
Für Grafiker, Karikaturisten und Illustratoren aus der DDR gehörte es zur Berufsehre, keine gekauften Karten zum Jahreswechsel zu versenden. Jahr für Jahr kreierten sie kleine Kunstwerke, die sie dann mit guten Wünschen zum neuen Jahr an die Familie und Kollegen verschickten. Eine durchaus aufwändige und zeitraubende Angelegenheit, gab es doch weder Kopier- noch sonstige Geräte zur Vervielfältigung. Individualität und begrenzte Stückzahl machten die Karten noch wertvoller und zum begehrten Sammelobjekt.
Der in Frankfurt (Oder) lebende Gebrauchsgrafiker Gerhard Trost ist bis heute sowohl Empfänger als auch Versender dieser gestalteten Neujahrskarten und verfügt inzwischen über eine Sammlung von ca. 800 Karten aus fast 60 Jahren. Versteckte Anspielungen auf politische Zustände oder kritische Hinweise auf gesellschaftliche Missstände finden sich in den Neujahrsbotschaften ebenso wie fröhliche Situationskomik und künstlerischer Anspruch. Bei einigen kann man Jahr für Jahr die Herausbildung des speziellen Stils ihrer Macher und die Festigung der künstlerischen Handschrift verfolgen, bei anderen die Haltung zur Politik der DDR entdecken.
Spannend ist, wie sich die Jahreswechsel 1989/90 und 1990/91 in den Karten spiegeln: Wie jeder andere DDR-Bürger, mussten auch Grafiker und Zeichner ihren Weg in die deutsche Einheit finden – ihre Erfahrungen kann man noch heute in den künstlerischen Miniaturen entdecken.
Es spricht: Dr. Sylke Wunderlich, Kunsthistorikerin
Es musiziert: Jürgen Kupke, Klarinette
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