Wenig "FRIEDE" im Transit

Baumaschinen von TAKRAF, LKWs von IFA, die Staatsbahnen der UdSSR, das Armeemuseum in Potsdam - das war alles, was die DDR den Reisenden mitzuteilen hatte, die sie im Transit durchquerten.

Altlandsberg, 1985

Altlandsberg, 1985

Hatte sie keine gehaltvolleren Lesefrüchte für jene parat, die sich auf der mit streng kontrollierten 100km/h zu durchfahrenden immer endlos erscheinenden Strecke von Langeweile geplagt dahinquälten?

Es gab kaum andere um Aufmerksamkeit heischenden Aufschriften als diese durch minimale grafische Elemente aufgelockerten Produkthinweise, die an den Brücken über den Autobahnen angebracht waren.

Es bedeutete schon einen abwechslungsreichen Höhepunkt, wenn an der Elbe die legendären "Plaste und Elaste aus Schkopau" auftauchten. Der Schmunzelhöhepunkt war bei einer Talfahrt im Thüringischen erreicht, wo behauptet wurde, Mieder aus dem Vogtland "verschönern formend die Figur".

Ob dies der DDR-Wirklichkeit entsprach, blieb dem Transitreisenden unter den nicht sehr körpernah geschnittenen Kittelschürzen der Intershop-Verkäuferinnen verborgen.

Nein, die DDR, "erster Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden", das "sozialistische Deutschland" wollte sich jenen, die das "Territorium" bloß durchquerten und nicht bereisten, offensichtlich vorsätzlich nicht von ihrer typischsten Seite zeigen.

Dass dies ein Gemeinwesen war, in dem eine Partei gemäß der Verfassung Ton und Richtung angab, blieb merkwürdig diffus. Nur rund um den 1. Mai oder zum "Republikgeburtstag" war ansatzweise etwas davon zu merken. Dann wurden die vor sich hin rostenden, etwas dünn geratenen, meist im Dreier- oder Vierer-Kollektiv angeordneten Fahnenmasten neben den Intertank-Tankstellen mit vorwiegend rotem Tuch geschmückt, und zu ihren Füßen in holzschnittartigem Wort mit aufgesetzt wirkender Markigkeit vollbrachte und noch zu vollbringende Tat verkündet.

Es fällt schwer, sich diese Parolen ins dem Gedächtnis zurückzurufen - zu wenig sind sie je in dieses eingedrungen. Auch die Neugier auf das Ungewohnte, sogar Exotische, die den Reisenden vom DDR-Bürger unterschied, konnte das wie vorgestanzt wirkende Wortgetöse nicht recht zum Klingen bringen.

Was hier zu lesen war, konnte dem, der aus einem anderen politischen System kam, nichts sagen. Planerfüllung, Solidarität und Sozialismus waren ihm fremd - und das Wort "Friede" zu allgemein - und erst recht schwer mit dem Bild in Einklang zu bringen, das sich ihm bot.

Tessenow, 1986

Tessenow, 1986

Denn die DDR wirkte auf jemanden aus der Bundesrepublik und erst recht aus West-Berlin wesentlich militärischer, ja militaristischer als das Land, die Stadt, aus der er kam.

Wieviel uniformiertes Personal gab es doch, kaum dass die Grenze überschritten wurde. Erst Grenzpolizei und Grenztruppen noch und noch. Im Landesinneren dann Soldaten, Offiziere der NVA und nicht zuletzt die "Angehörigen" der Sowjettruppen. So lange der Reisende von Berlin(West) nach Hamburg über die Landstraße durch Nauen fahren mußte, nicht durchgehend die Autobahn befahren konnte, wie es nur in den allerletzten DDR-Jahren der Fall war, erlebte er diesen Kontrast von verbaler Friedensbeschwörung und realer Militärpräsenz auf unübersehbare Weise.

Auf dieser Strecke war er dem Leben in der DDR näher, begegnete den Propagandatransparenten, las das "Nein" zu Raketen und das "Ja" zum Frieden in mancherlei Gestalt - und passierte kilometerlang Panzerübungsgelände und Kasernen, hatte äußerste Vorsicht walten zu lassen, wenn er marschierende Soldatentrupps zu überholen hatte.

Deutsch, russisch, englisch verkündete an der F5 zur Hochzeit der Nachrüstungsdebatte ein "Nein- No - Njet" zu Raketen B und für den, der auch das nicht verstand, wurde noch die Bildersprache bemüht. Eine rot durchkreuzte Rakete internationalisierte den Wunsch nach "Entrüstung".

Mußte nicht in diesem Land jeder willkommen sein, der seine friedliche Gesinnung öffentlich zur Schau stellte? Jene Friedensbewegten aus der Bundesrepublik, die in den achtziger Jahren die DDR durchfuhren, fühlten sich eher als Fremdkörper. Ihre klapprigen VW-Busse, in denen sich die ganze WG zusammendrängte, waren bei der Grenzkontrolle mit ihren aufgemalten Friedenssymbolen und den sich auf blauem Sticker-Grund emporhebenden Tauben den "Grenzorganen" äußerst suspekt.

Auch wenn aus jeder Rostlücke dieser Fahrzeuge die friedliche Gesinnung der Insassen hervorquoll, waren die Kontrollen doch besonders scharf und zum Leidwesen der in der Warteschlange hinter ihnen Stehenden extrem langwierig. Unvergesslich auch die irritierten Gesichter 1984 an den "Grenzübergangsstellen" (GÜST), wenn sie ein Auto vor sich hatten, das vom Kirchentag in Hannover zurück nach Berlin fuhr.

Was waren das für Menschen, die sich da mit lila Tüchern um den Hals oder gar auf dem Kopf zu einer Welt ohne Raketen bekannten und noch ganz betrunken von all der Friedfertigkeit des Kirchentreffens nicht aufhören wollten, selbst bei Passkontrolle ihr "We shall overcome" zu singen? Auf jeden Fall merkwürdige, wenn nicht verdächtige Elemente, die mit ihrem "Frieden" wohl etwas anderes meinten, als die ähnlich lautenden DDR-Parolen verkündeten.

War es die Scheu vor dem Kontrast von verbalen Friedensbekundungen und militärischer Präsenz, die die DDR in ihrer sonst so flächendeckenden Propaganda gegenüber den Transitreisenden so zurückhaltend sein ließ? Es darf gerätselt werden und vielleicht geben Archive einmal darüber Aufschluss.

Verkehrspsychologische Überlegungen, die dem Autofahrer zu viel Ablenkung vom Fahrgeschäft nicht zumuten wollten, können es nicht gewesen sein. Keine gesetzliche Vorschrift untersagte wie in der Bundesrepublik verkehrsfremde Plakate am Rand der Autobahn. Die Straßen nach Leipzig waren zur Messezeit von Werbung intensiv gesäumt - aber dabei ging es nicht um abstrakten Frieden, sondern um handfeste Valuta.

Was war es dann, was die Transitstrecken im Werbeangebot zum ideologiefreien Raum machte? Vielleicht wurden die Reisenden aus dem Westen für derartig verstockt gehalten, dass erst gar keine Belehrung, Beeinflussung versucht wurde, weil dies doch vergebliche Liebesmühe in der verkorksten Beziehung von West und Ost gewesen wäre. Vielleicht war aber die Propaganda in Plakat und Transparent längst zum Ritual geworden, Teil einer Liturgie, die sich nur noch an die Gemeinde richtet, aber an ihre missionarische Kraft nicht mehr glaubt. Wem dies nicht vertraut war, empfand es dann überwiegend als Folklore.

Feldberg, 1983

Feldberg, 1983



Der Westbesucher erlebte noch das Gerassel der Panzerketten bei der Militärparade am 1. Mai und die gleichzeitigen Friedensbeteuerungen wie ein Atheist die Karfreitagsprozession in Sevilla.

Kaum auf die Netzhaut, keineswegs ins Bewusstsein drang dem durch die DDR Reisenden, was an Bekundungen aufgeschrieben war. Schwer ist es für den Bürger der alten Länder der Bundesrepublik, das wiederzugeben, was ihm an Propagandistischem in der DDR begegnete. Zu sperrig waren die Worte, zu fremd die Diktion - und zu unattraktiv die Aufmachung.

Eine Ausnahme allerdings gibt es noch heute. "Berlin - Stadt des Friedens" - so steht es mit ehernen Lettern samt der sich längst über alle politische Vereinnahmung erhebenden Picasso-Taube an einer Hauswand am Rande des Nicolai-Viertels in Berlin, gleich gegenüber dem Roten Rathaus. Da dämmert es den Älteren, wie früher selbst jedem Tagesbesucher aus dem Westen der politisch-moralische Anspruch der DDR verkündet wurde.

Kam denn unsereiner aus Städten des Krieges, mag sich der Alt-Bundesbürger fragen. Aber zur Antwort kommt er wohl nicht mehr, weil die Jüngeren wissen wollen, was das soll. Fehlt da nicht etwas? Berlin ist doch samt "Love Parade" die Stadt von "Friede, Freude, Eierkuchen"!



Prof. Dr. Wilfried Rott
Abteilungsleiter "Kultur aktuell" beim Sender Freies Berlin

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