter ein „Gelddiktat“ begeben hätte. Es seien „Interessenverbände“, die alles einem „Verdienststandpunkt“ unterordnen würden. Weitere Vokabeln, die er verwendet, lauten: „Verwesung“, „opportunistischer Geschäftssinn“, „Nützlichkeitspolitiker“, „apodiktische Ordonnanz der Liga für Menschenrechte“, „Bürger und Bürgertum“ und „Überredungsapparat der Gelddemokratie“. Er sagt „Büttel und Fronherren dieser Verlustklasse“ und meint damit die Beamten und Angestellten des Staates.
Die so von ihm beschriebene Weimarer Republik nennt Goebbels schlicht „Novemberdeutschland“ und spielt damit auf den 11. November 1918 an, als im Wald von Compiègne in einem Eisenbahnwaggon der Waffenstillstand mit den Alliierten unterzeichnet wurde. An diesem 11. Novembers 1918 geschah um 5:00 Uhr morgens in den Augen des Nationalsozialisten Goebbels die Ursünde, der alles andere folgte. Den Waffenstillstand von Compiègne nicht anzuerkennen, ermöglichte es den Rechtsextremisten jener Tage, sich selbst als Soldaten in einem unbefriedeten Land zu wähnen.
Im Namen dieses Soldatentums und im Namen dieses Kampfes gegen ein angeblich dem sog. „deutschen Wesen“ fremdes Staatswesen begingen sie grausamste Verbrechen. Die Selbstbeschreibung als „Soldat“ verhindert jedes Unrechtbewusstsein für die begangenen Taten. So rechtfertigte sich der SA-Mann Otto Stucken, der für Beihilfe an den von Schulz und Klapproth begangenen Fememorden einsaß, mit den Worten, sie, die Inhaftierten, „[kennen] nur das Wohl ihres Vaterlandes [...] und [waren] nur Soldat [sic!]“.*
Auf der Internet-Homepage 8-mai.de, die vom Bundesvorstand der Jungen Nationaldemokraten betrieben wird, liest man von „Befreiungslüge“ und „60 Jahre Befreiungslügen-Strategie“. Die Rede ist von „einer kleinen Minderheit [...], welche aus dem Schuldkult gegenüber der deutschen Nation ihre Milliardenzahlungen zieht.“
Außerdem von „Systemparteien und deren gleichgeschaltete[r] Lizenzpresse.“ Von der „Kaste der politischen Versager in Berlin“, von „Schuldkult“ und einer „antideutschen, zukunftsvernichtenden Politik“.* Mit der „Schuldkult-Strategie“ halten die Alliierten, insbesondere die USA und die jüdischen Überlebenden der Shoa, so die Argumentation, das deutsche Volk seit über 60 Jahren in kollektiver Schuldknechtschaft, moralisch wie finanziell.
„Nach der Entmündigung der Deutschen übernehmen die Besatzer den Wiederaufbau des Staates nach ihren Plänen. Nur wer sich dem Willen der Besatzer beugt, erhält die Lizenz zum öffentlichen Auftritt. Parteien werden gegründet, Wahlen werden abgehalten und Deutsche dürfen sich im Gefängnis nützlich machen und bei der Bewachung helfen.“*
Nicht zufällig taucht in diesem Text das Gefängnis auf, als einziger Ort, an dem sich Deutsche noch nützlich machen könnten. Denn damals wie heute gilt, wer sich in einer Gesellschaft wähnt, die vom Feind besetzt gehalten und benutzt wird, um das „Volk“ moralisch in Unmündigkeit und finanziell in Schuldknechtschaft zu halten, der bedarf des Popanz’ von der politischen Justiz, die die wenigen „Aufrechten“ und „volkstreuen Mitglieder der Volksgemeinschaft“, wie es im Jargon heißt, so gnaden- wie grundlos verfolgt.
Als POW’s, als Prisoners of War, als Kriegsgefangene also bezeichnen sich rechtsextreme Straftäter heute oft. Sie sehen sich nicht nur als politische Gefangene, sondern vielmehr, wie es die Bezeichnung vortrefflich illustriert, als Soldaten im Krieg gegen das System. Wie bereits Goebbels Text und der Fall Schulz / Klapproth zeigen, geht damit nicht nur die nachhaltige Radikalisierung einher, sondern auch Verrohung und Uneinsichtigkeit selbst bei schwersten Gewaltstraftaten.
Im Song „Tag der Rache“ heißt es:
„Holocaust-Mahnmal und Zwangsarbeiter-Fonds. Wann hat das ein Ende, ich hab genug davon. Ihr feilscht um Milliarden, nur das Geld ist interessant. Das Versailler-Diktat ist uns nicht unbekannt.
Ich scheiße auf euch und euer System, eure neue Weltordnung wird untergehen. Es nützt euch kein Gejammer und kein Geschrei. Eure Worte von Freiheit sind eh nur Heuchelei. Der Tag der Rache, der Gerechtigkeit. Unsere Feinde vernichtet, bald ist es soweit. Der Tag der Rache, ihr werdet schon sehen, eure New World Order wird untergehen. Wird untergehn!“*
Und in „Sänger in Ketten“ hat der ehemalige Landser-Sänger Michael Regener – zur Melodie des gleichnamigen Schlagers von Udo Jürgens – einen Gastauftritt. Der Song wurde eingespielt kurz vor Regeners Haftantritt, zu dem er nach § 129 StGB verurteilt worden war: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Hier hört man:
„Ganze Völker könnt ihr knechten, unterdrücken und entrechten und dem Freiheitsdrang den Weg der Flucht verbauen. Immer werden Idealisten wagemutig gleich Artisten sich aufs dünne Hochseil ihrer Hoffnung trauen. Die stärkste Kette ist nichts dagegen, sie ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Ihr könnt den Sänger in Ketten legen, aber niemals sein Lied.“*
Und schließlich heißt es in dem Song „Am Ende steht der Sieg“:
„Sie lügen und betrügen, verachten unsere Soldaten. Sie hetzen gegen uns und verhöhnen unsere Ahnen. Doch wir kämpfen weiter bis wir siegen, denn: "Klagt nicht, kämpft!" steht es geschrieben. Sei wahr, sei stark, sei bewusst deines Blutes. Sei Feind deiner Feinde und stolz deines Mutes.
Wir geben niemals auf, die Zukunft nimmt ihren Lauf. Mit dem System stehen wir im Krieg und am Ende steht der Sieg. Wir geben niemals auf, die Zukunft nimmt ihren Lauf. Mit dem System stehen wir im Krieg und am Ende steht der Sieg.“*
Ich zitiere diese Texte auch deswegen so ausführlich, um deutlich zu machen, dass solche Phrasen vom eigenen „Soldatentum“ einerseits und andrerseits vom „verfolgenden Unrechtssystem“ nicht nur in vergleichsweise kleinen Grüppchen mit ausgeformten neonazistischen Weltbildern anzutreffen sind. Vielmehr sind diese Ideologeme, und sei es noch so fragmentiert, längst Bestandteil der rechtsextremen Jugendkultur. Sie sind in dem Maße unter Jugendlichen zu hören, wie rechtsextreme Jugendkultur Bestandteil der Alltagskultur Jugendlicher ist.
Jan Buschbom / Violence Prevention Network e. V.
Erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten am „Runden Tisch gegen Rechts“ des Landes Sachsen-Anhalt am 21.06.07.
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