„Mach kein‘ Stress!“ – ein Satz, den man unter Jugendlichen öfter hört. Dem Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft e.V. (IBI) diente er als Überschrift für ein Spielsystem der politischen Bildung, das vor allem junge Menschen ansprechen soll. Gelingt das und wenn ja, wie? Wie müssen so genannte niedrigschwellige Angebote aussehen?
Dieser Frage ging die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung auf ihrer Trägerkonferenz am 29. Januar 2009 nach. Dazu hatte sie Organisationen, Vereine und Interessierte aus ganz Brandenburg nach Potsdam eingeladen.
Neben Dr. Christian Pfeffer-Hoffmann vom IBI diskutierten Annika Hartmann von der Bundeszentrale für politische Bildung und Praktiker wie Dr. Martina Panke vom Verein zur Jugendförderung des DGB aus Flecken Zechlin darüber, wie Bildungsangebote aussehen müssen, damit sich auch Menschen angesprochen fühlen, die die sozialwissenschaftliche Forschung als bildungs- und politikfern einschätzt. Das sind mehr als 20 Prozent der Bevölkerung; ein Fünftel, auf das niemand in der politischen Bildung verzichten will und kann.
Demokratisches Handeln muss erlernt und eingeübt werden. Angebote der politischen Bildung, überparteilich und kontrovers, können dazu beitragen.
Tagungsbericht:
Wie müssen Bildungsangebote aussehen, damit sich auch Menschen angesprochen fühlen, die die sozialwissenschaftliche Forschung als bildungs- und politikfern einschätzt? Das sind mehr als 20 Prozent der Bevölkerung; ein Fünftel, auf das niemand in der politischen Bildung verzichten will und kann. Demokratisches Handeln muss erlernt und eingeübt werden. Angebote der politischen Bildung, überparteilich und kontrovers, können dazu beitragen.
Zu diesem Themenkomplex fand am 29. Januar 2009 in den Räumen der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung die jährliche Trägerkonferenz statt. Vertreter von nahezu 40 Vereinen aus allen Landesteilen hatten sich in Potsdam zusammengefunden, um über so genannte niedrigschwellige Angebote nachzudenken.
In der Einladung und im Flyer war zu diesem Thema Dr. Christian Pfeffer-Hoffmann vom Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft mit einem Vortrag angekündigt. Ergänzend dazu war es gelungen, von der Bundeszentrale für politische Bildung Annika Hartmann sowie Dr. Martina Panke, Leiterin des Vereins zur Jugendförderung des DGB aus Flecken Zechlin, für Koreferate zu gewinnen.
Die Leiterin der Landeszentrale, Dr. Martina Weyrauch führte in die Debatte ein und moderierte die Veranstaltung. Mit seinem komprimierten Start-Referat versuchte Dr. Pfeffer-Hoffmann eine begrifflich-erklärende Annäherung an das Thema und stellte anschließend anhand von zwei Projektbeispielen, die beide in Brandenburg laufen bzw. gelaufen sind, dar, wie niedrigschwellige Angebote aussehen können.
Im ersten Projektbeispiel ging es um Brandenburger Jugendliche, überwiegend aus ländlichen Regionen, die zur Ausbildung nach Cottbus kommen. Um sie mit der neuen Umgebung vertraut zu machen, die Bindungen an die Heimat aber nicht zu kappen, beschäftigten sie sich anhand so einfacher Fragen wie: Wo komme ich hin? Wo komme ich her? mit dem neuen, fremden Ausbildungsort und erinnerten sich an das, was sie mit der Heimat verbindet. Die dritte, anschließende Frage hieß: Wo gehe ich hin?, um sie darauf vorzubereiten, wo die mögliche berufliche Perspektive liegen könnte. Letztlich ging es um die Stärkung des demokratischen Miteinanders, um die Vermittlung von Vielfalt und die Aufforderung zu Toleranz.
Das zweite Projektbeispiel steht unter der Überschrift „Mach’ kein Stress!“. Es wurde ein Spielekoffer entwickelt, mit dessen Hilfe und über Regel-, Rollen- und Planspiele Demokratie als Alltagserfahrung deutlich gemacht werden soll.
Im Vordergrund steht das Erlernen der Fähigkeit, wie man Konfliktlösungen demokratisch ausgehandelt. Das Projekt wurde mit jugendlichen Strafgefangenen – ohne Bildungsabschluss und politikfern – erprobt. Laut Dr. Pfeffer-Hoffmann kann es jedoch ebenso in Unternehmen o.ä. zur Demokratiebildung beitragen.
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung widmet sich dem Thema niedrigschwelliger Angebote. Vor mehr als einem Jahr hat sie einen eigenen Fachbereich dazu eingerichtet. Er nennt sich „Politikferne Gruppen“. Annika Hartmann arbeitet dort und gab in ihrem Kurzreferat einen Überblick zum Stand der Dinge. Die Bundeszentrale sieht vor allem Jugendliche als die Zielgruppe ihrer Bemühungen an. Die Angebote richten sich an der Tatsache aus, dass diese Jungen und Mädchen so gut wie gar nicht lesen, ihre Freizeitaktivitäten auf das Fernsehen, auf Videospiele und das Internet ausgerichtet sind. Selbstverständlich spielt auch das Handy eine wichtige Rolle.
Unter den von Annika Hartmann beschriebenen Projekten war auch die momentan laufende „Aktion 09 – Gib’ Deiner Meinung eine Stimme“, bei der in einer so genannten Peer-Education rund 40 Jugendliche qualifiziert werden, Altersgenossen zu politischer Teilhabe zu motivieren. Im Superwahljahr 2009 eine lohnende Aufgabe. Der Vortrag von Frau Hartmann machte deutlich, wie dicht niedrigschwellige Angebote der politischen Bildung an der Sozialarbeit sind.
Für die dritte Referentin, Dr. Martina Panke, steht die Arbeit mit Auszubildenden im Mittelpunkt ihres Tätigkeitsfeldes. Aus der Sicht der Praktikerin formulierte sie mehr oder weniger provokante Thesen zu den grundsätzlichen Veränderungen, die die politische Bildung in den letzten Jahren erfahren hat.
Ihre Erfahrung in der DGB-Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin zeigt, dass die Grenzen zwischen Bildungs- und Sozialarbeit immer fließender werden. Sie konstatierte, dass politische Bildung immer mehr zur Dienstleistung wird. Für die Zielgruppen sieht sie eine stärkere Ausdifferenzierung.
Angesichts des Sozialgefälles zwischen Referenten (meist Akademiker mit höher Qualifikation und Kompetenz) und Konsumenten (u.a. Jugendliche ohne Bildungsabschluss) stellte sie die Frage: Vertreiben wir vielleicht sogar selbst unser Publikum? Bei den Zielgruppen machte Dr. Panke die Erfahrung, dass die so genannten bildungsfernen eher bildungsarme sind.
Drei Thesen stellte Dr. Panke zur Diskussion:
- Wir sollten dem Thema Arbeitswelt mehr Raum in der politischen Bildung geben. Hier müssen sich die Jugendlichen behaupten, schaffen sie das nicht, kommt es zum Rückzug, zu Fatalismus, Konformismus.
- Wir müssen über das Eigene reden, um Toleranz und Interkulturalität entwickeln zu können – Thema Heimat.
- Die Frage „Wie sorgen wir für uns selbst?“ ist eminent politisch, denn nur, wer sich um sich selbst sorgt, sorgt sich auch um andere.
Die sehr unterschiedlichen Standpunkte und Ansatzpunkte der Referenten führten zu einer interessanten, rege geführten Diskussion.
Die Kontroverse setzte sich fort und fand ihren Ausdruck in Fragen wie:
- Kann und muss politische Bildung die Lebenswirklichkeit mitnehmen?
- Wen wollen wir erreichen? Wollen wir wirklich alle erreichen, auch den Kleingärtner?
- Müssen wir mit unseren Angeboten nicht eher locken denn zwangsbeglücken?
- Wie kann man das Gehörte auf niedrigschwellige Angebote für Ältere umsetzen?
- Steht der Begriff politische Bildung nicht im Kontrast zu niedrigschwelliger Bildung?
- Wie können Vereine etc. es schaffen, bei ihren Angeboten der politischen Bildung Hemmschwellen, Hürden abzubauen?
- Welche Rolle spielt es für die Vereine, vor Ort zu sein, quasi aus der Mitte der Gesellschaft Angebote zur politischen Bildung zu machen?
Es entspann sich ein intensiver Meinungsaustausch. Nicht alle Fragen konnten endgültig beantwortet werden. Niemand hat Patentrezepte. Vieles wurde zum Weiterdenken mitgenommen.
Der letzte Tagesordnungspunkt der Konferenz enthielt wichtige inhaltliche und organisatorische Hinweise. Sie reichten von Informationen zum Veranstaltungskalender auf den Internetseiten der Landeszentrale über die geplanten Feste der Demokratie aus Anlass des 60. Jahrestages des Grundgesetzes bis hin zu Informationen über die neue Haushaltsordnung und Hinweise zu Modalitäten der Antragstellung.
Veranstaltungskalender 20 Jahre friedliche Revolution:
Die Leiterin der Landeszentrale, Dr. Martina Weyrauch, informierte:
Das neue Themenportal „20 Jahre friedliche Revolution“ auf der Website der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung ist inzwischen frei geschaltet. Sie steht allen Trägern der politischen Bildung in Brandenburg offen und lebt von ihrer Mitarbeit. In den Veranstaltungskalender können die geplanten Seminare, Foren, Diskussionen, Lesungen oder sonstigen Veranstaltungen eingetragen werden. Das hat mehrere Effekte: Es wird Öffentlichkeit hergestellt, denn die Internetseiten der Landeszentrale haben hohe Zugriffszahlen; die Vereinen können sich untereinander über Themen und Termine austauschen; es entstehen Vernetzungen. Je mehr Veranstaltungshinweise der Kalender beinhaltet, umso besser kommen diese Effekte zum Tragen. Der Eintrag selbst funktioniert unkompliziert und schnell.
Feste der Demokratie am 23. Mai 2009:
Dr. Michael Jahn, Landesarbeitsgemeinschaft für politisch-kulturelle Bildung in Brandenburg e.V., informierte:
Einer der wichtigen Feiertage des Jahres 2009 ist der 60. Jahrestag des Grundgesetzes am 23. Mai. In Kooperation zwischen Landeszentrale und LAG wurde ein dezentrales Konzept der Würdigung dieses Ereignisses entwickelt. Träger der politischen Bildung an fünf Orten im Land Brandenburg (Bernau, Wittenberge, Potsdam, Eberswalde, Cottbus ) beteiligen sich mit unterschiedlichen inhaltlichen Konzepten. Sie reichen von Kulturveranstaltungen, über einen speziellen Stadtspaziergang, Foto- und Potskartenaktionen, politische Diskussionen bis hin zu Musik- und Theateraufführungen. Die Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt die Vorhaben finanziell, die Landeszentrale hat eine Kofinanzierung zugesagt.
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