Peter Ensikat zum demografischen Wandel

Ausstellungseröffnung "Trau keinem über 60!" am 28.06.2011

Von uns Alten verlangen heute die Jungen ein sozial verträgliches Ableben. Und was tun wir? Wir bestehen auf Herzschrittmachern und künstlichen Hüftgelenken. Die Politik ist machtlos. Sie weiß zwar, der Jugend gehört die Zukunft, aber uns Rentnern gehören zwanzig Millionen Wählerstimmen. Peter Ensikat wünscht viel Spaß beim Betrachten der ausgestellten Karikaturen, denn heute können sie vielleicht noch darüber lachen. Morgen könnte es zu spät sein.     
 

Peter Ensikat

Meine Damen und Herren, liebe Altersgenossen, liebe junge oder jung gebliebene Freunde aller Altersstufen!

Trau keinem über dreißig! Das haben bei uns die heute Sechzigjährigen vor vierzig Jahren gerufen. Ich war damals gerade dreißig geworden und wusste nicht so recht, zu wem ich gehöre. Mit siebzig weiß man es dann. Zu den wenigen Vorzügen des Alters gehören das schlechte Gedächtnis und die daraus erwachsenden schönen Erinnerungen an eine bessere Vergangenheit.

Wir Jungen von damals waren aus heutiger Sicht ja nicht nur wesentlich jünger als es die Jugend von heute ist, die schon müde wird vom langen Leben, das vor ihr liegt, wir hatten damals auch noch die richtigen Ideale. Selbst wenn wir die heute nicht mehr haben, lassen wir uns die Erinnerung daran nicht rauben.

Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben

Der Kernsatz aller Kritik an der Jugend lautet: „Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben.“ Zwar setzen die Alten theoretisch seit Jahrhunderten all ihre Hoffnung auf die Jugend, aber praktisch verzweifeln sie doch immer wieder an ihr. Schließlich hatten die Alten zu allen Zeiten die schwerere Kindheit und Jugend. Sie mussten sich noch alles selbst erarbeiten, was der jeweiligen Jugend von heute immer nur in den Schoß fällt.

Peter Ensikat

Peter Ensikat

Hat nicht auch unsere Generation in den letzten vierzig Jahren aus dem Nichts einen riesigen Schuldenberg aufgebaut, den wir nun einer undankbaren Jugend hinterlassen?

Mal ehrlich – wer von uns möchte heute noch mal zwanzig sein? „Ich war auch mal jung,“ ist sowieso ein Satz, den kaum ein Junger einem Alten jemals abnehmen wird.

Wer – außer uns Alten – kann sich heute noch vorstellen, dass Elvis mal Jugendkultur war und Maryline Monroe ein Sexsymbol? Udo Lindenberg allerdings scheint mir schon immer so alt gewesen zu sein, wie er heute aussieht.

Was für die Jugend von vorgestern die Schnitzeljagd war, war dann für die Achtundsechziger der Straßenkampf. Heute ist daraus die Schnäppchenjagd im Erlebniskaufhaus geworden.

Vom Steinewerfer zum pensionsberechtigten Glashausinsassen

Aber kein Grund zur Beunruhigung – wer nach Schnäppchen jagt, läuft wenigstens nicht Amok. Auch ein junger Joschka Fischer würde heute nicht mehr Steine werfen. Er würde Platten auflegen.

Aus dem Marsch durch die Institutionen wurde seinerzeit der Marsch an die Spitze dieser Institutionen – vom Steinewerfer zum pensionsberechtigten Glashausinsassen. So wurde zum Beispiel aus dem Trotzkisten und Straßenkämpfer Trittin ein Vorkämpfer des Dosenpfands, was einen klaren Fall von Altersweisheit darstellt!

Tucholsky hat mal gesagt:

„Wenn der Mensch nicht mehr hinten hoch kommt, wird er fromm und weise. Letzteres nennt man innere Einkehr.“

Der demografische Wandel hat dazu geführt, dass aus dem Klassenkampf vergangener Zeiten heute ein Kampf der Generationen geworden ist – Jugendwahn kämpft gegen Altersstarrsinn. Graue Panther fressen dem jungen Gemüse die Zukunft weg, und die Jungen weigern sich Nachwuchs zu zeugen, der ihnen mal die Rente zahlen könnte. Dass sich die Singles nach wie vor vermehren, ist zwar statistisch erwiesen. Aber wie sie das machen, scheint zumindest biologisch nicht recht erklärlich.

Peter Ensikat

Foto: Stefan Gloede

Von uns Alten verlangen heute die Jungen ein sozial verträgliches Ableben. Und was tun wir? Wir bestehen auf Herzschrittmachern und künstlichen Hüftgelenken.

Die Politik ist machtlos. Sie weiß zwar, der Jugend gehört die Zukunft, aber uns Rentnern gehören zwanzig Millionen Wählerstimmen.

Die CDU hat sechzehn goldene Jahre regiert getreu dem Grundsatz: Es gibt in der Bundesrepublik kein Problem, das man nicht durch Untätigkeit lösen könnte.Gerhard Schröder hat dann große Anstrengungen unternommen, Reformen in Gang zu bringen, die neue Probleme geschaffen haben, ohne eines der alten Probleme zu lösen.

War Kohl noch davon ausgegangen, dass es genüge, wenn die Reichen immer reicher werden, entdeckte Schröder, die andere Seite der Medaille, dass man nämlich im Gegenzug auch den Armen ermöglichen müsste, endlich auch ärmer zu werden. Angela Merkel hat sich dann durch entschlossenes Laufenlassen, das Vertrauen der Wirtschaft endgültig ersessen.

Die zu diesem Zweck erfundene Lehre von der Globalisierung zwingt Politik und Wirtschaft, irgendwann die Armutsgrenze in Deutschland auf den Stand von Bangladesh zu senken, weil Mercedes Benz andernfalls seine Luxusklasse Made in Bangladesh produzieren müsste.

Wer in einer gesunden Jugendarmut aufgewachsen ist, den kann auch keine Altersarmut mehr schrecken

Um die deutsche Wirtschaft nicht in das Elend der dritten Welt zu stürzen, mussten hier die Steuern für besser Verdienende immer mal wieder gesenkt werden. Dasselbe musste dann folgerichtig auch mit den Einkommen der schlechter Verdienenden geschehen. Denn je weniger der Arbeitnehmer heute verdient, desto weniger muss ihm ja später an Rente gezahlt werden. So entlasten die Niedriglöhne von heute die Rentenkassen von morgen. Je niedriger die Rente für den Einzelnen, desto sicherer ist sie für alle. Wer in einer gesunden Jugendarmut aufgewachsen ist, den kann auch keine Altersarmut mehr schrecken.

Angesichts der heutigen Lage, könnte man glatt denken, Gorbatschow habe damals den Widerstand gegen den Kapitalismus aufgegeben, weil er meinte, den Kräften des Marktes vertrauen zu können. Dass der Sozialismus nicht siegen würde, hatte er ja gerade noch rechtzeitig erkannt, also beschloss er, sich künftig heraus zu halten und es dem Kapitalismus selbst zu überlassen, sich seinen Untergang zu organisieren. Die Jüngeren unter uns haben durchaus die Chance, das noch zu erleben. Wir Älteren müssen uns damit trösten, wenigstens den einen  Systemuntergang erlebt zu haben. Man kann ja nicht alles haben, und die Jungen wollen schließlich auch noch was erleben.

Das bringt mich zum Schluss auf die schöne Geschichte von dem alten weisen Mann, der auf dem Spielplatz sitzt und die fröhlich spielenden Kinder beobachtet, um kopfschüttelnd festzustellen:

„Wenn man diese niedlichen kleinen Kinder sieht, kann man sich gar nicht erklären, woher diese vielen hässlichen Erwachsenen kommen.“

Mancher von Ihnen mag die hier ausgestellten Karikaturen von Barbara Henniger, Gerhard Glück, Nel, Thomas Plassmann und Erich Rauschenbach für übertrieben halten. Ich fürchte, unsere Realpolitiker werden ihnen und uns in absehbarer Zeit beweisen, dass alle Schwarzmalerei von heute schon morgen wie verharmlosende Schönfärberei aussehen wird. 

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Betrachten der hier ausgestellten Karikaturen, denn heute können sie vielleicht noch darüber lachen. Morgen könnte es zu spät sein.     


Peter Ensikat, Juni 2011

Schlagworte

Bewertung
3 Stimmen, Bewertungen im Durchschnitt: 5 von 5

Kommentare

Kommentieren

...wirklich eine ausgezeichnete Ausstellung zu einem schwierigen Thema... Gratulation zu den unterschiedlichen Strichen der Künstler und dem exzellent bissigen Peter Ensikat... die Karikatur, die kürzeste Form der politischen Bildung... die Landeszentrale lässt sich, wie gewohnt, von heiklen Themen nicht schrecken...

Neuen Kommentar hinzufügen

Eingeschränktes HTML

  • Erlaubte HTML-Tags: <a href hreflang> <em> <strong> <cite> <blockquote cite> <code> <ul type> <ol start type> <li> <dl> <dt> <dd> <h2 id> <h3 id> <h4 id> <h5 id> <h6 id>
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.