Die Entwicklungen in der Türkei, die sich seit dem gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 beschleunigt haben, sind mehr als nur eine Krise in der Politik des Landes. Sie weisen vielmehr auf einen tiefgreifenden Umbau der Türkischen Republik in Richtung auf eine autokratische »orientalische« Ordnung.
Deren Wurzeln liegen nicht mehr in Europa (wie im Falle des Gründers der Türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk), sondern eher in vorrepublikanischen Traditionen (Neo-Osmanismus). Im Inneren ist die »neue Türkei« geprägt vom (charismatischen) Führer, der seine Legitimation von der (islamischen) Nation erhält. Dieser schließt zwar politische Parteien nicht aus, macht sie aber zu Randerscheinungen des politischen Systems. Im Äußeren werden neue Allianzen mit politischen Akteuren ähnlichen Zuschnitts gesucht. Der »Westen« wird zunehmend zu einem Reservoir für Verschwörungstheorien, was in der Konsequenz auf eine Absage der Mitgliedschaft in der EU hinausläuft. Gleichwohl gilt es insbesondere für die deutsche Politik, den Kontakt zu jenen Kräften in der Türkei nicht abreißen zu lassen, denen an der Fortsetzung des langen Weges des Landes nach Europa gelegen ist.
Referent: Prof. Dr. Udo Steinbach (Humboldt-Viadrina-Governance-Platform Berlin)
Udo Steinbach hat Orientalistik und Klassische Philosophie an den Universitäten Freiburg i. Br. und Basel studiert und wurde 1970 mit einer Arbeit zur arabischen Volksliteratur promoviert. Nach seinem Studium wandte er sich dem zeitgenössischen Nahen und Mittleren Osten zu. Den größten Teil seiner Laufbahn (1976-2006) verbrachte er als Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg. Seit 1991 ist er Honorarprofessor an der dortigen Universität. Er hat zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Gesellschaft und Kultur des modernen Nahen Ostens aufzuweisen, zuletzt »Länderbericht Türkei« (2012) und »Die arabische Welt im 20. Jahrhundert. Aufbruch - Umbruch - Perspektiven« (2016). Gegenwärtig verantwortet er das Nahostprogramm an der Humboldt-Viadrina-Governance-Platform Berlin.
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