Die Zeiträume zwischen den ökonomischen Krisen werden kürzer, die ökologischen Bedrohungen nehmen zu, die Rhythmen der technologischen Innovationszyklen beschleunigen sich. Der Kapitalismus verändert sich in einem rasanten Tempo. Wohin geht die Reise? Wohin könnte sie gehen? Ist die Richtung vorgegeben oder birgt das vorhandene technologische, organisatorische und soziale Potenzial Alternativen?
Vor fünf Jahren starb der französische Sozialphilosoph André Gorz. So konsequent wie wohl kaum ein anderer Gesellschaftstheoretiker der Nachkriegsgeneration war Gorz auf der Suche nach den ökonomischen Voraussetzungen einer besseren Gesellschaft. Ganz in der Tradition von Marx verstand er Gesellschaftsanalyse und Gesellschaftskritik als Vorbedingung, um sich die historischen Möglichkeiten einer sozialen Welt zu erschließen, in der die Beziehungen der Menschen frei von kapitalistischen Verwertungszwängen und Subjektivierungsimperativen zu denken wären. Gorz hat diesen Anspruch wie sein Lehrer Sartre immer zugleich als individuell-lebenspraktisches wie politisch-gesellschaftliches Projekt verstanden und war dafür bereit, theoretische Tabus zu brechen. Er verabschiedete sich schon früh von der marxistischen Geschichtsmetaphysik und dem Glauben an die historische Mission des Proletariats.
Er war einer der ersten, der in den 70er-Jahren das Umweltthema in die Gesellschaftstheorie integrierte und wurde so zeitweise zum Vordenker der Ökologiebewegung. Gorz forderte früher als viele andere eine radikale Reduzierung der Arbeitszeit und ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger, weil der Kapitalismus genügend Reichtum produziert, um jedem ein Leben in Würde zu gewähren. Kurz vor seinem Tod begann er die technologischen Grundlagen einer demokratischen Netzgesellschaft zu thematisierten und deren Konsequenzen für die individuelle Autonomie auszuloten. Sein ganzes Leben lang hat Gorz immer wieder aufs Neue versucht, die Dynamik gesellschaftlicher Prozesse der Gegenwart zu analysieren, um ihr utopisch-kritisches Potenzial zu entschlüsseln.
Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen ökonomischen Krisen, ökologischen Bedrohungen und technologischen Herausforderungen ist das Denken von André Gorz aktueller denn je. "Paradise now - Utopie als Lebensentwurf und Gesellschaftskritik" lautet der Titel der zweitägigen Tagung am 16. und 17. November 2012 in Potsdam, veranstaltet von der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg und der Ernst-Bloch-Gesellschaft, auf der mit dem theoretischen Rüstzeug von André Gorz im Gepäck gefragt werden soll: Wohin treibt die kapitalistische Gesellschaft? Und welches utopisch-kritische Potenzial birgt sie, um Alternativen hervorzubringen?
Programm:
Freitag, 16. November 2012
17.00 Eröffnungsgespräch: Gedanken zu der Bedeutung von Gorz
Nancy Fraser, Politikwissenschaftlerin, New School for Social Research/FU-Berlin
Otto Kallscheuer, Politikwissenschaftler und Philosoph
18.00 Die Politik der Theorie
André Gorz und die Neuen Sozialen Bewegungen
Eva Quistorp
Samstag, 17. November 2012
10.00 Politik als Lebenspraxis
Die existenzphilosophischen Grundlagen der Gesellschaftstheorie von André Gorz,
Mathias Richter
10.30 Wege ins Paradies I:
Ökologie – Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Gesellschaft
Reinhard Loske, Rob Hopkins
12.00 Wege ins Paradies II:
Arbeitszeit und Lebenszeit – Grundeinkommen und gesellschaftliche notwendige Arbeit
Hans-Christoph Schmidt am Busch, Adrienne Goehler, Wolfgang Schroeder
13.30 Mittagspause
14.30 Wege ins Paradies III:
Kapitalismus 2.0 – Netzökonomie und die veränderten technologischen Voraussetzungen von Demokratie und Autonomie
Andreas Poltermann, Volker Grassmuck, Welf Schröter
16.30 Abschluss:
Utopie und Gesellschaftskritik - Bloch und Gorz
Francesca Vidal
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